7077671-1993_24_08.jpg
Digital In Arbeit

Eine Begegnung mit Gorgo

19451960198020002020

Noch während des Zweiten Weltkriegs wurde in der Schweiz ein Stück gespielt, das die Welttragödie nicht unter dem aktuellen politischen, sondern unter einem allgemein anthropologischen Gesichtswinkel sah. In diesem Werk von Jean Girau-doux (1882-1944) „Sodoma und Gomorrha” tritt bei den Geschlechtern an Stelle des Einbe-kenntnisses gemeinsamer Schuld das Lagerdenken eines Parteiwesens, was zur Frontenbildung und zur Unversöhnlichkeit zwischen Männern und Frauen führt.

19451960198020002020

Noch während des Zweiten Weltkriegs wurde in der Schweiz ein Stück gespielt, das die Welttragödie nicht unter dem aktuellen politischen, sondern unter einem allgemein anthropologischen Gesichtswinkel sah. In diesem Werk von Jean Girau-doux (1882-1944) „Sodoma und Gomorrha” tritt bei den Geschlechtern an Stelle des Einbe-kenntnisses gemeinsamer Schuld das Lagerdenken eines Parteiwesens, was zur Frontenbildung und zur Unversöhnlichkeit zwischen Männern und Frauen führt.

Werbung
Werbung
Werbung

Wenn die „Arbeitsteilung” der Geschlechter, dieses planetarische Erbteil unserer Entwicklungsgeschichte, das zu Gunsten höheren Planes aus dem kosmischen Polaritätsprinzip hervorgegangen ist, vom Menschen nicht mehr angenommen und bewältigt wird, dann folgt nach der Vertreibung aus der Idealität des Paradieses nicht bloß das Leben in der Welt, wie es nun einmal ist, sondern in der Hölle, wie sie der Mensch nur sich selber bereiten kann. So weit Giraudoux. Prognose? Prophetie?

Ein halbes Jahrhundert nach Giraudoux ist die Frage dringlicher als je zuvor, besonders dann, wenn man sich mit Elfriede Jelineks Werk beschäftigt. In den neuen, zum Teil sogar äußerst brillant und unterhaltsam geschriebenen Essays (allen voran Christel Dormagen) faßt der „Alibimann” unter den acht Autorinnen, Matthias Luserke, die Leistung Jelineks zusammen: „Man sollte anerkennen, daß keine Schriftstellerin der Gegenwart so radikal, konsequent und reflektiert Literatur als Medium und Forum kritischen Bewußtseins nutzt wie Elfriede Jelinek.”

Jahrtausendelang galt für die Frauen das Bekenntnis der Antigone des Sophokles: „Nicht mitzuhassen, mit-zulieben bin ich da.” In Erfüllung dieses Ideals haben Frauen namenlose Opfer erbracht, sind selber zum Opfer geworden. Die Emanzipation von dieser „Opferrolle” bringt nun vielerlei mit sich. Unter anderem auch den Beweis, daß die Frauen an Haßfä-higkeit und intellektueller Aggressionslust den Männern durchaus ebenbürtig sein können. Auf gut Germanistisch heißt das: „Das destruierende Verfahren, das Jelinek dabei anwendet, ist das einer Ästhetik des Obszönen” (Seite 62).

Zu dieser Ästhetik des Obszönen gehört es, daß die altvertraute pornographische Voyeuristen-Regel jetzt anstandshalber umgekehrt wird. Bisher durften allein die Männer beguk-ken. Genauso können sie nun von den Frauen beguckt werden. Die heiße „Lust”, ein Romantitel von Jelinek, schmeckt aber erst so richtig, wenn sie mit kaltem Haß gewürzt ist. Von diesem sublimen Nein, der unverzichtbaren Pille, leitet sich dann eine negative Pädagogik ab, welche in einem pubertär dominierten Kulturklima große Wirkungschancen auf der Bühne und im Buchvertrieb besitzt, denn Elfriede Jelinek verspricht, die

Schuldigen zu nennen, welche das Herr/Knecht-Verhältnis zwischen Männern und Frauen produzieren. Sie findet das Obszöne gerechtfertigt, wenn man „der Sexualität ihre scheinbare Unschuld nimmt und die Machtverhältnisse klärt”.

Genital oder genial?

