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Eine Auszeichnung für Unbequeme

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Der Alternative Nobelpreis bedeutet Prestige und Verpflichtung. Jose Lutzenberger etwa wurde Brasiliens Umweltminister. Vergangene Woche wurde der Preis zum elften Mal überreicht.

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Der Alternative Nobelpreis bedeutet Prestige und Verpflichtung. Jose Lutzenberger etwa wurde Brasiliens Umweltminister. Vergangene Woche wurde der Preis zum elften Mal überreicht.

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Wie jedes Jahr, wurde auch heuer am Tag vor der Überreichung der Nobelpreise der „Right Livelihood Award", der Alternative Nobelpreis, im Schwedischen Parlament in Stockholm übergeben. Zum elften Mal werden damit gemäß der Idee des Preisstifters Jakob von Uexküll Menschen geehrt, die „beispielhaft am Aufbau einer globalen ökologisch-demokratischen Gesellschaft ohne Hunger und Zerstörung arbeiten". Eine umfassende Idee hat den Europa-Parlamentarier der Grünen bewogen, sein gesamtes, als Philatelist erworbenes Vermögen zur Verfügung zu stellen. Inzwischen ist die Preissumme durch Spenden auf 165.000 US-Dollar angewachsen. Sie wird heuer auf vier Preisträger verteilt.

Für ihre Unterstützung der Kleinbauern im Kampf gegen Großgrundbesitzer um Nutzland ausgezeichnet werden zwei brasilianische Landreform-Organisationen: „Commissao pastoral da Terra" (CPT) und „Movi-mento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra" (MST).

Die CPT wurde 1975 von katholischen Priestern initiiert und arbeitet heute auf ökumenischer Basis in engem Kontakt zur brasilianischen Bischofskonferenz. Mit Hilfe von 40.000 Freiwilligen konnte eine Organisation für landlose Bauern geschaffen werden, die seit vielen Jahren vehement die Forderung nach Landreform zugunsten der Armen vertritt. Kleinbauern, die bisher erfolglos Land, Freiheit und Recht verlangten, werden von der CPT bei Gerichtsverfahren gegen Großgrundbesitzer kostenlos von Rechtsanwälten unterstützt.

Autonome Entwicklungsprojekte in ganz Brasilien arbeiten unter der Schirmherrschaft der CPT. Sie gibt eine monatlich erscheinende Zeitung heraus und veranstaltet öffentliche Tribunale gegen die Kriminalität von Großgrundbesitzern. Ein gefährliches Unterfangen, da in Brasilien der Mord an landlosen Bauern und Ureinwohnern offiziell noch immer als „notwendiges Übel" behandelt wird. Auch 25 CPT-Mitglieder bezahlten ihr Engagement mit dem Leben. Trotz aller Widerstände ist die Organisation inzwischen zur Anlaufstelle für landsuchende Bauern geworden, die Schulungen und Sozialprogramme für die „Ärmsten der Armen" anbietet.

Seit Beginn unterstützt die CPT auch andere autonome Organisationen der einheimischen armen Bevölkerung. Die vielen kleinen Organisationen formierten sich 1985 zur Bewegung der landlosen Bauern: „Movimento dos Trabalhadores Rurais Sem Terra" (MST). Auch ihre' Bemühungen, unproduktives Land zu erwerben und zu kultivieren, sollen mit der heurigen Preisverleihung in Stockholm gewürdigt und finanziell unterstützt werden.

Ein Teil der Preisgelder geht nach Indien, und zwar an eine Gruppe, die gegen die großen Weltbank-Dammprojekte entlang des Narmada-Flus-ses aktiv geworden ist. Durch den Bau der geplanten 30 großen und Hunderte von kleinen Dämmen an diesem religiös und kulturell so bedeutenden Fluß würden 300.000 arme Bauern vertrieben, große Wald- und Anbauflächen müßten geopfert werden. Außerdem befürchten zahlreiche Wissenschafter die empfindliche Störung derTrinkwasserqualität und des Wasserhaushaltes der gesamten Region nach dem Füllen der Staubecken.

Atomtestopfer im Pazifik Mitte der achtziger Jahre hat sich eine Bürgerbewegung gegen diese „Entwicklungshilfe-Tragödie" gebildet, die auf die katastrophalen ökologischen Folgen der Dammprojekte und auf die fehlenden Umsiedlungsprogramme für die betroffene Bevölkerung hinwies. Doch erst, seit zwei sehr prominente Inder als Sprecher der von der Umsiedlung bedrohten Menschen auftreten, wurden die Dammbauten in ganz Indien zum politischen Thema.

Der Soziologe Medha Patkar lebt seit sechs Jahren am Narmada-Fluß und auch der „Guru" Baba Amte, der durch die tatkräftige Hilfe für Lepra-kranke berühmt geworden ist, hat sich derNarmada-Bewegung angeschlossen, da der Narmada-Staudamm zum „Symbol der sozialen Ungerechtigkeit" geworden sei. Beide kündigten mit ihren Mitstreitern der Regierung an, daß sie ihre Häuser und ihr Land nicht verlassen würden, falls die Staubecken gefüllt werden sollten.

