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Eine Armee aller Bürger

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Der Landesverteidigungsplan ist nur über ein Milizsystem realisierbar (FURCHE 6/1987). Ander Basis ist die Zustimmung zur „Volks-Armee“ groß, die Militärs zögern.

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Der Landesverteidigungsplan ist nur über ein Milizsystem realisierbar (FURCHE 6/1987). Ander Basis ist die Zustimmung zur „Volks-Armee“ groß, die Militärs zögern.

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„Die Bundesregierung bekennt sich zum Milizsystem und zum Konzept der defensiven Raumverteidigung zu Land und in der Luft. Der Milizbegriff soll gesetzlich verankert werden. Staatsbürgern, die ihren Ubungsverpflich-tungen nachkommen, soll daraus kein Nachteil erwachsen.“ Soweit die politische Absichtserklärung der neuen Regierung.

Dieser politischen Willenserklärung steht ein derzeit noch sehr bescheiden entwickeltes Mi-

lizverständnis in und außerhalb des Heeres gegenüber. Geht man davon aus, daß der Ausbau unseres Heeres zu einer Milizarmee die Voraussetzung zur glaubhaften Verteidigungsfähigkeit ist, so muß man sich schon mehr Zielstrebigkeit und konkretere Maßnahmen als bisher durch die politische und militärische Führung erwarten.

Sachliche Auseinandersetzung tut not, und vor allem gehören Taten gesetzt, die von erforderlichen, gesetzlichen Grundlagen bis zu einfachen, den Bedürfnissen einer Milizstruktur entsprechenden Verwaltungsabläufen im Heer selbst reichen.

Unter Miliz versteht man im allgemeinen Sprachgebrauch Streitkräfte, die im Frieden nur zu kurzfristiger Ausbildung und

wiederholt zu Übungen zusammentreten, nur schwache ständige Kader unterhalten und erst im Kriegsfall materiell und personell voll aufgestockt werden. Das Milizsystem ist weiters eine Organisationsform, die es auch dem Kleinstaat ermöglicht, sein naturgemäß begrenztes Potential weitgehend auszuschöpfen.

Darüber hinaus ist auch auf die gesellschafts- und wehrpolitischen Auswirkungen hinzuweisen. Der integrative Charakter einer Milizarmee, in der aufgrund der allgemeinen Wehrpflicht Staatsbürger aller sozialen Schichten zusammengeführt werden, sowie die laufend wiederkehrenden „Truppenübungen“ stellen eine wechselseitige Einflußnahme des zivilen und militärischen Bereiches dar.

Damit wird die Entwicklung der Armee in ein Getto vermieden, vielfältige Ansätze für eine Integration von Armee und Bevölkerung sind gegeben. Es verlangt und fordert tätige Mitarbeit an der Gemeinschaft. Aus der Pflege des Verantwortungsbewußtseins, zu dem das Milizsystem hinführt, ergibt sich die politische Würde dieses Systems.

Aus dieser Betrachtungsweise wird deutlich, welche Kraft und welche Chancen in einem weiteren qualitativen und quantitativen Ausbau der Miliz liegen, aber auch, welche Erfordernisse an Armee und Gesellschaft herangetragen werden müssen.

Ein Wehrpflichtjahrgang in Österreich umfaßt derzeit rund 45.000 junge Österreicher. Rund 11.000 davon werden „Milizsoldaten“ — leisten also sechs Monate Grundwehrdienst und bis zum 35. Lebensjahr alle zwei Jahre ihre „Truppenübungen“. Ein großer Brocken, nämlich 23.000, somit 60 Prozent pro Jahr, werden sogenannte Systemerhalter, dienen acht Monate durch und sind in der

Folge für das Heer verloren.

11.500 Soldaten werden nach dem Präsenzdienst der Bereitschaftstruppe zugeteilt und bleiben einige Jahre „befristet beordert“ und könnten im Einsatzfall eingezogen werden.

Milizsoldaten sind eigentlich „die Minderheit“. Das zu ändern, muß eine wesentliche Aufgabe der Strukturverbesserung im Heer sein, noch dazu angesichts eines stark abnehmenden Wehrpflichtigenaufkommens.

