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Eine Festung namens Schweiz

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Gegen Ende des zweiten Weltkrieges, als es für die Welt schon feststand, daß Hitler den Krieg verloren hatte, wurde von seinen Anhängern immer wieder darauf hingewiesen, daß der „Führer“ sich mit dem Rest seiner Armeen in eine geheimnisvolle „Alpenfestung“ zurückziehen werde. Diese werde es ihm ermöglichen, den Alliierten jahrelang Widerstand zu leisten, um dann eines Tages, wie Barbarossa aus dem Kyffhäuser, zu einem Siegeszug aufzubrechen und ein neues, Viertes Reich zu errichten. Die Intensität dieses Traumes war so stark, daß sogar die Alliierten eine Zeitlang daran glaubten. Das Kriegsende brachte zutage, daß diese „Alpenfestung“ niemals existiert hatte. Dafür aber gab es und gibt es in Europa tatsächlich eine Alpenfestung, die so unüberwindlich ist, wie sie sich die Anhänger Hitlers erträumt hätten: die Schweiz.

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Gegen Ende des zweiten Weltkrieges, als es für die Welt schon feststand, daß Hitler den Krieg verloren hatte, wurde von seinen Anhängern immer wieder darauf hingewiesen, daß der „Führer“ sich mit dem Rest seiner Armeen in eine geheimnisvolle „Alpenfestung“ zurückziehen werde. Diese werde es ihm ermöglichen, den Alliierten jahrelang Widerstand zu leisten, um dann eines Tages, wie Barbarossa aus dem Kyffhäuser, zu einem Siegeszug aufzubrechen und ein neues, Viertes Reich zu errichten. Die Intensität dieses Traumes war so stark, daß sogar die Alliierten eine Zeitlang daran glaubten. Das Kriegsende brachte zutage, daß diese „Alpenfestung“ niemals existiert hatte. Dafür aber gab es und gibt es in Europa tatsächlich eine Alpenfestung, die so unüberwindlich ist, wie sie sich die Anhänger Hitlers erträumt hätten: die Schweiz.

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Der Strom ausfiele. Die Aufzüge und Untergrundbahnen blieben stecken, niemand könnte kochen, heizen, beleuchten. Als vor einiger Zeit die New Yorker Elektrizitätswerke streikten und den Strom abschalteten, wurden innerhalb weniger Stunden ihre Forderungen erfüllt.

Auch die ausländischen Vertretungen der Schweiz besitzen bereits

2 Milliarden Schweizer Franken beträgt das alljährliche Militärbudget der Eidgenossenschaft. Das sind rund 12 Milliarden Schilling. Das österreichische Militärbudget beträgt demgegenüber nur 4 Milliarden Schilling.

Zu den Schweizer Bundesausgaben treten noch rund 600 Millionen Schilling, die von den Kantonen für das Militär aufgebracht werden. Die österreichischen Bundesländer dagegen müssen keinerlei separate Mittel dem Bundesheer zur Verfügung stellen.

Neben den Bundes- und Kantonsmitteln stehen noch die vielen Einzelleistungen der Schweizer für ihr Militär, Mittel, die gar nicht kapitalisiert werden können.

Jeder Schweizer ist wehrpflichtig. Eine Verweigerung des Wehrdienstes aus Gewissensgründen ist nicht möglich und jede Verweigerung wird bestraft.

Es gab auch bisher nur rund zweihundert Wehrdienstverweigerer in der Schweiz gegenüber rund 30.000 in der deutschen Bundesrepublik. Jeder Schweizer leistet zunächst 17 Wochen Präsenzdienst, währenddessen er ausgebildet wird. Diese 17 Wochen sind somit weniger als die sechs Monate Präsenzdienst, die der Österreicher leisten muß. Aber jedes Jahr hat dann der wehrpflichtige Schweizer eine Übungszeit durchzumachen, die in den ersten Jahren drei Wochen beträgt und erst langsam geringer wird. Die sind an sich noch keine Sonderleistungen.

