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Eine Diözese im Wartezimmer
Wer wird Wiener Erzbi-schof? Das ist eine seriös nicht beantwortbare Frage. Mehr läßt sich zu folgender Frage sagen: Was erwartet den neuen Wiener Metropoliten?
Wer wird Wiener Erzbi-schof? Das ist eine seriös nicht beantwortbare Frage. Mehr läßt sich zu folgender Frage sagen: Was erwartet den neuen Wiener Metropoliten?
Personalspekulationen sind, nicht nur in Österreich, aber hierzulande ganz besonders, ein beliebtes Spiel. Momentan läuft es unter dem Titel: Wer wird Erzbi-schof von Wien?
Doch die Beantwortung dieser Frage ist so sehr dem Einfluß der Öffentlichkeit entzogen (und das macht sie vermutlich zusätzlich interessant), daß es wenig seriös ist, bei diesen Spekulationen mitzumachen. Die Namen der mehr oder weniger aussichtsreichen Kandidaten sind bekannt, nun muß man die Entscheidung Roms abwarten.
Viel klarer als sein Name zeichnen sich die Aufgaben und Probleme ab, mit denen der künftige Erzbischof konfrontiert sein wird. Ob er aus der Erzdiözese Wien oder einer anderen Diözese kommt, bedeutet dabei nur einen graduellen Unterschied. Auch ein Kenner der Erzdiözese müßte sich nochmals auf einer neuen Ebene mit allen Licht- und Schattenseiten dieses Bistums gründlich auseinandersetzen und bewußt und tief in das Volk Gottes „hineinhorchen“.
Kirchen-Insider wünschen dem neuen Hirten zunächst einmal, daß er dazu die Zeit findet, daß er sich nicht sofort von den vielen Funktionen, die einem Wiener Erzbischof automatisch zufallen, „auffressen“ läßt, sondern möglichst viel davon delegiert, um für Kontakte mit Priestern, Laien und Ordensleuten frei zu sein, um hinausgehen zu können zu den Menschen seiner Diözese.
Laut Schematismus der Erzdiözese Wien ist der jeweilige Erzbischof zugleich Protektor des Kar-dinal-Innitzer-Stiftungsfonds und Vorsitzender des Kuratoriums des Stiftungsfonds „Pro Oriente“ (dem Lebenswerk von Kardinal König, weshalb ihm diese Funktion wohl auf Lebenszeit erhalten bleiben dürfte).
Natürlich ist der Erzbischof auch Vorsitzender der diözesanen Gremien Wirtschaftsrat, Pastoraler Diözesanrat und Priesterrat, und er leitet die wöchentliche Ordinariatssitzung mit den Spitzenfunktionären der Erzdiözese. Mit Kardinal König ist auch der Vorsitz des Afro-Asiatischen Institutes in Wien verbunden.
Üblicherweise wird der Wiener Erzbischof über kurz oder lang auch Vorsitzender der österreichischen Bischofskonferenz, ein Amt, das derzeit der ebenfalls in absehbarer Zeit abtretende Salzburger Erzbischof Karl Berg innehat. Daß Kardinal König von den Einrichtungen der Bischofskonferenz zuletzt nur „Justitia et Pax“ persönlich leitete, bedeutet nicht, daß nicht hier seinem Nachfolger weitere Aufgaben zufallen können.
Den neuen Erzbischof erwartet also ein voller Terminkalender, zumal das Interesse an dieser Persönlichkeit auch in außerkirchlichen Kreisen groß ist. Kardinal König, der sich besonders guter Beziehungen zu Diplomaten, Wissenschaftlern, Interessenvertretern erfreute, wurde mit Einladungen zu Empfängen geradezu überhäuft.
Trotzdem war der Kardinal immer zur Stelle, wenn es einem seiner Priester wirklich schlecht ging. Da nahm er sich umgehend für einen Spitalsbesuch oder zumindest ein Telefongespräch Zeit. Solche brüderliche Zuwendung wünschen sich viele Wiener Priester von ihrem neuen Hirten: Kollegialität und gleichsam ein Verbinden der Wunden, die ihnen in ihrem Priesterleben geschlagen wurden, Stärkung in Glauben, Hoffnung und Liebe.
Der neue Erzbischof soll also zunächst für die Menschen seiner Diözese dasein, soll sie — wie Kar-.dinal König - in den Pfarren, Schulen, Betrieben, Spitälern und Gefängnissen besuchen und hören, was sie auf dem Herzen haben. Dem Erzbischof fällt hier die Aufgabe zu, einheitstiftend zu wirken, auch ganz kleinen Pfarren zu zeigen, daß sie die kirchliche Zentrale nicht vergessen hat.
