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Eine christliche Lebensweise gesucht

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Die Wissenschaften vom Menschen, etwa die Sozialpsychologie, sind sich ziemlich einig, wenn sie erklären sollen, welche menschlichen Bedürfnisse in unserer technisierten Zivlisation grob vernachlässigt werden, was den Menschen falsch leben läßt. Es werden mehrere Phänomene angeführt: Mangel an körperlicher Arbeit, Dauerüberflutung an nervlicher Stimulation, soziale Isolation und Identifikationsschwierigkeiten, mangelnde Gelegenheit zur Selbst-Aktualisierung, verwirrendes und beziehungsloses Massenangebot an Information und daher Orientierungsschwierigkeiten, mangelnde Ästhetik im Alltagsleben.

Ebenso ist ein allgemein akzeptierter Forderungskatalog schnell aufgesagt: Was die Menschen brauchten, ist Einfachheit und Stimulationsmäßigung, sind Identifikationsmöglichkeiten, Selbst-Aktualisierung und kreative Aktivität, Ästhetik.

Aber Diagnose und Therapievorschläge sind bisher nicht zum überzeugenden Ganzen eines Entwurfs „Wie heute leben?“ geworden, auch nicht der respektable Versuch einer Wiederbelebung antik-stoischer Tugendlehren („Haben oder Sein“) oder die gewiß richtige Forderung nach einem gesellschaftlichen Minimalkonsens über Grundwerte und Menschenrechte.

Denn „das Vakuum zwischen den Menschen und ihrem Verhängnis, in dem das Verhängnis recht eigentlich besteht“ (Adorno), ist mit bloßen Handlungsanweisungen nicht zu füllen. Die Erfahrung dessen, was Menschsein bedeutet, das Insgesamt allen Liebens- und Pflegenswerten, ist weithin von den Quellen abgeschnitten und verdorrt, von manipu-liert-aufgeklärter öffentlicher Meinung und bewußtlosem Handeln verschüttet.

Wo der Sinn für die Wirklichkeit herabgesetzt ist, wo es an äußeren . Halten für die Gesinnungen, und sogar an innerer Bestätigung für die redlichsten Entschlüsse fehlt, ist das, was nottut, nicht „eine gut verpaßte Ideologie“ (Freyer), nicht eine Zauberformel, die alles erklärt und löst, sondern ein „Anders Leben“ von der Art, die offen ist für Zukunft und Hoffnung.

Der Ruf nach einfachem Leben, die Verweigerung des bewußtlosen Mit-konsumierens ist vielleicht ein Signal: Der Prozeß der Entfremdung des Menschen - hier im Sinn des Briefs an die Epheser (4, 18) verstanden - ist nicht unentrinnbar.

Die Katholische Aktion Österreichs hat dieses Signal, das von vielen Initiativgruppen in und außerhalb der katholischen Kirche bereits gesetzt wurde, aufgegriffen und will für die kommenden Jahre die Frage „Wie heute leben?“ (Untertitel: „Auf der Suche nach einer christlichen Lebensweise“) in den Mittelpunkt ihrer Überlegungen stellen.

Ein Studientag Mitte Jänner im Bildungshaus Schloß Puchberg hat die Meinungsbildung ein gutes Stück weiter gebracht: Einmal im Abstekken des Arbeitsfelds - es geht nicht nur um einen anderen Lebens-„Stil“, sondern auch um die Frage, wovon und wofür der Mensch lebt; in der grundsätzlichen Orientierung, kein Programm für andere erstellen, sondern an der eigenen Änderung und Erneuerung arbeiten zu wollen; in der Abgrenzung gegenüber Roman-tizismen, aber auch gegenüber einem Sich-Drücken vor den Ansprüchen unserer Zeit; und all das im „Mut“, den Papst Johannes Paul II. uns immer wieder nahelegt.

„Katholische Aktion“ hat einen besonderen Bezug zum Thema; entspringt sie doch der Überzeugung, daß man etwas tun kann, daß die Dinge zum Besseren veränderbar sind, wenn viele Menschen die Ubereinstimmung im Erkennen der Wirklichkeit, in der Beurteilung und in der Motivation zum gemeinsamen Tun suchen.

Es ist klar, daß eine „revision de vie“ sowohl die Bereiche der persönlichen Lebensgestaltung betrifft als auch die der Primärgruppen und der großen gesellschaftlichen Zusammenhänge, wobei diese Problemfelder in ihrer wechselseitigen Bezo-genheit und gegenseitigen Abhängigkeit zu sehen sind. Damit sind auch die wichtigsten Aufgabenfelder der Katholischen Aktion genannt.

Eine Lebensweise, die dem einzelnen dazu verhilft, authentischer leben zu können, mehr Mensch zu sein, setzt, wie der Geistliche Assistent der KAÖ, P. Alois Kraxner, im Verlauf des Studientags darlegte, zu allererst die Betroffenheit von diesem Anspruch voraus. In der Hilfe zu der so schweren Selbsterkenntnis liege auch die Chance zur Veränderung.

Es bedürfe dann aber auch noch der Motive dafür, warum - und wie -der Mensch anders leben solle. Welchen Anteü, so wäre zu fragen, haben christliche Gemeinden an der Bekehrung und Befreiung des einzelnen? Was bleiben sie ihm schuldig? Sind schließlich die „Sakramente der Be-

kehrung'“, Taufe und Buße, in ihrer Bedeutung wirklich erkannt?

Größtmögliche Kommunikation, die aber nicht verformt und einengt, sondern fördert, gewährleisten am ehesten die kleinen Gemeinschaften - die Familien, aber auch verschiedene andere Gruppen, in denen Anerkennung, Bestätigung, Entfaltung der eigenen emotionalen Möglichkeiten, Geborgenheit, Orientierung erfahren werden.

KAÖ-Präsident Eduard Ploier stellte die Frage, ob die Gruppen der Katholischen Aktion in jedem Fall die „Schule der Heiligkeit“ (Paul VI.) seien, in der es sowohl Bildung und Aktion als auch Glaubenserfahrung und Gemeinschaft gibt.

Uber gesellschaftliche Entwicklungen, die das „Anders Leben“ nicht als Schwärmerei, sondern als Notwendigkeit für das Uberleben erkennen lassen, referierte Christoph Ga-spari. Auch er endete nach einem analytischen Teil und nach der Skiz-zierung eines „neuen Leitbilds“ gesellschaftlicher Entwicklung, das materielles Wachstum in einen größeren Zusammenhang stellt, mit einer Frage: „Ob die Christen sich dessen bewußt sind, daß sie die Lösung in Händen halten?“

„Auf der Suche nach einer christlichen Lebensweise“ - das kann wohl für einen Andersdenkenden merkwürdig zaghaft und unsicher klingen. Wie aber, wenn man damit Ernst machte?

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