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Eine frankophone Entente

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Die Eindrücke, die man heute von einer Beise durch Afrika mitbringt, unterscheiden sich stark von denen, die Afrika dem europäischen Besucher noch vor wenigen Jahren bot. Vor zehn Jahren noch befand sich Afrika in gärender Unruhe, Feindseligkeit gegenüber dem weißen Mann war überall spürbar. Eine gegen den Westen gerichtete, geschickt aufgemachte Propaganda hatte alle afrikanischen Staaten ergriffen und selbst im kleinsten Dorf im Busch Widerhall gefunden. Sprach man von Europa, dann nur von „Kolonialismus“, „Imperialismus“, von der „Ausbeutung der Schwarzen durch die Weißen“.

Dies hat sich inzwischen grundlegend geändert. Die Zeit der gegenseitigen Beschuldigung ist abgelaufen. Das heutige Afrika besinnt sich auf seine Bolle in der Welt und ist sich seiner Verantwortung voll bewußt geworden. Das Verhältnis zwischen Weißen und Schwarzen ist nun vom Geiste der Zusammenarbeit erfüllt.

Die regelmäßigen, dichten Verbindungen der französischen Afrikalinie UTA von Paris mit den Hauptstädten der Staaten des frankophonen Afrika muten geradezu wie eine Mėtro-Fahrt durch Paris an. So dauert ein Flug nach Niamey, der Hauptstadt von Niger, nur fünf Stunden. Auf meiner Reise durchquerte ich die Länder Niger, Obervolta, Dahomė und die Elfenbeinküste, die vom Süden der Sahara über das Buschgebiet bis zur subtropischen Klimazone des Atlantik reichen.

Die Republik Niger selbst grenzt direkt an die Wüste Sahara, und deren Merkmale prägen daher insbesondere den Norden des Landes.

Die Republik Obervolta, in der Österreich eine von Regierung und Bevölkerung sehr geschätzte Berufsschule eröffnet hat, ist flächenmäßig etwa dreimal so groß wie Österreich.

Die Hauptstadt von Dahomė ist Porto Novo, eine historische Stadt, die ihren Namen von den ersten Eroberern, portugiesischen Seeleuten, erhielt.

Endstation meiner Studienreise quer durch Wüste, Busch und Savanne aber war Abidjan, die Hauptstadt der Elfenbeinküste. Hier lebte Ende des 19. Jahrhunderts noch keine Menschenseele. 1964 zählte man 180.000 Einwohner, heute schon 400.000. Diese Zahlen vermitteln eine Vorstellung vom Rhythmus der raschen Entwicklung dieser modernen Großstadt in Afrika.

Dieses Land wurde von der Natur reichlichst beschenkt. Seine riesigen Wälder bringen exotische Hölzer hervor, die größtenteils exportiert werden; und man braucht wohl kaum über die Tierwelt der Elfenbeinküste zu sprechen, etwa über die berühmten Elefantenherden, denen das Land seinen Namen verdankt. Kaffee, Kakao, Bananen, verschiedene Ölfrüchte und Naturgummi sind die bedeutendsten Erzeugnisse des Bodens. Die Produktion von Industriediamanten — über 200.000 Karat im Jahr — bringt bedeutende Exporterlöse. Die Erschließung der Eisenerzvorkommen wurde einem amerikanisch-japanischen Konsortium übertragen. Die Elfenbeinküste hat ihren Industrialisierungsprozeß im Vergleich mit anderen afrikanischen Ländern am weitesten vorangetrieben und verfügt schon über eine sehr beträchtliche einheimische Unternehmerschichte.

Symbol des stürmischen wirtschaftlichen Aufschwunges dieses Landes ist der Hafen und die Industriezone von Abidjan, welche die Afrikaner mit Teilnahme von französischen und anderen Industrieunternehmen aus den EWG-Län- dem, aber auch den USA und Japan, geradezu aus dem Nichts geschaffen haben.