Aufgrund der massiven Proteste und Hungerstreiks im letzten Jahr hat Japan als Mitunterzeichner des Projekts den Druck auf die Weltbank verstärkt, die bereits begonnenen Dämme nicht fertigzustellen und von weiteren Damm-Großprojekten in Indien abzusehen. Stattdessen sollten kleine Wasserstands-Projekte, Trinkwasserversorgungseinrichtungen und landwirtschaftliche Pilot-Projekte für die Kleinbauern finanziert werden.

Als 1954 von den USA am Bikini-Atoll im Pazifik Atomversuche durchgeführt wurden, freuten sich die Kinder der Rongelap-Insel über den kurze Zeit später.zu Boden fallenden „Schnee". 50 Stunden später wurden sie evakuiert und nach einem Jahr wieder auf ihre Insel zurückgebracht. Bei den 250 Bewohnern häuften sich daraufhin die Krebsfälle und leukämische Erkrankungen. Obwohl schon 1973 Labortests die zehnfache Plutoniumbelastung der Inselbewohner bestätigten und sich Senator Jeton Anjain als Rongelap-Vertreter in der Marschall-Insel-Regierung für die Umsiedlung-seinerMitbürgereinsetzte, gab es keine offiziellen Reaktionen.

Schließlich verließen 220 Ronge-lap-Bewohner mit einem Greenpeace-Schiff ihre Insel und siedelten sich auf einer weit entlegenen, unbewohnten Insel ohne jegliche Infrastruktur an, auf der sie bis heute leben.

Senator Jeton Anjain bestand auf lückenloser Aufklärung über die Verseuchung seiner Heimatinsel. Er organisierte Wissenschaftler und weitere Tests und erreichte eine Vereinbarung mit den USA, die eine unabhängige Untersuchung der Atomtest-Schäden zusicherten. Aber erst 1991 wurde eine Bestandsaufnahme durchgeführt und ein Fonds für Atomtest-Opfer installiert. Damit wurden die Spätfolgen der Atomtests nicht nur anerkannt, sondern auch finanziell abgegolten, was für viele andere „Clean-Up"-Gruppen im Pazifik Beispielwirkung haben wird.

Das französisch-schwedische Ehepaar Bengt und Marie-Therese Da-nielsson, das seit 40 Jahren auf Tahiti lebt, wird für sein Engagement gegen Atomversuche ausgezeichnet. Bengt Danielsson war Direktor des Schwedischen Nationalmuseums, als er sich 1947 Thor Heyerdahls Kon-Tiki-Expedition anschloß. Er blieb in der Südsee und heiratete Marie-Therese, die auf Tahiti an Frauen-Entwicklungsprogrammen arbeitete. Gemeinsam veröffentlichten sie naturwissenschaftliche und ethnologische Studien über Polynesien. Nach dem Beschluß De Gaulies 1963, Französisch-Poly-nesien als Atomtestgelände zu „nutzen", wurden die Inseln von französischen Truppen überrannt. In der Folge kam es zur Verelendung der Ureinwohner, die landwirtschaftliche und kulturelle Eigenständigkeit der Insulaner brach zusammen.

Nuklearer Kolonialismus Die Danielssons beschäftigten sich in der Folge auch mit den gesundheitlichen und ökologischen Folgen der Atomtests. Die französische Regierung blockierte trotz enormer Umweltschäden durch die über- und unterirdischen Atomtests unabhängige Kommissionen, sodaß der genaue Umfang der Folgeschäden bis heute nur geschätzt werden kann. Als Unterstützer der Polynesischen Unabhängigkeitsbestrebungen arbeitet das Ehepaar Danielsson mit den Stammesführern und den politisch Verantwortlichen an Programmen, die den Weg in die Unabhängigkeit ermöglichen sollen.

Der Ehrenpreis der „Right Livelihood Award"-Kommission geht heuer nach Großbritannien, und zwar an den langjährigen Herausgeber von „The Ecologist", einen engagierten Warner vor der Naturzerstörung. Edward Goldsmith war bei der Gründung des „Ecologist" 1969 Herausgeber, heute ist er Ko-Herausgeber. Der „Ecologist" wurde zum Sprachrohr engagierter Wissenschaftler und einem Hauptfaktor dafür, daß Umweltthemen in der englischen Öffentlichkeit diskutiert wurden, was schließlich zur Gründung der ersten Grün-Partei Großbritanniens führte. Heiße Eisen, wie die Kritik an der Förderung von Großprojekten durch die Weltbank, Kritik an der UNO-Land-wirtschaftskommission oder Berichte über die reichen Länder als Hauptverursacher des Treibhauseffektes fanden durch den „Ecologist" Medienöffentlichkeit.

In den letzten Jahren beschäftigte sich Edward Goldsmith intensiv mit der „Gaia-Hypothese" von James Lovelock, der sich Naturwissenschafter auf der ganzen Welt verbunden fühlen. Sie geht von der Betrachtung der gesamten Biosphäre als lebender Organismus aus. Mit dem Ehrenpreis für Goldsmith wurde erstmals auch die Rolle der Medien in der westlichen Welt gewürdigt, die Naturzerstörung und Ausbeutung der Dritten Welt in den letzten Jahren in den Blickpunkt der Weltöffentlichkeit gerückt haben.

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