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Eine einmalige Episode?

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Am Anfang stand der Hitler-Stalin-Pakt, mit dem die beiden Diktatoren die künftige Beute untereinander aufteilten. Am Ende stand die Vertreibung von 20 Millionen Deutschen aus ihrer Heimat, die Gefangenschaft von mehreren Millionen Soldaten hinter Stacheidrah t. Dazwischen lagen fünf Jahre Krieg, lag der Tod von 20 Millionen, lag die Deportation von weiteren Millionen Menschen in den besetzten Gebieten.

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Am Anfang stand der Hitler-Stalin-Pakt, mit dem die beiden Diktatoren die künftige Beute untereinander aufteilten. Am Ende stand die Vertreibung von 20 Millionen Deutschen aus ihrer Heimat, die Gefangenschaft von mehreren Millionen Soldaten hinter Stacheidrah t. Dazwischen lagen fünf Jahre Krieg, lag der Tod von 20 Millionen, lag die Deportation von weiteren Millionen Menschen in den besetzten Gebieten.

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Im Osten spricht man heute nicht mehr gerne über den Nichtangriffspakt zwischen dem Deutschen Reich und der Sowjetunion vom August 1939, noch weniger vom geheimen Zusatzabkommen, in dem die Interessensphären gegenseitig abgegrenzt wurden.

Einerseits paßt der Vertrag in den heute wieder gerne gebrauchten Tau-roggenmythos-aufdem die Geschichtstradition der DDR basiert -, andererseits gibt man nicht gerne zu, daß man einst mit Deutschlands Gottseibeiuns paktiert hat - und schon gar nicht, daß der Besitz der Baltenstaaten darauf zurückgeht.

War der Pakt eine „einmalige Episode" - oder Ergebnis des „Kalküls zwischen Macht und Ideologie", des Zusammentreffens von Interessenkön-stellationen, die zwei diametral entgegengesetzte Ideologien Tür einen Moment zusammenführten?

Andreas Hillgruber, Historiker der Universität Köln, greift bis auf die unmittelbare Nachkriegszeit zurück, um diese Frage zu beantworten. Die siegreichen Alliierten, England, Frankreich und die USA, setzten alles darein, das besiegte Deutschland machtlos, aber auch die-enttäuschten Mitkämpfer

„So konnte der Krieg in der Konstellation beginnen, die Stalin seit 1925 als die günstigste anvisiert hatte."

Italien und Japan in Schranken zu halten und die ideologisch unheimlichen Sowjetrussen durch den baltisch-ostmitteleuropäischen Cordon sanitaire abzuschirmen.

Seit 1930 begann dieses Konzept zu wanken. Japan eroberte die Mandschurei. In Deutschland propagierte Hitler offen, die Fesseln von Versailles sprengen zu wollen.

Stalin seinerseits hatte alles Interesse, die Konflikte zwischen den „imperialistischen Mächten" zu schüren, mochten sie nun Rechtsdiktaturen oder Demokratien sein.

Entscheidend für Stalin, mit Hitler zu kooperieren - nachdem lange Gespräche zur Bildung einer Antihitler-front ergebnislos geblieben waren - waren nicht die Gebietsgewinne, die ihm Hitler zusicherte, sondern sein Wille, den Krieg der „imperialistischen Mächte" gegeneinander auszulösen, mit Hitler als Handelndem, der die Entfesselung besorgte, schreibt Hillgruber. So konnte der bevorstehende Krieg genau in der Konstellation beginnen, die Stalin seit 1925 stets als die für die Sowjetunion günstigste anvisiert hatte.

Er mußte dabei Hitler unterstützen, um zu vermeiden, daß Deutschland sehr rasch der vermeintlichen westlichen Ubermacht unterlag - denn dann wäre die Sowjetunion plötzlich an ihrer Grenze mit einem geschlossenen „imperialistischen Block" konfrontiert gewesen.

Stalin verschätzte sich, als er meinte, der Krieg würde sich wie 1914 in Frankreich festbeißen. Und er verschätzte sich nochmals, als er glaubte, Hitler würde es nicht wagen, die Sowjetunion anzugreifen, solange der Krieg im Westen nicht entschieden war.

Hitler aber stand unter Zeitdruck. Er wollte seinen Traum, die Ukraine als Nahrungsbasis für Deutschland, verwirklichen, bevor noch die USA in den Krieg eingetreten wären.

Als dann nach Hitlers Uberfall auf die Sowjetunion doch noch die Koalition zwischen Ost und West zustande kam, war auch das Schlagwort vom „Antifaschismus" geboren, das vortäuschen sollte, es gäbe eine Gemeinsamkeit zwischen den Demokratien des Westens und der kommunistischen So-

wjetunion - eine Illusion, die sich bis heute erhalten hat.

Klaus Hildebrand, Historiker der Universität Münster, zieht den Hitler-Stalin-Pakt als Beispiel dafür heran, wie brüchig die Begriffe „Faschismus" und „Antifaschismus" sind und daß in gewissen Grenzen der Begriff „Totali-tarismus" besser die Gemeinsamkeiten zwischen Rechts- und Linksdiktaturen hervorhebt.

Hildebrand schließt mit der Frage „in gewisser Parallele zu den dreißiger Jahren und doch in einem gänzlich veränderten Umfeld", welche Chancen heute für eine demokratisch geprägte Außenpolitik angesichts diktatorischer Herausforderungen existieren.

KALKÜL ZWISCHEN MACHT UND IDEOLOGIE. Der Hitler-Stalin-Pakt - Parallelen bis heute? Von A. Hillgruber und K. Hildebrand. Edition Interfrom. Zürich 1980. 75 Seiten, öS 63,30

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