Um die wirtschaftliche Aufwärtsentwicklung des Landes durch die Erschließung neuer Devisenquellen zu sichern, verstärkt die Regierung in jüngster Zeit die Förderung des Fremdenverkehrs. Spektakulär ist das vor kurzem der Weltöffentlichkeit vor gestellte Großprojekt der „Afrikanischen Riviera“ an der Lagune von Abidjan. Bis 1980 soll der Bau von Hotels mit 7000 Zimmern internationalen Standards fertiggestellt sein; Fremdenverkehrsexperten aus aller Welt wirken dabei mit. Nach amtlichen Schätzungen werden heuer 45.000, 1975 90.000 und 1981 250.000 Touristen erwartet.

Eines der größten Regierungsvorhaben ist die Modernisierung der städtischen und ländlichen Wohngebiete. Der Präsident der Elfenbeinküste, Felix Houphouet-Boigny, meint, im Jahre 1965 wäre es seine Absicht gewesen, daß es in etwa zehn Jahren keine Elendsviertel mehr an der Elfenbeinküste gäbe. Seither entstehen in der Tat festgemauerte Häuser — sie schießen wie Pilze aus dem Boden. Die elektrische Beleuchtung, die Trinkwasserversorgung usw. dringen immer weiter vor und erstrecken sich auch auf das kleinste Dorf.

Der Präsident, ein ruhiger, kluger und weitschauender Staatsmann, mißt allen sozialen Errungenschaften im Lande allergrößte Bedeutung bei und ist bemüht, dem Lande eine politische und wirtschaftliche Stabilität zu garantieren; er versucht damit, über sein Land dem Schwarzen Kontinent ein neues Antlitz zu geben und auf diese Weise einen Beitrag zur Einigung Afrikas zu leisten.

Wenn die Kolonialisierung auch gewisse traditionelle Machtstrukturen zerschlagen hat, so hat sie doch auch die Annäherung der Stämme begünstigt, sei es durch den gemeinsamen Besuch der Schule oder durch die gleiche Gesetzgebung.

Mit der Unabhängigkeit drohten sich alle Bande zwischen den verschiedenen Regionen im selben Augenblick aufzulösen, als die Schärfe der Stammesfeindlichkeiten wieder aufzubrechen suchte. Zum Wohle Afrikas hätte es aber gerade zur Stunde der Unabhängigkeit einer Betonung der „afrikanischen Persönlichkeit“ bedurft. Daß Einigkeit und Einheit in politischer, wirtschaftlicher, sozialer und kultureller Hinsicht notwendig gewesen wären, dessen waren sich alle Afrikaner und ihre Staatsmänner bewußt. Einige Staatschefs hatten sogar gewisse Strategien ausgearbeitet, um die Idee der „Afrikanischen Einheit“ allmählich zu verwirklichen.

Die Präsidenten Lėopold Sedar Senghor von Senegal und Felix Houphouet-Boigny von der Elfenbeinküste erfreuten sich beide einer sehr großen Beliebtheit im gesamten frankophonen Afrika. Beide waren Abgeordnete im Parlament von Paris, dann Minister der französischen Regierung, später, im Rahmen der „Französischen Gemeinschaft“, Minister unter dem Staatspräsidenten General de Gaulle. Auf der afrikanischen Bühne waren sie beide Gründer und Führer verschiedener politischer Parteien.

Präsident Senghor hatte versucht, eine Einigung Westafrikas vom Senegal aus zu erreichen. Über die Föderation Mali, die anfangs nur den Senegal und das heutige Mali einschloß, setzte er sich zum Ziel, schrittweise alle übrigen westafrikanischen Staaten in einem bundesstaatlichen Organismus zusammenzufassen. Die Föderation Mali wurde 1959 gegründet, zerfiel jedoch bereits im August 1960. Afrikanische Politiker erklärten, es hätte ihr das erforderliche Maß an politischem Realismus gefehlt.

In einem neuen Geiste und mit neuen Zielen verwirklichte der Staatschef der Elfenbeinküste, Felix Houphouet-Boigny, als erster eine dauerhafte politische und wirtschaftliche regionale Zusammenarbeit. Er gründete mit seinen Nachbarn und seinen politischen Freunden — den Präsidenten des Niger, Diori Hamani, und von Obervolta, Maurice Yamėogo — den „Rat der Entente“.