Die Sonderleistungen jedes wehrpflichtigen Schweizers für seine Armee bestehen unter anderem darin, daß jeder seine Uniform und seine Bewaffnung zu Hause aufbewahren muß, einschließlich Sturmgewehr und 24 Schuß scharfer Munition. Uniform und Waffen bedürfen natürlich der Pflege und diese Pflege nimmt Zeit in Anspruch. Außerdem muß der Schweizer seine Uniform und seine Waffen von Zeit zu Zeit inspizieren lassen, ob sie in Ordnung sind. Jeder wehrpflichtige Schweizer muß innerhalb eines Jahres auch ganz bestimmte Schießübungen durchmachen, die vermerkt werden. Fremde wundern sich immer wieder, am Sonntag Zivilisten mit Militärgewehren auf den Straßen anzutreffen und wundem sich, die Stille der Landschaft von Gewehrschüssen durchbrochen zu hören. Sie wissen nicht, daß die gewehrtragenden Zivilisten Reservisten sind, die zum oder vom „Schützenhüsli“ kommen, wo sie ihr Quantum an verpflichtenden Schüssen absolvieren.

Die Schweiz hat sehr wenig Berufsoffiziere. Es sind im ganzen lediglich 600, welche Zahl allerdings für die heutigen Bedürfnisse um rund 200 zuwenig ist. Das Gros der Offiziere steht im zivilen Berufsleben. Aber diese Reserveoffiziere sind nicht nur verpflichtet, ständig an Waffenübungen und Schulungen teilzunehmen, sie sind auch verpflichtet, den ganzen Schreibdienst einer Kompanie, eines Bataillons oder eines Regiments auf ihre Kosten, mit privaten Kräften, durchzuführen. So manche Kanzlei eines Anwaltes, eines Architekten ist zur Hälfte für diese militärischen Aufgaben des Reserveoffiziers eingesetzt. Man stelle sich den Aufstand vor, den es hierzulande geben würde, wenn solche Pflichten von österreichischen Reserveoffizieren verlangt würden.

Immun gegen Angriffe

Die ganze Schweiz ist eine Festung. Das bedeutet nicht nur, daß tatsächlich viele Festungsanlagen vorhanden sind, wobei die Anlagen aus dem Zweiten Weltkrieg, die heute schon veraltet sind, erneuert wurden, es bedeutet, daß die Schweiz in einem viel weiteren Sinn zu einer immer stärkeren Festung wird: Jedes neue Haus, jedes neue Gebäude, das heute und in Zukunft gebaut wird, muß einen eingebauten Atombunker haben. Damit macht sich die Schweiz gegen jede Atomdrohung immun. •

Jeder Haushalt hat einen Vorrat an Lebensmitteln für mindestens 14 Tage zu besitzen. Damit macht sich die Schweiz immun gegenüber Erpressungen, die durch eine Zerstörung von Verkehrswegen entstehen könnten.

Jedes Haus, sei es privat oder öffentlich, ist bereits jetzt verpflichtet, ein eigenes Stromaggregat zu verwahren. In einem modernen Krieg kann durch Bombardierung einiger Elektrizitätswerke innerhalb kürzester Zeit ein Staat in die Knie gezwungen werden, der solche Vorsorgen nicht getroffen hat. Man stelle sich nur vor, was es etwa für New York bedeuten würde, wenn

Kräfte der Schweiz erlahmen. Aber der Eintrittspreis für einen Gegner, der die Schweiz mit Krieg überziehen wollte, wäre derart hoch, daß er, wie einst ein Hitler und ein Mussolini, es nicht wagen würde, diesen Eintrittspreis zu riskieren, daß er also die Schweiz auch in Zukunft kaum überfallen wird.

Seit dem Wiener Kongreß, seit welchem Zeitpunkt auch die Republik Genf zur Schweizer Eidgenossenschaft gehört, ist die Schweiz immerwährend neutral. 1798 führte die Schweiz den letzten Krieg mit einer ausländischen Macht, nämlich mit dem revolutionären Frankreich, und in einer Seitenkapelle des Berner Münsters sind auf Mamortafeln die Namen der vielen Toten eingraviert, die in diesem Krieg ihr Leben ließen. Seither hat die Schweiz keinen auswärtigen Krieg mehr geführt. Der kleine Sonderbundskrieg von 1847 war eine Auseinandersetzung zwischen Mitgliedern des Schweizer Bundes, ähnlich dem Krieg zwischen Indien und Pakistan, welche beide Staaten dem britischen Commonwealth angehören. Er dauerte nur drei Wochen, kostete drei Tote und mehr als hundert Verletzte. So bedauerlich diese Verluste sind, so sind sie doch nichts gegenüber den Hekatomben von Opfern, die in der gleichen Zeit andere europäische Staaten bringen mußten. Auch wenn die Schweiz seit 1798 sich an keinem Krieg beteiligte, haben sich doch durch Jahrhunderte immer wieder sehr viele Schweizer an Kriegen beteiligt. Die Kriegsgeschichte Europas wäre undenkbar ohne den Anteil, den die Schweizer Regimenter an dieser Geschichte hatten. Schweizer gung gesteckt und hat enorme Opfer von ihren Bürgern dafür verlangt. Sie hat sich dadurch jeden Krieg erspart und deshalb waren diese Opfer, so groß sie auch waren, doch noch gering gegenüber den materiellen Opfern und vor allem den unbezahlbaren Opfern an Leben, die ein Krieg kostet.