Der neue Hirte wird zwar die Herde sammeln müssen, dabei aber auch die Fernstehenden oder Abwandernden nicht übersehen dürfen. Er wird die kirchliche Statistik (siehe Kasten unten) betrachten und nach den Ursachen der vielen Kirchenaustritte und der geringen Zahl geistlicher Berufe forschen müssen. Und er wird der Frage nachgehen müssen, ob der Glaube wirklich, wie manche meinen, nun mehr in die Tiefe gehe, weil trotz sinkender Katholikenzahl der Kommunionempfang zunimmt.
Die Fronten, an denen die Kirche heute kämpft, sind klar: Da ist einmal das Problem der Verkündigung, der Erschließung der Glaubensinhalte, der Weitergabe des Religiösen an die folgende Generation, des Religionsunterrichtes. Gerade in Wien gibt es schon erste Volksschulklassen, in denen nur mehr ein einziges Kind das „Vater unser“ beherrscht.
Eine andere Sache ist die Rolle der Kirche in der Öffentlichkeit. In Zusammenhang mit der Einhebung des Kirchenbeitrages hat sie für manche den unangenehmen Beigeschmack einer quasi-staat-lichen, bürokratischen Instanz. Und womöglich glauben viele, daß sie mit ihrem Kirchenbeitrag auch den erzbischöflichen Haushalt samt Auto und Reisen erhalten, nicht wissend, daß diese Auslagen aus den Erträgen des Men-salgutes des Erzbistums Wien bestritten werden, weil Wiens Oberhirten aus historischen Gründen auch Großgrundbesitzer sind.
Kardinal Königs Sommersitz in Wien-Ober-St.-Veit wird ebenso dem neuen Erzbischof zufallen wie die Entscheidung über die Zukunft der Villa des verstorbenen . Erzbischofs Franz Jachym im gleichen Wiener Stadtteil. Jachym hatte diese Villa als Dompropst erhalten, als die alte Dompropst-Wohnung am Stephansplatz zum Dom- und Diöze-sanmuseum wurde. Der gegenwärtige Dompropst, Weihbischof Karl Moser, hat auf diese Villa verzichtet.
Dem neuen Metropoliten der Wiener Kirchenprovinz, zu der noch die Diözesen St. Pölten, Linz und Eisenstadt zählen, stehen aber nicht nur materielle, sondern vor allem geistige und personelle Entscheidungen bevor. Und oft hängen alle drei Aspekte zusammen, etwa, wenn es darum geht, ob bestimmte Posten wirklich mit hauptamtlichen Laienangestellten besetzt werden müssen. Setzt die Kirche aber hier — wie jüngst bei der Katholischen Arbeiterjugend — den Rechenstift an, kommt sofort der Vorwurf, die Hierarchie habe kein Herz für die Arbeiter.
Mangel herrscht zweifellos an Weihbischöfen. Die Lage in den drei Vikariaten (Wien-Stadt, Unter dem Manhartsberg, Unter dem Wienerwald) gilt insofern als unbefriedigend, weil in einem davon ein Weihbischof Bischofsvikar ist und in den anderen nicht. Der neue Erzbischof wird hier und bei diversen kirchlichen Einrichtungen —etwa bei der Caritas, wo Prälat Leopold Ungar zugleich mit Kardinal König ausscheiden wollte — sein eigenes Team wählen müssen. Es gilt auch, die während der Sedisvakanz frei gewordenen Pfarren definitiv zu besetzen. Es gilt überhaupt, die fähigsten Priester, Laien und Ordensleute bestmöglich einzusetzen. Der Wunsch nach einem Ordens-1 vikar und einem Personalreferenten für die Priester ist unüberhör-bar.
Man muß sich vor Augen führen, daß dem künftigen Erzbischof über die diözesanen Ämter hinaus Aufgaben von der Katholischen Akademie (der die'Baye-rische Katholische Akademie als Vorbild dienen könnte) bis zum Herold-Domverlag samt Wiener Kirchenzeitung zufallen, daß man gerade vom Wiener Erzbischof auch erwartet, er werde nach und nach eine ähnliche Rolle wie Kardinal König in der Weltkirche und im Kontakt mit dem Osten spielen, daß er daneben Messen lesen, Predigten vorbereiten und halten und sich selbst spirituell weiterentwickeln soll, um seine Mitbrüder stärken zu können. Der Mann müßte einem leid tun, dürfte man nicht hoffen, daß der Geist Gottes auf ihm ruhen wird.
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