6813996-1972_50_03.jpg
Digital In Arbeit

Eine europäische Schleditwetterzone

19451960198020002020

• „Thus one finds, that the argumenta of communist anti-anti-communism also appear among non-conimunist opponents of anticommunism.“ (Marxism, Communism and Western Society, A Comperative Encyclopedia, 1972, Seite 131.) • „Der kalte Krieg hatte für konservativ-reaktionäre Kräfte in Deutschland lebenswichtige Bedeutung- Er erlaubte die Pflege einer ununterbrochenen Tradition, des Antikommunismus ... (Angesichts) des Vorwurfs kommunistischer Infiltration oder auch nur des Kontakts mit Kommunisten — wurde letzten Endes die Beteuerung des Antikommunismus selbst für die Opposition (damals: SPD) lebensnotwendig.“ (Karl H. Bonner, Deutschlands Jugend, 1967, Seite 69.) • „(Dann) begann die Renaissance des Marxismus und des Anarchismus. Vielleicht drei, vier, fünf Jahre empfand und handelte die Linke als Einheit. Der (Kampf gegen den) CDU-Staat hielt sie zusammen.“ (Gerhard Szezesny, Club Voltaire, in: Das sogenannte Gute / Vom Unvermögen der Ideologien, 1971, Seite 10.)

19451960198020002020

• „Thus one finds, that the argumenta of communist anti-anti-communism also appear among non-conimunist opponents of anticommunism.“ (Marxism, Communism and Western Society, A Comperative Encyclopedia, 1972, Seite 131.) • „Der kalte Krieg hatte für konservativ-reaktionäre Kräfte in Deutschland lebenswichtige Bedeutung- Er erlaubte die Pflege einer ununterbrochenen Tradition, des Antikommunismus ... (Angesichts) des Vorwurfs kommunistischer Infiltration oder auch nur des Kontakts mit Kommunisten — wurde letzten Endes die Beteuerung des Antikommunismus selbst für die Opposition (damals: SPD) lebensnotwendig.“ (Karl H. Bonner, Deutschlands Jugend, 1967, Seite 69.) • „(Dann) begann die Renaissance des Marxismus und des Anarchismus. Vielleicht drei, vier, fünf Jahre empfand und handelte die Linke als Einheit. Der (Kampf gegen den) CDU-Staat hielt sie zusammen.“ (Gerhard Szezesny, Club Voltaire, in: Das sogenannte Gute / Vom Unvermögen der Ideologien, 1971, Seite 10.)

Werbung
Werbung
Werbung

Realpolitiker sind es jeweils gewesen, die sich angesichts einer Gewalt der Tatsachen aus ideologischen Verstrickungen lösen wollten; und die so dem Kommunismus in einigen der gefährlichsten und entscheidendsten Phasen seiner bisherigen Machtentfaltung geholfen haben: 1917 der konservative Reichskanzler Beth-mann-Hollweg, der Lenin und seinen Begleitern die Rückkehr aus dem Exil in der Schweiz in das bereits von der Revolution erschütterte Rußland ermöglicht und nachher die Machtergreifung durch die Minorität der Bolschewiken mitfinanziert hat. 1939 jener Führer und Reichskanzler Adolf Hitler, der bei Kriegsausbruch ausdrücklich erklärte, er sei kein Bethmann-Hollweg, der aber vorher Stalin gerade jene Gebietserweiterungen konzedierte, die eine absolute Vormacht des Kommunismus in Ostmitteleuropa gewährleisten. 1972 der Antagonist Hitlers, Bundeskanzler Willy Brandt, mit dessen Ostverträgen die von Stalin erreichten ungeheuren Gebiets- und Einflußerweiterungen in Europa verifiziert und unangreifbar gemacht wurden. Während dieser Beihilfen zum Machtaufschwung des Kommunismus geschah es anderseits in Deutschland, daß 1917 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die späteren Gründer der KPD, von der kaiserlichen Regierung in Haft gehalten wurden; daß 1939 jene deutschen Kommunisten, deren der Geschäftspartner Stalins habhaft werden konnte, in KZ-Haft verblieben; und daß 1972 die KPD in der BRD nach wie vor verboten ist.

Diese und manche andere Zwiespältigkeiten mußten zur Folge haben, daß in Deuschland, so wie in anderen Staaten der freien Welt des Westens, der Antikommunismus unglaubwürdig wurde und jene leichtes Spiel bekamen, die besonders seit den sechziger Jahren anfingen, den Antikommunismus politisch „ungefährlich“ zu machen. Wäre jetzt Win-ston Churchill noch am Leben, er müßte seinen sowjetischen Verbündeten von 1942 zugestehen: This is their flnest hour.