Da alle Welt weiß, daß die Schweiz bereit und entschlossen ist, mit allen Kräften sich zu verteidigen, und da alle Welt weiß, daß der Eintrittspreis für eine fremde Armee derart hoch ist, daß niemand es wagen kann, ihn zu bezahlen, hat es niemand gewagt und wird es niemand wagen, die Eidgenossenschaft militärisch anzugreifen. Im Gegenteil: In der Vergangenheit hat es sich immer erwiesen, daß die kriegführenden Mächte sogar einen gewissen Wert darauf legten, daß die Schweiz ihre Neutralität bewahrte und unbesetzt blieb. Dadurch haben die kriegführenden Mächte die Möglichkeit, wichtige Waren über die Schweiz zu beziehen. Sie haben die Möglichkeit, über die Schweiz Spione ins Ausland zu bringen. Sie haben die Möglichkeit, Geldreserven in der Schweiz zu deponieren. Auch diese Fakten sind ein Teil des schweizerischen Verteidigungskonzeptes.

Österreich ist heute in einer ähnlichen Lage wie die Schweiz. Auch Österreich hat sich zur immerwährenden Neutralität verpflichtet und hat die Auflage auf sich genommen, diese Neutralität mit allen Mitteln zu verteidigen. Aber die Vorbereitungen, die Österreich zum Unterschied zur Schweiz dafür trifft, sind unvergleichbar geringer. Niemand zum Beispiel ist verpflichtet, bei Ersolche Stromaggregate. Als vor einigen Wochen London durch den Streik der Stromarbeiter in tiefste Finsternis gehüllt war, erstrahlte die Schweizerische Botschaft in hellstem Licht, denn sie war bereits im Besitz eines eigenen Stromaggregates.

Europas größte Armee

Die Schweiz besitzt die relativ größte Armee Europas. Nicht einmal die Wehrmacht Rußlands dürfte relativ größer sein als die der Eidgenossenschaft. Die Schweiz mit Krieg zu überziehen, ist ein fast hoffnungsloses Beginnen. Die Schweiz in die Knie zu zwingen, indem man sie aushungert, ihr mit Bomben droht, ihr den Strom abschneidet, ist ein fast ebenso hoffnungsloses Beginnen. Möglicherweise würden einem jahrelangen Angriffskrieg gegenüber auch die dienten in allen europäischen Armeen, meist in eigene Regimenter zusammengefaßt, die wegen ihrer Treue und Tapferkeit berühmt waren. Noch 1860 hielt der König von Neapel sich eine Armee von 20.000 Schweizern. Durch diese Regimenter nahm die Schweiz indirekt an den großen Auseinandersetzungen teil, denn vielfach wurden sie auf Grund von Verträgen der einzelnen Kantone mit auswärtigen Mächten aufgestellt. Erst die Verfassung von 1874 verbot das Dienen in fremden Armeen und nur die Schweizer Garde des Papstes ist ein letzter, friedlicher Rest einer großen kriegerischen Vergangenheit.

Seit 1847 hat die Schweiz keinen Krieg erlebt. (Sie hat auch seit Jahrhunderten keine Inflation durchgemacht.) Sie hat enorme Mittel in ihre Armee und ihre Verteidibauung eines Hauses gleich einen Atombunker einzubauen. Kein Haus ist verpflichtet, sich bereits jetzt ein Stromaggregat anzuschaffen. Und die Aufforderung, Lebensmittelvorräte zu lagern, ist so sanft und leise erlassen worden, daß sie kaum jemand befolgt hat. Die Mittel, die im Budget für das Bundesheer vorgesehen sind, sind im Vergleich zur Schweiz sehr gering. Dabei müßte Österreich wesentlich mehr Mittel zur Verfügung stellen, denn seine Lage ist strategisch nicht so günstig wie jene der Eidgenossenschaft.

Am Beispiel der Schweiz zeigt es sich, wie billig im Grunde genommen große Opfer sind, die einem Land einen Krieg ersparen. Und wie wichtig es ist, ständig ein echtes Wehrkonzept zur Hand zu haben und dieses auch durchzuführen. Wie wichtig wäre all dies für Österreich.

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