Was Reinheitsapostel entrüstungs-pflichtig als Schweinerei zumindest aus der verbalen Praxis der Literatur verbannt sehen wollen, haben lerneifrige und gelehrte Beobachter ja schon längst viel genauer durchschaut. Schamhaarscharf ist zu trennen die kitschig-kulinarische Pornographie vom sogenannten Obszönen, dessen Sinn es ist, daß einem die Lust an der Lust, die Freude an der Freude vergeht. Dies fördert eine Art Konsumaskese gegenüber „aufgeputzten Sexualobjekten”, die nichts anderes sind als Warenartikel der kapitalistischen Gesellschaft. Deshalb könnte der gesellschaftskritische Roman ,Lust” auch als Beitrag zur Konjunkturanalyse der achtziger Jahre in der steiri-schen Papierindustrie durchaus lesenswert sein. Denn der Fabrikant Herr-Mann protzt mit seiner Potenz, einem vorauseilenden Banalmythos für sein sich potenzierendes Betriebskapital. Mit ihm vermag er die Arbeiterinnen so weit zu verknechten, daß die Vollbeschäftigung aller gesichert ist. Wünschen wir uns nicht jetzt in der Flaute solche (e)rigierende (Ge)Mächte des zugrundegehenden Patriarchats doch sehnlichst zurück? Sicherlich könnte man derlei Wünsche nach dem Zauberstab unserem Wirtschaftsminister nicht verargen.

Weil Jelinek die Wut „ihrer verkorksten Psyche” (wie ein Kritiker meint) in immer überraschenden Metaphern und erstaunlichen Situationen zu bündeln versteht, erreicht sie es, die von der Tierphysis auf uns gekommenen mechanischen Gewaltanteile bei der Kopulation noch zu überbieten. Gewollte, ja an-befohlene Vergewaltigung läßt die Voyeure und Voyeusen der in dieser Hinsicht bisher frustrierten Germanistik aufjauchzen: endlich wird Kant auf den Kopf gestellt! An Stelle der kantianischen Ubereinstimmung von ehelicher Pflicht und beruflicher Neigung tritt ein handgreiflicher sadomasochistischer Vertrag zwischen den Partnern!

Elfriede Jelinek als Model?

Wenn es Augenblicke geben sollte, da die Leserinnen das Buch zumachen oder sogar zuschlagen, blickt sie ein Frauenantlitz fragend an, eine hervorragende fotografische Leistung von Renate von Mangoldt. Zu diesem Bild wird man während der Lektüre vielleicht noch öfter zurückkehren. Also doch „die optische Frau” der Werbewirtschaft? Keineswegs! Das Foto ist - trotz dessen faszinierender Schönheit - für keine Illustrierte und für keine Kaffeesorte so recht verwendbar. Woran liegt das?

Nach Auffassung von Elfriede Jelineks Kommentatorin Marlies Janz ist es bloß ein feministischer Mythos, in den Frauen ein subversives Potential zu vermuten. Verkörpert aber die Eva der Genesis nicht den Prototyp eines solchen subversiven Potentials oder steckt hinter ihrem Ungehorsam nur die Verunglimpfung eines mißgünstigen patriarchalischen Dünkels. Wie auch immer, Gorgo hat die Künstler der Renaissance in ihren Bann geschlagen. Sie wetteiferten, das Weibliche mit dem Grusligen, Greulichen und Ekligen schlangenhäuptig zu verbinden, was uns an Elisabeth Wrights Beitrag über „Die Klavierspielerin” erinnert, der unter dem Titel „Ästhetik des Ekels” aufscheint.

Aber schließlich entdeckten die Künstler des Manierismus einen noch viel tiefgreifenderen Gorgo-Effekt. Sie ließen die Schlangen weg, das mimetische Grauen, das den Menschen erstarren und töten soll. Worum sie sich nun in vielen Versuchen bemühten, war Schönheit, die sogar im Anblick des Entsetzlichen, das sie in sich selber trägt und das noch in ihren Mienen wetterleuchtet, schön bleibt. Wenn Sie das Buch zumachen, eines ist Ihnen gewiß: Sie sind Gorgo begegnet.

ELFRIEDE JELINEK. Herausgegeben von Heinz Ludwig Arnold. Text + Kritik, Zeitschrift für Literatur, Bd. 117. München 1993. öS 117,-.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung