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Eine Cohabitation Autrichienne haben wir schon

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Diskussion um die Kompetenzen des österreichischen Bundespräsidenten: Die Verfassung ist ein Vexierbild. Die geänderten Verhältnisse geben dem Präsidenten neue Möglichkeiten.

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Diskussion um die Kompetenzen des österreichischen Bundespräsidenten: Die Verfassung ist ein Vexierbild. Die geänderten Verhältnisse geben dem Präsidenten neue Möglichkeiten.

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Schauen wir uns das „Vexierbild” (Suchbild) präsidial an: Der Bundespräsident erlangte durch unmittelbare Volkswahl eine besondere Legitimation. Dadurch und durch die Befugnis der freien Kanzlerernennung und Regierungsentlassung erfuhr er eine große Aufwertung. Zu seinen vielen bereits bestehenden Aufgaben kamen überdies das Parlamentsauflösungsrecht, derOberbefehl über das Bundesheer und das Notverordnungsrecht. Dieses direkt gewählte Staatsoberhaupt vertritt die Republik schlechthin nach außen und ihm obliegt der innenpolitische wichtigste Akt, die Ernennung des Bundeskanzlers. Da er ihn und die gesamte Regierung auch entlassen kann, müssen sie ständig von seinem Vertrauen getragen sein. Sie sind ihm gegenüber politisch verantwortlich.

Schauen wir das Regierungssystem parlamentarisch an, so ist die Regierung die exekutive Spitze des Nationalrats: Die Regierung ist dem Parlament politisch und rechtlich verantwortlich (Mißtrauensvotum und Ministerverantwortlichkeit); Minister- und Abgeordnetenamt sind vereinbar (keine Gewaltentrennung); die Parlamentsauf lösung über Vorschlag der Regierung gehört wie das Mißtrauensvotum zum Instrumentarium des parlamentarischen Systems; nach wie vor ist der Bundespräsident durch das, nur durch wenige Ausnahmen durchbrochene Antrags- und Gegen-

Zeichnungsprinzip für alle seine Akte an die Bundesregierung gebunden; nach wie vor sind im Zweifel die Minister und die Regierung zuständig, während die Aufgaben des Bundespräsidenten erschöpfend aufgezählt sind.

Von der gewaltentrennenden Präsidentschaftsdemokratie ä la USA ist dieses System also grundverschieden. Dazu kommt, daß der Bundespräsident in der bisherigen Staatspraxis nicht jene politische Hauptrolle spielte, welche die Initiatoren der Novelle 1929 erwartet haben (siehe oben). Das lange Zeit herrschende Zweiparteiensystem stellte den Bundespräsidenten in den Schatten. In der Ära Kreisky ähnelte das praktizierte Regierungs-

System in vielem dem britischen.

Aus diesem Grund haben Staatsrechtslehrer und Politikwissenschaftler damals auch für die Einführung des Mehrheitswahlsystems plädiert. Das hätte klare Verhältnisse für Regierung und Opposition und für den Bundespräsidenten geschaffen. Die Kreiskysche Wahlrechtsreform führte allerdings im Gegenteil dazu zu einer Verfeinerung des Verhältniswahlsystems. Dieses bewirktmeistens eine Vielfalt von Parteien. In Österreich blieb diese Wirkung lange Zeit aus. Kreisky errang trotz des Wahlsystems absolute Mehrheiten und etablierte eine „Kanzlerdemokratie”. Er regierte wie ein britischer Premier. Im Laufe der Zeit zeigte aber das Verhältniswahlsystem Wirkung. Die großen Parteien wurden kleiner, die frühere Kleinpartei FPÖ wurde gTößer, es entstanden neue Parteien. Die faktische Kraft des Normativen verdrängt die „normative Kraft des Faktischen” von gestern.

Einer Regierung gegenüber, welche über die absolute Mehrheit im Nationalrat verfügt, ist der Aktionsspielraum des Bundespräsidenten klein (es sein denn, er wäre der ehemalige Chef dieser Partei). Er ist zwar nicht machtlos - die Macht des Bundespräsidenten auch gegenüber einer absoluten Mehrheit hat Jonas gegenüber der Regierung Klaus bewiesen, aber im Alltag und auf längere Sicht ist er reduziert.

Ganz anders in einem System von Parteien ohne absolute Mehrheit. Hier erweitert sich der Aktionsspielraum des Bundespräsidenten. Wenn die führenden Parteien kleiner werden und sich kein Parteiführer auf eine ständige Mehrheit stützen kann, so gibt es nur einen politischen Akteur, der eine absolute Mehrheit hinter sich hat; es gibt nur noch einen, der direkt demokratisch legitimiert ist und zumindest sechs Jahre lang stabil und sicher agieren kann: den Bundespräsidenten.

Die politische Landschaft hat sich verändert: Die Großen wurden kleiner und es gibt mehr Kleine. Nach den bisherigen Daten werden die nächsten Nationalratswahlen daran nichts ändern. Auch dann, wenn die beiden Koalitionsparteien in die Richtung einer strukturellen Koalitionsregierung steuern, können sie nicht mehr die Zweiparteienherrschaft von gestern ausüben. Zu vieles ist in Fluß gekommen.

Wenn der Bundespräsident sich für eine Hauptrolle in der Politik vorbereitet, so entspricht er den geänderten Tatsachen. Der Verfassungstext ist gleich geblieben, aber die Verhältnisse sind nicht mehr so. Es kommt aber bei allem Recht immer auch auf die damit verbundene Realität an. Sie kann die Elemente des Rechtes drehen und wenden, sodaß wie in einem Kaleidoskop die Elemente des Ganzen sich neu versammeln und ein anderes Gesamtbild ergeben. So kann sich das österreichische Regierungssystem künftig durchaus als „parlamentarische Präsidentschaftsrepublik” darstellen. Eine „gewaltentrennende Präsidentschaftsdemokratie” ä la USA kann es aufgrund der Verfassung nicht werden. Eine „Cohabitation Autrichienne” hatten und haben wir schon.

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