Die Entente hat schon in den ersten Jahren ihres Bestehens eine sehr starke Anziehungskraft ausgeübt. Dahomė zögerte nicht lange, sich den drei Gründerländem dieser Entente anzuschließen. Erst kürzlich hat auch Togo seinen Beitritt vollzogen. Die Mitgliedsstaaten betrachteten jedoch die Zahl fünf nicht als „numerus clausus“. So hat im Oktober 1970 bereits Mali sein Interesse an einem Beitritt kundgetan.

Neben diesen frankophonen Mitgliedsstaaten der Entente nähert sich in jüngster Zeit als erstes anglopho- nes Land die Republik Ghana zusehends mehr der Idee der Entente und nimmt schon aktiv an bestimmten Arbeiten der Integration teil.

Die Fragen, die in den Sitzungen des Rats der Entente beraten werden, sind für alle oder zumindest mehrere Mitgliedsländer von Bedeutung: Aufbau neuer Industrien, die Rolle ausländischer Kapitalanlagen, Investitionsausgaben, verschiedene neue Projekte, den kollektiven Austausch der Beamten der Mitgliedsländer.

Die katholischen Missionen haben eine bewundernswerte Arbeit im Westen Afrikas geleistet. In Dahomė, der Elfenbeinküste und Ober- Volta sind 15 Prozent der Einwohner katholisch, in Niger, einem mohammedanischen Land, nur 2 Prozent.

Das afrikanische Christentum ist charakterisiert durch fröhliche Erscheinungsformen. Die christliche Liturgie macht weitgehend Gebrauch von den verschiedenen Ausdrucksformen afrikanischer Kunst. Ich konnte in der Kathedrale von Cotonou an einem Hochamt teilnehmen, in der Tam-Tam-Musik und einheimische Volksweisen eingewoben waren. Die Atmosphäre des Glaubens war selbst für Europäer greifbar, die wie ich, Weisen und Lieder nicht verstehen konnten. Das Christentum ist bei den Afrikanern auf fruchtbaren Boden gefallen. Die Afrikaner, ursprünglich durchwegs Animisten, fanden im Christentum eine reinere Form ihres eigenen Glaubens. Sie glauben an Gott, an das Weitenleben der Seele und haben eine sehr ausgeprägte Vorstellung des Mystischen und eine tiefe Achtung vor dem Heiligen.

Der Weltkommunismus hat in Afrika in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen, um auf dem neuen Kontinent Fuß zu fassen. Der bis jetzt erzielte Erfolg, gerade im frankophonen Afrika, scheint die Erwartungen des Weltkommunismus nicht zu erfüllen. Man mag sich die Frage nach den Gründen dieses mageren Erfolges stellen. Ein junger Afrikaner in Dahomė antwortete darauf: „Die kommunistischen Vorstellungen sind unvereinbar mit der afrikanischen Seele. Bei uns manifestiert sich die Grundidee der Gesellschaft in Form der Religion, der Verbundenheit mit den Ahnen, in der Fähigkeit des Erbarmens, in der Achtung vor dem Überlieferten, der Nächstenliebe und dem Band zwischen allen Nachkommen der gleichen Vorfahren. All dies steht im Widerspruch zum kommunistischen Atheismus, dem Klassenkampf und der Beseitigung des Privateigentums.“

Auf dem Rückflug mit dem UTA- Jet in wenigen Stunden, ist mir wiederum die geographische Nähe Afrikas und Europas deutlich bewußt geworden. Das ursprünglich koloniale Verhältnis zwischen diesen beiden Kontinenten hat sich in eine Partnerschaft umgewandelt. Das Abkommen von Jaunde, das viele afrikanische Länder mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft assoziiert, ist heute zum Sinnbild der afro-europäischen Nachbarschaft und der gleichberechtigten Zusammenarbeit geworden. So kann sich auch die Verbundenheit zwischen Europa und Afrika, die in der Geschichte ihre Wurzeln geschlagen hat, in neuem Geiste in der Zukunft fortsetzen.

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