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Eine Drogenmafia in die Politik ?

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In der Amnestie für die Untergrundkämpfer wittert Kolumbiens Drogenmafia eine Chance: Sie wollen sich die Freiheit erkaufen, indem sie das horrende Budgetdefizit des Staates bezahlen.

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In der Amnestie für die Untergrundkämpfer wittert Kolumbiens Drogenmafia eine Chance: Sie wollen sich die Freiheit erkaufen, indem sie das horrende Budgetdefizit des Staates bezahlen.

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Es ist Halbzeit für Belisario Be-tancur, der im August 1982 an den Wahlurnen überraschend das kolumbianische Präsidentenamt gewann. Der Höhenflug, den Kolumbien mit seinem Amtsantritt euphorisch nahm, konnte jedoch nicht durchgehalten werden:

Das von Betancur gegen große Widerstände erkämpfte Amnestieangebot an die verschiedenen Guerillagruppen drohte an den Drogenhändlern zu scheitern; die

Uberschuldungskrise, die in Mexiko oder Brasilien langsam in den Griff bekommen wird, beginnt in Kolumbien gerade erst.

Seit den späten vierziger Jahren lebt Kolumbien mit der „violen-cia", mit Bauernpartisanen und Guerilleros. Dieser Ausnahmezustand galt längst als Normalität. Erst der nationalkonservative Betancur packte ernsthaft eine Befriedungspolitik für das Land an. Deshalb scheuchte sein Amnestieangebot (dem ja halbherzige frühere Präsidenten vorausgegangen waren) ganz Kolumbien auf.

Uber informelle Kanäle ließ der Präsident mit den Aufständischen verhandeln. Mit Erfolg: Carlos Toledo Plata, der Chefideologe einer der Gruppen, der Bewegung 19. April (der M19 war es auch, der vor fünf Jahren in Bogota unter anderen Diplomaten den österreichischen Botschafter als Geisel hielt), nahm als prominentester unter vielen im Herbst 1982 das generelle Amnestieange-

bot an und tauchte aus dem Untergrund auf.

Aber die Verhandlungen waren schwierig, und Betancur machte sich mächtige Feinde, unter den Reichen, unter den Militärs, in der Drogenmafia. Immer wieder kam es zu Obstruktionsversuchen. So wurde am 10. August Carlos Toledo Plata ermordet. Die Provokation gelang. An die 100 M19-Kämpfer stürmten nur acht Kilometer außerhalb der Millionenstadt Cali das Gefängnis von Yumbo und holten 18 Häftlinge heraus. Zurück blieben mehr als ein Dutzend Tote und zahlreiche Verletzte.

Den ersten großen Durchbruch bei den langwierigen Einzelverhandlungen, die nach der Generalamnestie mit den Chefs der immer kleinen Guerillaarmeen folgten, gab es für Betancur im Mai. Ein Waffenstillstand mit der kommunistischen FARC konnte erzielt werden. Er soll ein Jahr gelten. Ein Jahr, das für Agrarreform und Sozialmaßnahmen genützt werden soll. Ein Jahr, in dem die Aufständischen — zum Entsetzen des Militärs — unter ihrem legendären Führer Manuel Marulanda Velez die Waffen behalten dürfen.

Auch die maoistische EPL ist bereit zu einem Waffenstillstand, der dieser Tage auch unterzeichnet wurde.

Es sind jedoch nicht solche Provokationen und Angriffe, welche Betancurs Friedensarbeit im eigenen Lande ernsthaft gefährden (Gefechte flammten in den vergangenen beiden Jahren immer wieder auf, aber ihre Zahl ist seit

mehr als drei Jahrzehnten nicht mehr so gering). Es sind die Drogenhändler, die ihm einen Strich durch die Rechnung zu machen drohen.

Kolumbianer begannen in den sechziger Jahren Marihuana anzubauen. Erst in den siebziger Jahren kam Kokain dazu, das derzeit eine höhere Rendite abwirft als der Kaffeebau.

Die Regierung Betancur ergriff Gegenmaßnahmen, um die gigantischen Beträge an Schwarzdollar unter Kontrolle zu bringen. Die Steueramnestie, welche das Geld „hereinholen" sollte, machte den Drogenkapos jedoch noch Appetit auf mehr — sie versuchten die Politikerfinanzierung. Betancur eröffnete daraufhin den totalen Krieg gegen die überheblichen Kapos. Es gab Erfolge, aber auch bitterste Niederlagen, wie die Ermordung des hart durchgreifenden Justizministers Lara Bonilla im heurigen Frühjahr.