Während jetzt der nach 1945 von den USA instruierte Antikommunismus der freien Welt des Westens von einem aufkommenden Anti-Antikommunismus demontiert und ein „entideologisierter, rein sachgerechter Nichtkommunismus“ modern wird, bleibt „in the Soviet view the nature of anticommunism... un-changed in spite of, or because of, the establishment of Soviet power“ (Encyclopedia, a. a. O. Seite 131). Nach dieser unveränderlichen kommunistischen Anschauung ist und bleibt Antikommunismus das widerliche Monster, an dem vor allem die häßlichen Auswüchse wie Kapitalismus, Imperialismus, Militarismus, Kolonialismus und pfäfflsches Polit-christentum bestehen bleiben. Ein Instrument der Agitation und Propaganda gegen die „sozialistische Gesellschaftsordnung“, die kommunistischen Parteien und die marxistischleninistische Lehre. Und: der kommunistische Osten hält seine Freund-Feind-Verhältnisse in strenger Ordnung:

Mögen auch in einzelnen Volksdemokratien zuweilen Kräfte am Werk sein, die ihrem Land eine größere Unabhängigkeit vom Kreml erwirken möchten; mögen dort Kommunisten von „Konstitutionalisierung“ des Regimes, von Quasiliberalisie-rungstendenzen reden: zuletzt behauptet sich in diesen Ländern jedenfalls ein von Kommunisten besetzter und gesteuerter Machtapparat, der über „Andersdenkende“' mit drakonischen Strafen herzieht. In jüngster Zeit hat Francois Fejtö im 2. Band seiner Geschichte der Volksdemokratien (Styria, Graz 1972) diese Faktizität nachgewiesen.

In der freien Welt des Westens hält man es anders. Dort hat sich in den sechziger Jahren eine „nüchtern-kritisch einschätzende Erscheinungsform des Antikommunismus“ sehr entschieden und in politisch relevanter Manier von jenem „unqualifiziert-emotionalen Antikommunismus“ distanziert, für den Todesopfer an der Berliner Mauer nicht nur Verstand und Wissen betreffen, sondern: Empflndungskraft, Gefühlsstärke. Und dieser letzteren Form des Antikommunismus wird angelastet (Hinweis: Meyers Lexikon 1971 ff.), er sei nach wie vor gegen „alle Erscheinungsforanen und Äußerungen des Kommunismus“; so, als wäre die kommunistisch« Ideologie ein Selbstbedienungsladen für westeuropäische Liberale, in dem die Kommunisten Einkäufern aus der freien Welt des Westens gestatten, ein „bisserl Kommunismus“ einzuholen.

Im Verlauf der sechziger Jahre haben vor allem Linksintellektuelle in der BRD und in Österreich die Ansicht verbreitet, wonach Antikommunismus und Neonazismus in einer Linie zu sehen sind. IBI, damals ein Informationsblatt der Bundesparteileitung der ÖVP, berichtete von einer „Umfunktionierung des CV“ in Österreich; dementsprechend sei die „österreichische Studenten-Union“ daran, die „österreichische Linke links zu überholen“, wobei sie die rückständigen Alten als „reaktionär, kapitalistisch und imperialistisch“ disqualifizieren wolle. Austro-Impe-rialismus, Modell 1969, wäre ein lok-kender Diskussionsgegenstand; aber sicher nicht lockender als die damals gleichfalls an den Pranger gestellte „Konfessionalität“ derer, die kurz nachher als „Christdemokraten“, als „Berufschristen“ klassifiziert wurden. Das war um die Zeit, als auch in der Deutschen Burschenschaft anläßlich des 150. Jahrestages ihres ersten Wartburgfestes die Blickwendung nach links erkennbar wurde. Und als im Umkreis der Theologie die Interpretation eines „christlich-progressiven Denkens“ hörbar wurde, in dem sich „fast alle neueren Theologen“ und „marxistische Denker wie Ernst Bloch“1 gefunden haben (Carl Amery, Das Ende der Vorsehung, 1972). Ernst Bloch aber stand 1965 im Mittelpunkt des Symposiums zur 600-Jahr-Feier der Universität Wien, bei dem unter Anleitung der „österreichischen Studenten-Union“ die Präsentation der Neuen Linken im Jahrzehnt der Marx-Renaissance in Österreich arrangiert wurde.

Wahlen werden, so wie Kriege und Bürgerkriege, nicht erst dann entschieden, wenn die Massen aneinandergeraten. Sie sind entschieden, wenn „in the minds and hearts of the people ... the radical change in the principles, opinions, sentiments und affections“ stattgefunden hat (John Adams über den Aufstand der Amerikaner gegen die britische Krone.)