Was die Milizsoldaten selbst und deren Einstellung betrifft, so

hat in den letzten Jahren eine bemerkenswerte Aufwärtsentwicklung stattgefunden. Die Durchführung der Truppenübungen — anfangs mit zahlreichen Mängeln behaftet — wird, zunehmend vom Müizkader selbst getragen, immer besser. Hervorzuheben ist die hohe Bereitschaft besonders im Bereich der Milizoffiziere (derzeit etwa 12.000), auf freiwilliger Basis viel Zeit und Mühe für Führungsarbeiten zwischen den verpflichtenden Truppenübungen zu leisten.

Welcher persönliche Einsatz hier in aller Stille auf breiter Basis geleistet wird, ist überaus bemerkenswert.

Dieser in vielen Ansätzen positiven Entwicklung an der Basis steht ein noch sehr entwicklungsbedürftiges Milizverständnis in der politischen und militärischen Führung gegenüber. Der Dynamik an der Basis steht zuviel Beharrungsdenken, manchmal sogar Gegensätzliches in der Planung gegenüber.

Einer geringen Bereitschaft,

kreativ neue Wege zu gehen, stehen ein hohes Maß an bürokratischer Trägheit, Kompetenzgerangel und Grabenkämpfe um Macht-und Einflußpositionen in den Führungsetagen gegenüber.

Die Spannung zwischen den in die Zukunft weisenden Vorgaben des Landesverteidigungsplanes mit einer klaren Ausrichtung zu einer Milizstruktur und dem Wehrgesetz, das vom Grundverständnis her noch auf den Gedanken eines „stehenden Heeres“ aufbaut, wird immer mehr spürbar. Dem politischen Willen eines zukunftsweisenden Landesverteidigungsplanes steht ein Gesetz von vorgestern gegenüber.

So zählen die Milizsoldaten, die im Mobilmachungsfall 90 Prozent der mobilgemachten Armee darstellen, nach den Buchstaben des Gesetzes gar nicht als Angehörige des Bundesheeres. Das hat zur Folge, daß viele, für eine Milizarmee unerläßliche Aktivitäten von Milizsoldaten im gesetzesfreien Raum geschehen. Die Aufnahme des „Milizstandes“ etwa in das Wehrgesetz ist erforderlich.

Die Heranbildung entsprechend qualifizierten Milizkaders wird über Kaderübungen, die zusätzlich zu Truppenübungen geleistet werden, sichergestellt. Mittlerweile ist klar geworden, daß für höhere Führungsfunktionen etwa die derzeit festgelegten 90 Kaderübungstage nicht ausreichen.

Pro Jahr leisten etwa 80.000 Milizsoldaten ihre Truppenübungen ab. Das ist gleichbedeutend mit rund 4 Millionen Arbeitsstunden, die als „Beitrag der Wirtschaft“ gewertet werden können.

Demgegenüber steht der Druck seitens der Arbeitgeber, acht Monate Grundwehrdienst an Stelle von sechs Monaten mit Truppenübungen zu leisten. Nicht selten plagen die Milizsoldaten Exi-stenzsörgen um den Arbeitsplatz.

Ein Milizsystem bedarf des gegenseitigen Verständnisses von Heer und Gesellschaft. Eines muß unter allen Umständen abgebaut werden: staatspolitische Erfordernisse und wirtschaftliche Interessen auf dem Rücken des betroffenen jungen Menschen auszutragen, der einerseits seiner staatsbürgerlichen Pflicht nachkommen soll, andererseits berechtigte existenzielle Sorgen um seinen Arbeitsplatz hat. Hier sind es Heer und Wirtschaft, die in partnerschaftlicher Weise, getragen durch klare politische Zielsetzung, einen bestehenden Inter-essenskonflikt lösen müssen.

Der Wille zur Miliz — ist er da? An der Basis sind Wille und Bereitschaft gegeben — bei der politischen und militärischen Führung besteht ein gewaltiger Nachholbedarf.

Der Autor, Oberst des Generalstabes, ist Leiter der Ausbildungsabteilung 2 beim Armeekommando.

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