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Eine echolose Trommel

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Gewisse Dinge zu schreiben, ja sich selbst einzugestehen, fällt manchmal schwer. Wenn aber schon danach gefragt wird, besser die Aufrichtigkeit. Die Presse der Zweiten Republik hat per Bilanz — dreißig Jahre sind der Zeitraum ::eirter Generation — nicht gewußt, das internationale Erbe vergangener Epochen an Wirkung und Ansehen in die Gegenwart hinüberzunt-ten.

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Gewisse Dinge zu schreiben, ja sich selbst einzugestehen, fällt manchmal schwer. Wenn aber schon danach gefragt wird, besser die Aufrichtigkeit. Die Presse der Zweiten Republik hat per Bilanz — dreißig Jahre sind der Zeitraum ::eirter Generation — nicht gewußt, das internationale Erbe vergangener Epochen an Wirkung und Ansehen in die Gegenwart hinüberzunt-ten.

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Die Verbreitung unserer Zeitungen im Ausland ist technisch unzulänglich und in der Erscheinung unauffällig bis zur totalen Eklipse. Es ist eine Kunst, Schwerarbeit und Wette mit sich selbst, in London, Paris oder Rom ein Blatt aus der Heimat zu finden. Gelingt es, hat die Zeitung nur noch einen historischen Wert. Die deutschen und die Schweizer Erzeugnisse tragen dagegen das Datum des Tages, schlimmstenfalls des Vortages, und werden überall angeboten.

Das ist leicht zu erklären. Die Schuld trifft kaum oder gar nicht die Vertriebsorganisationen. Die sieben Millionen Bürger der heute durchaus in der Nachära des späten Wirtschaftswunders gut etablierten Alpenrepublik und die zahlreichen, aber stark verstreuten Auslandsösterreicher bilden in den weiten Räumen von Stockholm bis Madrid und von London bis Rom doch keinen lohnenden Markt. Das Zeitungswesen hat außerdem mit der allgemeinen Wirtschaftsexpansion nicht Schritt gehalten. Die Verlage können sich eine reine Prestige-Politik ohne effektiven Verkauf jenseits der Grenzen nicht leisten. Die zwei wirklich „Großen“ begnügen sich damit, den Saisonmarkt des Fremdenverkehrs in Ballungsgebieten der österreichischen Präferenzen — nicht fern der Heimat — zu bedienen. Warum gilt das aber nicht auch für die Schweizer? Die führenden Titel der zwei größten helvetisehen Sprechgruppen -sind überall zu finden. Oder: Selbst die Zeitungen esoterischer Zunge, die schwedischen und holländischen, sind international weitaus stärker verbreitet und besitzen eine unvergleichlich größere geistige Ausstrahlungskraft.

Das ist das eigentlich entscheidende Kapitel: die Wirkung von Ideen und Meinungen, der Einfluß auf den internationalen Informationsmarkt. Sie kommen durch die Häufigkeit der Zitierung und der, deklarierten Übernahme von Exklusiv-Nachrich-ten zum Ausdruck. Der Vergleich mit den drei Intelligenzblättern der Bundesrepublik, mit den Namen wie „Times“, „Guardian“, „Le Monde“, „Figaro“ oder einem halben Dutzend von Zeitungen Mailamds und Roms wäre nicht fair; aber mit der „Neuen Zürcher Zeitung“, der. „Basler Nationalzeitung“, dem' „Journal de Ge-neve“, der „Gazette de Lausanne“, ja sogar den „Dagens Nyhieter“ oder dem „Aftonbladet“? Die Zitate und die Quellenangabe aus den österreichischen Meinungs- und Informationszeitungen sind dagegen im europäischen Streuungsgebiet — über den Daumen gepeilt — nicht einmal in einem Verhältnis von eins zu zehn zu finden.

Nicht loyal wäre es auch, an den Anfang dieses Jahrhunderts zu erinnern, Die historischen Titel von Wien, Budapest und Prag waren Träger der öffentlichen Meinung und der Informationen einer politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Großmacht. Aber die Zeit der Ersten Republik? Die Leitartikel der „Neuen Freien Presse“ oder des „Wiener Tagblatts“ waren überaus wichtige Gesprächspartner im permanenten Dialog der gewichtigen europäischen Autoren von Leitartikeln und Redakteuren der Meinungsseiten; die Berichte.der Korrespondenten und Reporter eine Quelle der internationalen Nachrichten. Die Erste Republik war außerdem ein Nährboden von für jene Zeit neuen, typischen, ausschlaggebenden, internationalen Ideen und Vorstellungen der Politik und der gesellschaftlichen Gestaltung. Diese Intellektuali-tät des Austro-Marxismus und, des christlichsozialen. Korporativismus machte die „Arbeiterzeitung“ oder die „Reichspost“ zu den großen Akteuren einer wahrhaft europäischen, prinzipiellen Auseinandersetzung.

