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Eine für alle offene Kirche

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Der Oberhirte von Evreux, jüngst zu Gast in Wien, hat von einigen die Punze „roter Bischof" bekommen. Er selbst sieht in Glaubensfragen eine fundamentale Übereinstimmung mit allen anderen Bischöfen, behält sich aber in gesellschaftlichen Fragen eigene Meinungen vor.

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Der Oberhirte von Evreux, jüngst zu Gast in Wien, hat von einigen die Punze „roter Bischof" bekommen. Er selbst sieht in Glaubensfragen eine fundamentale Übereinstimmung mit allen anderen Bischöfen, behält sich aber in gesellschaftlichen Fragen eigene Meinungen vor.

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FURCHE: Herr Bischof, hat die katholische Kirche in Frankreich eine wichtige Stimme in der Gesellschaft?

JACQUES GAILLOT: Die Kirche in Frankreich hat viele ihrer Privilegien verloren, ist ärmer geworden, hat aber dadurch ein großes moralisches Gewicht erhalten.

FURCHE: Welche großen Probleme hat die Kirche in Frankreich?

GAILLOT: Vor allem die Frage der Einwanderer, der Ausgeschlossenen, der Arbeitslosen - das sind gesellschaftliche Probleme, die wirklich das Leben der Kirche berühren. Wir haben zu gleicher Zeit auch das Problem des Rassismus. Dann gibt es ein kircheninternes Problem: Wie soll man die Zukunft angehen mit einer viel geringeren Zahl von Priestern?

FURCHE: Österreichs Kirche wird durch ein Kirchenbeitragssystem finanziert, Frankreichs Kirche ist ohne ein solches System - wie Sie sagten -verarmt. Ist sie so arm, daß sie nicht mehr viel leisten kann?

GAILLOT: Ärmer geworden heißt in dem Zusammenhang, daß sie sich nicht mehr so sehr all den vielen Institutionen widmet wie früher, daß sie das der Gesellschaft übergeben hat. Die Kirche ist deshalb unumgänglich, weil das, was sie sagt, so wichtig ist. Was die Finanzen betrifft, gibt der Staat der Kirche nichts. Kirche und Staat sind getrennt. Die Kirchen und Pfarrhöfe gehören dem Staat oder der jeweiligen Stadtgemeinde. All diese Bauten werden vom Staat erhalten, außer natürlich die kirchlichen Gebäude, die nach 1906 - der Trennung von Kirche und Staat - errichtet wurden, da ist die Kirche dafür zuständig. Die Kirche ist nicht reich, aber sie hat keinen Geldmangel, die Christen sind großzügig. Es ist ein sehr schöner kirchlicher Zustand, wenn die Kirche nicht reich ist.

FURCHE: Sie sind durch ein starkes Engagement für Frieden, Ökologie und Randgruppen aufgefallen. Gewinnen diese Themen in Frankreich in der Öffentlichkeit an Gewicht und gewinnen Sie persönlich durch dieses Engagement mehr Freunde oder mehr Gegner?

GAILLOT: Die Fragen der Gerechtigkeit, des Friedens und der Bewahrung der Schöpfung sind Fragen, die wichtig sind für den ganzen Planeten, für das Überleben der Menschen, so wichtig, daß sie eigentlich ökumenisch angegangen werden sollten, daß sich die Kirchen zusammentun sollten und gemeinsam in diese Richtung schauen. In dieser Arbeit hat es sich ergeben, daß ich auch sehr viel mit Menschen zusammenarbeite, die nicht-kirchlich sind, und dabei bin ich sehr vielen Freunden und Menschen guten Willens begegnet.

FURCHE: Wie sehen Sie Ihre Position innerhalb des Episkopats?

GAILLOT: Innerhalb des Episkopats ist die Solidarität im Glauben fundamental. Was die gesellschaftlichen Fragen betrifft, möchte ich mir die Freiheit der Rede bewahren, und zu Punkten wie Atomwaffen, Waffenexport, Schule et cetera muß es nicht unbedingt eine einheitliche Meinung geben. Meine Position ist insofern ein bißchen schwierig, da man mir sicher nicht wesentliche Aufgaben im französischen Episkopat übertragen wird.

Dazu kommt: Ein Bischof muß unbedingt ganz eng mit seinem Volk zusammen sein. Ein Bischof könnte ohne dieses Volk sein Amt gar nicht ausüben. Das alltägliche Leben ist nicht mit den Bischöfen, sondern mit dem Volk, mit dem Volk von Evreux.

FURCHE: Ihr Verhältnis zum Vatikan wirkt gespannt, der Papst wollte sie nicht empfangen. Wurde Ihnen je von dieser Seite der Amtsverzicht nahegelegt?

GAILLOT: Nein, man hat zwar gewisse Bemerkungen gemacht, aber keiner hat mir den Amtsverzicht nahegelegt. Im Februar steht der Ad-limina-Besuch an. Mit den anderen französischen Bischöfen werde ich eine Woche in Rom sein.

FURCHE: Welchen Aufgaben sollte sich Ihrer Meinung nach die Kirche von heute besonders zuwenden?

GAILLOT: Die Kirche muß eine Option für die Ausgeschlossenen und die Armen treffen. Wenn man von den Armen ausgeht, dann öffnet man sich für alles und für alle, nicht nur im Reden, sondern auch in den Taten. Das macht die Gesundheit und die Lebendigkeit der Kirche aus. Die Verbindung zu den Arbeitslosen, zu den Emigrierten, zu Menschen, die Aids haben, das macht die Kraft der Kirche aus.

FURCHE: Manche meinen, zuerst muß Glaubensidentität geschaffen werden und erst dann, in dieser Einheit, kann die Kirche stärker nach außen wirken. Wie sehen sie das?

GAILLOT: Ich glaube nicht, daß die Kirche von sich ausgehen darf. Eine Pfarre, die sich erneuern will, muß nach außen schauen, für wen und wohin sie sich erneuern will. Die Kirche hat nicht die Aufgabe, das Haus zu erneuem, zu restaurieren, auszumalen et cetera, sondern in die Häuser der anderen wohnen zu gehen. Wenn man in die Häuser anderer geht, dann ist man anders, betet man anders, lebt man anders.

FURCHE: Glauben Sie, daß die Kirche in 50 Jahren ein anderes Gesicht haben wird als heute?

GAILLOT: Sicher, der Heilige Geist bearbeitet auch die Kirche, es gibt so viele Ereignisse in der Welt, die die Kirche provozieren, herausrufen. Vor allem die Fragen Dritte Welt, Bevölkerungsentwicklung, Gerechtigkeit, das sind Fragen, die die Kirche in einer Art und Weise, die wir uns noch gar nicht vorstellen können, herausfordern werden. Das Gespräch führte Heiner Boberski.

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