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Eine Friedensbotschaft vom Kriegsschiff

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Am Donnerstag, den 14. August 1941, also vor 50 Jahren, gaben die beiden führenden Staatsmänner der gegen Hitler und dessen Deutschland kämpfenden Mächte eine Erklärung ab, die wenig direkte, aber weitreichende indirekte Folgen gezeitigt hat. Sie ging als Atlantik-Charta in die Geschichte ein.

Die acht Punkte umfassende gemeinsame Erklärung des US-Präsidenten Franklin Delano Roosevelt und des britischen Premierministers Win-ston Churchill sollte die Grundlage für die Neuordnung des Zusammenlebens der Staaten nach dem Zweiten Weltkrieg bilden. Der Ort, von dem sie in die Welt hinausging, hatte durchaus Symbol wert, es war ein amerikanischer Kreuzer namens „Augusta", der in der Placentia Bay vor Neufundland vor Anker lag.

In der Atlantik-Charta ist all das niedergelegt, was nicht erst seit 1941 immer wieder als Basis des Zusammenlebens der Völker beschworen wird und wogegen viele der UNO angehörenden Staaten immer wieder handeln, sofern sie dazu in der Lage sind (nahezu kein Staat hält sich an

alle in der Atlantik-Charta niedergelegten Grundsätze):

Verzicht auf Annexionen; Selbstbestimmungsrecht der Völker vor allem bei der Wahl ihrer Regierungsformen; freier, gleichberechtigter Zugang zu den Rohstoffen der Erde; Aufbau eines kollektiven Sicherheitssystems unter vollständiger Entmili-tarisierung von Staaten, die sich der Aggression schuldig gemacht haben, und so weiter...

Daß die Achsenmächte - Deutschland, Italien, Japan - nach ihrer Niederlage kein Recht haben sollten, sich

auf die Atlantik-Charta zu berufen oder Ansprüche aus ihr abzuleiten, wurde nachträglich verlautbart.

Auch wenn sich die Staatsführungen, USA und Großbritannien durchaus eingeschlossen, im Konflikt zwi-

sehen hehren Grundsätzen und massiven Interessen kaum je an ihre eigene Charta hielten, zeigte diese sehr wohl bedeutende Wirkungen. Einerseits wurde sie wenige Monate später, am 1. Jänner 1942, zur Grundlage der Erklärung über die Vereinten Nationen. Nachdem sich die „Großen Drei"

(Roosevelt, Churchill und Stalin) in der Konferenz von Jalta am 11. Februar 1945 in ihrer „Erklärung über das befreite Europa" ausdrücklich auf die Atlantik-Charta bezogen hatten, bekannte sich am 26. Juni desselben Jahres in San Franzisko auch die in der UNO zusammengeschlossene

Staatengemeinschaft bei ihrer Gründung ebenfalls ausdrücklich zu den in der Atlantik-Charta niedergelegten Prinzipien.

Damit wurde diese in der Nachkriegszeit zwar kein einklagbares Recht, aber doch zu etwas, worauf man sich berufen und was man nicht ganz einfach vom Tisch wischen konnte. Sie gingen in den Kodex jener Bekundungen ein, deren praktische Wirkungslosigkeit immer wieder betont und beklagt wird, an die auf eben diese Weise immer wiedererinnert wird und die, indem man sie immer wieder beschwört und sich auf sie beruft, in den Köpfen Wurzel schlagen und Teil des politischen Bewußtseins werden.

An die Verstöße gegen sie braucht man niemanden zu erinnern. Daß aber mittlerweile viele Staaten, unter ihnen jene, die kein Recht haben sollten, sich auf die Charta zu berufen, der Gewalt als Mittel der Konfliktaustragung dauerhaft abgeschworen haben, hat wohl auch und sogar sehr viel mit der Verinnerlichung von Prin-

zipien zu tun, die vielleicht doch nicht so völlig wirkungslos sind, wie es in jenen Momenten scheint, in denen die friedlichen Mittel zur Konfliktregelung wieder einmal versagen...

Dem Zyniker Stalin dürfte es wenig ausgemacht haben, die Grundsätze der Charta „mitzutragen". Lügen fiel ihm nicht schwer. Aber ein Ausspruch wie etwa der von Alexander Nikola-jewitsch Jakowlew in der Sitzung des Volkskongresses vom 24. Dezember 1989 kann als Indiz dafür gewertet werden, daß die Wahrheit auch dann auf fruchtbaren Boden fällt, wenn sie aus dem Mund von Lügnern kommt. Er sagte:

„Die Relativitätstheorie, Genosse, ist eine große Entdeckung beim Erkennen des Alls. Relativität darf es aber in der Moralsphäre nicht geben. Wir sind verpflichtet, auf den festen, gesunden Bodender unverbrüchlichen Moralkriterien zurückzukehren. Es wird Zeit zu begreifen: Die Gesetzlosigkeit ist nicht nur durch ihre direkte Wirkung schrecklich, sondern auch dadurch, daß sie das Bewußtsein verkrüppelt und Situationen schafft, in denen Amoralität und Opportunismus zur Norm werden."

ERRATUM: Durch einen Übertragungsfehler ist in FURCHE 29/1991 auf Seite elf im letzten Absatz der zweiten Spalte eine unrichtige Formulierung entstanden. Richtig müßte es heißen: „In der Union lebten 30 Millionen Ukrainer - von ihnen verhungerten mehrere Millionen in den dreifeiger Jahren - in Galizien (Polen) sechs Millionen, in der Karpatoukraine (CSR) eine halbe Million."

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