Nun, damit soll nicht etwa neuen Bürgerkriegs-Ideologien das Wort geredet werden, nur um — aus Standesdünkel — einen stärkeren Widerhall der österreichischen Pressestimmen im Ausland herbeizuführen. Die Konsens-Grundlage der Zweiten Republik ist ein zu teures Gut. Ein ähnlicher politischer und sozialer Burgfriede und die liberale Grundtendenz der Eidgenossen sind jedoch für die Schweizer Presse kein Hindernis, in die Welt auszustrahlen.

Die Schuld ist nicht Europa zuzuschreiben. Eine geistige Aufnahmebereitschaft gegenüber Österreich ist vorhanden. Die großen Nachrichtenagenturen verbreiten auch österreichische Pressestimmen in ihren Diensten. „Die Presse“, „Salzburger Nachrichten“, „Kleine Zeitung“, „Arbeiter-Zeitung“, auch „Kurier“ und „Kronen-Zeitung“, werden hie und da auf diesem Wege zur Ehre der Zitatswürde erhoben. Viel weniger aber als die vergleichbaren Organe anderer Länder. Und das aus zwei Gründen, die miteinander — und mit der technischen Schwäche des internationalen Vertriebs unserer Verlage — etwas zu tun haben.

Weitaus am häufigsten wird noch „Die Presse“ international beachtet; allein daraus, die Verteilung der Inhaltsgewichte vergleichend, kann man den Schluß ziehen, daß die Zeitungen der Zweiten Republik relativ zu wenig Raum und qualifizierte geistige Kräfte der* Informationsund Meinungsbereichen der internationalen Politik widmen. Deshalb sind sie kein voller Partner des unablässigen intellektuellen Dialogs, der im gedruckten Wort über alle Grenzen hinweg geführt wird. Die rare Beachtung in den fremden Spalten ist also nicht Ausfluß einer direkten und ständigen Lektüre ausländischer Redakteure, sondern eher einer gelegentlich willkommenen Übernahme aus der ohnedies schablonenhaften und auf eine besänftigende Mittelwelle eingestellten Auslese der-Agenturdienste. Die Journalisten sind aber doch das dankbarste Lesepublikum für die Kollegen der jeweils anderen Redaktion. In unseren österreichischen Spalten, deren Inhalt: an sich durch eine wahrhaft europäische' und schon seit Jahrzehnten sich international wieder stark ausbreitende Sprache begünstigt wäre^finden indessen die europäischen Standesgenossen offensichtlich zu wenig Neues oder Tiefgründiges oder Aufregendes, Herausfordendes; etwas, woran sie nicht vorbeigehen könnten.

War ' also etwas grundsätzlich falsch an der Blattgestaltung und Personalpolitik der Verlage? Ist in den Zeiten des florierenden Zeitungsbooms und der,großen Nach-kri'egsauf lagen . die , Weichenstellung versäumt Worden?-Hat man in manchen Fällen das gut und erfolgreich Begonnene der Degenerierung in der Alltagsbequemlichkeit anheimfallen lassen? Der Hilflosigkeit einer Zeitungspolitik,, die in Bastelarbeit entstandene Löcher stopft und auf diese Weise nie die Fähigkeit zur zukunftsträchtigen Investition aufbringt, ausgeliefert? Ein Journalist soll sich indessen wahrscheinlich nicht zum Richter über Verleger und Unternehmer machen. Denn nicht minder angebracht ist die Frage, ob wir österreichischen Journalisten auch' immer im Bewußtsein der internationalen Aufgabe, im Ehrgeiz zum europäischen Dialog und mit adäquatem Einsatz an Mühe, Bildung, Temperament sowie intellektuellem Mut und Aufstand ans Werk gegangen sind? Oder scheint es uns doch wenig zu berühren, daß die Trommel, die wir zu rühren vorgeben, selbst im eigenen Lande niemanden mehr wachzurütteln scheint und in Europa ohne Echo bleibt?

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