Solche radikale Veränderungen haben in den sechziger Jahren das geistige und das politische Klima in Deutschland und Österreich umschlagen lassen. Viele „Christdemokraten“ und nicht wenige ihrer Funktionäre haben diesen Wandel verschlafen; andere wollten ihn nicht gelten lassen und erstarrten in der bloßen Abwehr; und einige fingen an, mit einer zuweilen naiven Mimikry den aufkommenden Sinistrismo nachzuahmen. In Ländern, in denen es wohl eine organisierte Linke und eine definierte Neue Linke gibt, wollte niemand bei seiner Standortwahl über die Mitte nach rechts hinaus kommen. Nicht etwa deswegen, weil von dort her neuerdings eine revolutionäre, gewalttätige und terroristische Bewegung unterwegs war (diese kam ja von links), oder weil ihm die Programme und Organisationen der politischen Rechten nicht zusagten (in Österreich lehnt es jede im Nationalrat vertretene Partei ab, irgendwie rechtsorientiert zu sein); sondern: weil links seit den sechziger Jahren „in“ war und es laut Aussage der Linksintellektuellen unmöglich ist, daß ein gebildeter Mensch einem Rechtsdenken nachhängt. Denn: „Links“ und „Intellektueller“ sind nicht nur sprachlich, sondern auch begrifflich untrennbar verbunden.

In der Stunde der Niederlage, die am 19. November 1972 die „Christdemokraten“ in der BRD erlitten haben, konnte auch die von den Massenmedien aufgezogene Show die Stunde der Wahrheit nicht verdunkeln. Und die Wahrheit ist, daß die christlichen Demokraten in ihrer Rundumverteidigung standhalten konnten, wo, wie im sozialdemokratisch regierten Hessen, ein Alfred Dregger ihre Alternativen in der Innen- und Außenpolitik klar und überzeugend aufzeigen und beweisen konnte. Und sie hatten Erfolge dort, wo, wie zum Beispiel in Bayern, die christliche Substanz noch nicht ausgelaugt ist wie andernorts durch „wissenschaftliche“ Modernitäten rheinländischer und westfälischer Theologen. Nicht honoriert haben die Wähler offenbar gewisse Experimente einer Gefälligkeitspolitik, in der „Christdemokraten“ sich „linkischer als die Linke“ geben wollten. Und nur wenige verstanden Reverenzerweisungen wie jene für den rechtzeitig mit dem Nobelpreis politisch nobilitierten Heinrich Boll, der zwar seine Kirchensteuer schuldig bleibt, dafür aber seinen Sprachschatz in den Kampffonds der vereinigten Linken einbrachte.

Der Anti-Antikommunismus der sechziger Jahre und seine Alliierten haben Franz Joseph Strauß verteufelt. Nicht wenige „Christdemokraten“ nahmen volle Deckung, wenn die politische Luft bleihaltig war von den Dumdumgeschossen, die die Linke in ihrer Propaganda verschießt. Und doch ging das gesunde Volksempfinden, Common Sense in der anglo-amerikanischen Politologie, mit Strauß, machten dieses Empfinden die geistigen Hochnebel der Intellektuellen nicht irre.

Keinen Eselsritt für Rainer Barzel! In der historischen Fernsehdiskussion bewies er, worin er Willy Brandt voraus war und bleibt. Aber die Show des Jahres 1972 ging in der BRD an Brandt, so wie sie 1959 in den USA an Kennedy ging, nicht an Nixon, der jetzt den Krieg in Ostasien beenden soll, dessen Eskalation unter Kennedy anfing. Barzel und die „Christdemokraten“ kämpften diesmal gegen den „ganzen übrigen Rest der freien Welt des Westens“. Oh, wie war man doch froh, am Morgen des 20. November 1972 in einer Welt aufzuwachen, in der „alles beim alten geblieben“ war! In der einem noch einmal die Strapaz eines Umdenkens und Neudenkens erspart blieb, die Strapaz, die diesem Teil der Welt keine Macht zwischen Himmel und Erde abnehmen wird!

In einer Stunde wie dieser malt man nicht den Teufel an die Wand, maßt man sich nicht an, die Kassan-dra vom politischen Dienst zu sein. Das Schiff Europa nähert sich einer Schlechtwetterzone und ängstliche Spießer sind froh, an Land und nicht mit Brandt und seiner Crew am Steuer des Bootes zu sein. Jetzt braucht es in der Crew der christlichen Demokraten Männer, die gerade dann ans Steuer wollen, wenn das Boot auf einer steilen See reitet. Männer, die bei Sturm zu denken gewohnt sind: „Die armen Leut am Land.“ Man wird solcher Courage bedürfen. In Österreich, in Deutschland, in Europa und in der Welt. Denn: die politische Wunderwaffe der sechziger Jahre wird stumpf — sie bleibt aber gefährlich.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung