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Wenige Tage vor der Paraphierung und feierlichen Vertragsunterzeichnung im Brüsseler Palais d'Egmont wurde das Ergebnis einer Meinungsumfrage über das Verhältnis der (befragten) Österreicher zu einem größeren (wirtschaftlichen) Europa veröffentlicht. Dabei wurde herausgestellt, daß acht von zehn befragten Personen der Ansicht sind, daß ein Zusammenschluß mit Europa dem neutralen Kleinstaat vorwiegend Vorteile bringen werde. Dieses Ergebnis muß angesichts der Tatsache, daß heute im wirtschaftlichen Bereich mit wenigen Ausnahmen kaum genaue Aussagen über die Auswirkungen der Verbindung Österreichs mit der EWG gemacht werden können, Bedenken erregen. Auch eine Studie des Wirtschaftsbeirates der Paritätischen Kommission, die Ende September veröffentlicht werden soll, wird die ökonomischen Effekte eines Beitritts Österreichs zur EWG nur sehr global quantifizieren können. Die ausgehandelten Bedingungen, gewiß nicht die besten, werden von der sozialistischen Regierung als vernünftig bezeichnet (für den agrarischen Sektor anserer Wirtschaft stimmt das bestimmt nicht), vermögen aber höchstens den allgemeinen Rahmen und einige Richtlinien zu geben. Abgesehen von politischen Aspekten, läßt sich vielleicht zusammenfassen, daß der Beitritt Österreichs zur EWG an wirtschaftlichen Vorteilen unmittelbar eine marginale Verbilligung einiger dauerhafter Konsumgüter (Kraftfahrzeuge, technische Artikel, Serienmöbel, Gebrauchsgüter) bringen wird, daß überhaupt das Sortiment breiter werden wird und daß schließlich auch Touristen nach dem 1. Jänner 1973, sofern sie aus EWG-Länder kommen, immerhin Waren im Einkaufswert von rund 3250 Schilling zollfrei nach Österreich einführen können (beispielsweise wird das zollfreie Zigarettenkontingent auf 300 Stück erhöht werden). Diesen Vorteilen steht als unmittelbarer Nachteil eine zusätzliche Belastung der Zahlungsbilanz gegenüber. Diese Belastung ist die Folge einer „Diskriminierung“ des österreichischen Exports.

1966 veröffentlichte das Institut für Angewandte Sozial- und Wirtschaftsforschung eine Studie über die „ökonomischen Probleme eines Vertrages zwischen Österreich und der EWG“. Darin werden Diskriminierungsraten des österreichischen Exports in die EWG wiedergegeben. Unter einer recht oberflächlichen Berücksichtigung der Veränderung der österreichischen Exportstruktur, insbesondere im Hinblick auf die zunehmende Verlagerung zugunsten der Exporte von Endfabrikaten, dürften sich heute die stärksten Diskriminierungsraten beim österreichischen Export nach den Beneluxstaa-ten und die geringsten beim Export nach Italien finden. Die Diskriminierungseffekte des Exports in die Bundesrepublik Deutschland dürften hingegen kaum ins Gewicht fallen.

Wenn diese Berechnung stimmt, dann würde das bedeuten, daß angesichts der starken Export-strukturänderungen insbesondere in den letzten fünf Jahren die Relation zwischen diskriminierten und nicht-diskriminierten Exporten in die EWG zugunsten der diskriminierten Exporte gestiegen ist; vielleicht auf 50 Prozent, vielleicht noch stärker?

Auf der anderen Seite ist aber die Schaffung substantieller Vorteile nicht zu unterschätzen, die vor allem in der Möglichkeit eines noch dynamischeren Wirtschaftswachstums durch die Öffnung zu einem größeren Markt zu erwarten sind. Freilich werden diese Erwartungen durch geographische, größenmäßige und verkehrspolitische Gegebenheiten etwas gedrückt. Weder die Randlage Österreichs in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, noch die ausgeprägten protektionistischen Züge der heimischen Wirtschaftspolitik und erst recht nicht die verhältnismäßig kleinen Betriebsgrößen werden das „standing“ Österreichs in der EWG verbessern. Freilich: unter der Annahme, daß die heimische Industrie die Gelegenheit, am Wachstum eines größeren Wirtschaftsraumes teilzuhaben, mit der erforderlichen Energie und Entschlossenheit nutzen wird, ist nicht zu bezweifeln, daß sich Österreichs Beitritt zur EWG auf lange Sicht für die heimische Wirschaft lohnen wird.

Abgesehen von der Kontingentierung der sogenannten „sensiblen“ Erzeugnisse ist der umstrittenste Punkt des EWG-Beitritts Österreichs wohl die Behandlung der agrarischen Forderungen. Nach EWG-Vorbild müßte Österreich ein ausgewogenes System von Abschöpfungen bei Importen und Erstattung bei Exporten für die in Verarbeitungsprodukten enthaltenen Agrarerzeugnis-sen (wie Vollmilchpulver, Stärke, Fett, Zucker) einführen. Geschieht dies nicht, sind die österreichische Landwirtschaft und viele Verarbeitungsbetriebe gegenüber der EWG-Konkurrenz, für die derlei Regelungen bereits gelten, nach Wirksamwerden des EWG-Vertrages stark im Nachteil. Die Regierung Kreisky verweigert aber Zuschüsse für Exporte, die ohnedies nicht mehr betragen würden als die Abschöpfung bei den Importen, wohl deshalb, um einen Keil zwischen ÖVP und Bauernbund zu treiben. Obwohl in dieser Frage sicherlich das letzte Wort noch nicht gesprochen wurde, ist die Tatsache, daß die sozialistische Regierung selbst beim Beitritt Österreichs zur EWG parteipolitisch taktiert, bezeichnend dafür, wie Kreisky und sein Team wirtschaftliche Probleme angehen.

Innerhalb des Gesamtbildes der wirtschaftlichen Auswirkungen eines Vertrages mit der EWG sind — neben der Landwirtschaft — auch noch die Chancen und Möglichkeiten einzelner Industriesektoren zu beurteilen. Die zum größten Teil nationalisierte Schwerindustrie wird unter noch stärkeren Konkurrenzdruck (Montanunion) geraten, an -dere Industriezweige, insbesondere die chemische Industrie, Teile der Nahrungsmittelindustrie (Brauereien!) dürfen dagegen dem EWG-Beitritt recht gelassen entgegensehen. Im österreichischen Dienstleistungsgewerbe (Hotellerie, Versiche-rungs-, Kreditwirtschaft) dürften sich mit dem Beitritt Österreichs zur EWG große Expansionsmöglich-keien eröffnen.

Schließlich aber ist ein zunehmender Wertpapierexport österreichischer festverzinslicher Wertpapiere, der sich für die Kreditinsitute rentabili-tätsverbessernd auswirken wird, zu erwarten. Diese Fragen sind deshalb von großer Bedeutung, weil sie letztlich mit der Aufwertung Wiens zu einem internationalen Finanzplatz zusammenhängen.

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