Die Kapos sahen sich zunehmend unter dem Druck der Regierung und wollten — sich als „Feinde des Staates" deklarierend — wie die Guerilla Anspruch auf Amnestie. Ein denkwürdiges Gespräch in einem Hotelzimmer in Panama, bei dem niemand geringerer als der angesehene Expräsi-dent Lopez Michelsen die wichtigsten Kapos traf, präzisierte die Wünsche der Drogenhändler.

Gegen Straffreiheit für alle Angehörigen der Rauschgiftindustrie würde man die Produktion in Kolumbien einstellen, die Ausrüstung (vor allem Fahr- und Flugzeuge) dem Staat übergeben und obendrein das horrende Budgetdefizit Kolumbiens aus der

eigenen (Drogenhandels-)Börse abdecken. Ein weiteres Verhandlungsangebot der Drogenmafia fand sich kurz nach dem paname-sischen Treffen in die Aktentasche des Generalstaatsanwaltes Jimenez Gomez geschmuggelt...

Die Kolumbianer wissen nicht, ob sie über solch atemberaubenden Enthüllungen (Lopez Michelsen schilderte dieser Tage selbst die Details in einer Tageszeitung) lachen oder weinen sollen. Klaren Kopf behielt allerdings der Präsident: Nein, ist seine Antwort, er verhandle nicht mit den Drogenkapos, er werde die gefaßten Rauschgifthändler allesamt den USA ausliefern!

Obwohl damit eine der wichtigsten Forderungen der Vereinigten Staaten, in die das Rauschgift fließt, nun doch erfüllt wird, kommt gerade von dort keine Hilfe. Im Gegenteil: US-Botschafter Lewis Tambs wittert hinter der Guerilla und den Drogenhändlern eine marxistische Verschwörung, die — von Kuba gelenkt — bis nach Nikaragua reicht. Dieser unrealistische Vorwurf gemeinsam mit den kecken Forderungen der Drogenhändler überschattet Betancurs Versuch, das große Land mit den kleinen, aber seit Jahrzehnten agierenden Guerillagruppen auszusöhnen.

Belisario Betancur ist auch ein Friedensunterhändler im Ausland. Er ist die führende Persönlichkeit der Contadora-Staaten-Gruppe, die um einen Frieden in

Mittelamerika ringt. Er hat aus Kolumbien, das lange Zeit als US-Jasager außenpolitisch nicht ins Gewicht fiel, eine lateinamerikanische Führungsmacht geschmiedet.

Allein, der Preis ist hoch. Statt der wirtschaftlichen Belebung, die er sich von seiner „reactivaci-on economica" für einen „Wandel mit Gerechtigkeit" (zwei seiner Wahlslogans) versprach, stellte sich eine lähmende Depression ein, die von steigender Arbeitslosigkeit, Firmenzusammenbrüchen, und einem selbst für kolumbianische Verhältnisse jedes Maß überschreitenden Budgetdefizit begleitet ist.

Da obendrein die US-Kommerzbanken, von Kolumbiens Beitritt zu den Blockfreien verschreckt, die Geschäfte einfroren, griff die Regierung auf die satten fünf Milliarden Dollar Devisenreserven zurück. Heute sind davon nur noch zwei Milliarden übrig und die Staatsschuld steht bei 6,6 Milliarden Dollar. Ob Kolumbien in den kommenden Monaten seinen Verpflichtungen nachkommen kann, ist ungewiß.

Die Widersprüchlichkeiten des Landes zeigen sich auch auf dem Wirtschaftssektor. Die Krise schüttelt das Land kurz vor einem sicheren Wirtschaftsboom. In einem halben Jahrzehnt wird das traditionelle Kaffeeland ganz anders aussehen: die Kohleexporte werden die Gewinne aus der Kaffeewirtschaft übertreffen; der Abbau von Nickelerzen läuft gerade an; die schrittweise Fertigstellung großer Wasserkraftwerke (an deren Planung auch österreichische Fachleute mitgearbeitet haben) stellt immer mehr Energie zur Verfügung; Erdölfunde der letzten Wochen lassen eine Verdoppelung der Förderung erwarten — was Kolumbien wieder zum ölexporteur machen wird.

Aber solche volkswirtschaftlich erfreulichen Aussichten helfen der Bevölkerung nicht über den jetzt so trüben Alltag hinweg. Wenn die Alarmsignale nicht täuschen, wird es zum Jahreswechsel Streikwellen und Hungermärsche geben.

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