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Eine Geisterstadt versinkt im Sand der Wüste Namib

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Wenige Tage lang vergaß der Bahnmeister der Deutschen Reichsbahn, August Stauch, im Juni 1908 seine Pflicht gegenüber dem Deutschen Reich und den zuständigen Bergbaubehörden. Sie genügten, um ihn zum vielfachen Millionär zu machen. Stauch war erst kurze Zeit vorher als Eisenbahnbeamter in das „Schutzgebiet Deutsch- Südwest-Afrika” gekommen. Er siedelte sich in Lüderitz, das damals (wie auch heute) eigentlich Lüderitzbucht genannt wurde, an. Zu seinen Aufgar ben als Bahnmeister gehörte unter anderem die Kontrolle eines etwa zehn Kilometer langen Abschnittes, der häufig von den Sanddünen der Namibwüste verweht wurde. Mit Hilfe von Eingeborenen wurden diese Sandverwehungen regelmäßig beseitigt. Der Bau der 366 km langen Bahnstrecke von Lüderitz zu dem Flecken Aus wurde am 27. Dezember 1905 begonnen und war am 1. November 1906fertiggestellt. Den Bau der Bahn bis Keetmanshoop hatte man der deutschen Kolonial-Eisen- bahnbau- und Betriebsgesellschaft in Berlin übertragen. August Stauch kam in ihrem Auftrag nach Südwestafrika.

Einer der August Stauch unterstellten Bahnarbeiter war ein Farbiger mit

Namen Kolemann. Er hatte vorher in den Diamantminen in Kimberley gearbeitet und hatte also eine Ahnung von diesen kostbaren Steinen. Eines Tages zeigte er seinem Boß, dem Bahnmeister Stauch, den glitzernden Fund. Zunächst traute Stauch weder den Beteuerungen Kolemanns noch seinen Augen. Erst als ein Fachmann ihm bestätigte, daß es sich hier wirklich um einen Diamanten handle, wanderte August Stauch nach der später Kole- mannskuppe benannten Stelle, belegte dort verschiedene Schürffelder und erstattete am 20. Juni 1908 Fundanzeige bei der Bergbehörde.

Als Stauchs Anzeige bekannt wurde, startete der „rush” das Rennen zur Fundstelle. Hunderte von kleinen Gesellschaften wurden gegründet. Die Gewinnung der Diamanten erforderte zunächst kein Kapital. Man brauchte die Steine nur in der Sandwüste zu suchen, mußte allerdings viele Entbehrungen auf sich nehmen. Aber auch hier schrieb die Kaiserliche Bergverordnung genau vor, was der Schürfer tun und lassen durfte.

Von der ersten Fundstelle aus rückten die Diamantensucher immer weiter nach Süden vor, da auch dort Diaman ten gefunden wurden. Die Gewinnung stieg in schwindelerregende Höhen. Es kam zu manchen Streitigkeiten zwischen den verschiedenen Gesellschaften, und auch die behördliche Regelung der Zustände in den Diamantengebieten hielt mit der Entwicklung nicht Schritt. Schließlich wurde die Deutsche Diamant-Gesellschaft gegründet. August Stauch aber war zunächst ein gemachter Mann. Er kaufte sich eine Farm in der Nähe von Windhuk und spekulierte mit seinen Millionen in Deutschland. Während der Inflation nach dem Ersten Weltkrieg, so erzählt man sich jedenfalls in Südwest, hat er den größten Teil seines Vermögens verloren.

Mit dem Einmarsch südafrikanischer Truppen im Ersten Weltkrieg war zunächst die Produktion beendet. Neun damals noch bestehende Gesellschaften konnten dann unter gewissen Bedingungen die Förderung wiederaufnehmen. Der heutige Sir Emest Oppenheimer führte sofort nach Kriegsende die ersten Verhandlungen mit den Deutschen, die schließlich im Februar 1920 zur Gründung der Consolidated Diamond Mines of South West Africa führten.

Auch unter dem Regime Oppenheimers blieb Kolemannskuppe der Mittelpunkt. Das Städtchen, das rund 800 Einwohner hatte, war deutsch. Sowohl die städtischen Anlagen wie auch der inzwischen mit modernsten Maschinen betriebene Förderbetrieb wurden von Deutschen gebaut und geleitet. Es entstand eine deutsche Schule, es gab deutsche Metzger und Bäcker und einen deutschen Krämerladen. Hoch oben auf der Kuppe wurde ein Schwimmbad angelegt.

Die Einwohner von Kolemannskuppe zahlten keine Miete. Licht, Wasser, und an kalten Tagen sogar die Heizung, waren frei. Jeder Haushalt erhielt pro Tag eine halbe Stange Eis, dazu nach Belieben Limonade und Mineralwasser. Das Krankenhaus gehörte zu den modernsten des südlichen Afrika und besaß die erste Röntgenstation in Afrika überhaupt. Diese Röntgenstation wurde in den sechziger Jahren, als Kolemannskuppe bereits geschlossen war und versandete, der Regierung von Ovamboland geschenkt. Es gab einen Trolley, der auf der Schmalspurbahn, die durch den Ort führte, lief und vonĘseln gezogen wurde. Die Gottesdienste wurden in der Schule abgehalten.

Auch nach der Übernahme durch die Consolidated Diamond Mines wurde dafür gesorgt, daß deutsche Theaterstücke, Opern, Operetten und Orchesterkonzerte von deutschen Gruppen aus Europa aufgeführt wurden. Alles wurde getan, um das Leben in der Wüste so angenehm wie möglich zu machen. Als man den Bau des Kasinos und der Turnhalle plante, holte man einen Experten aus Europa, der die Pläne und den Bau überwachen sollte, damit die Akustik einwandfrei sei.

Kolemannskuppe erhielt seine Elektrizität aus Lüderitz, wo man inzwischen das größte Kraftwerk (für damalige Begriffe) im südlichen Afrika errichtet hatte und außerdem in der Lage war, aus Meereswasser Süßwasser herzustellen. Eine weitere Station dieser Art gab es damals nur noch in Aden. Das Trinkwasser erhielt Kolemannskuppe jedoch aus Garub, von wo es mit Eisenbahnwaggons abgeholt und dann in die Reservetanks eingefüllt wurde. Der Ort hatte eine eigene, mit Diesellokomotiven betriebene Eisenbahn, die bis nach Elisabethbucht fuhr. Jeden Tag wurde der aus der Namib hereingetriebene Sand weggekehrt.

Nach und nach starb die Diamantenstadt. Die Gewinnung der Edelsteine verlagerte sich immer mehr nach Süden und von 1939 an begannen die meisten noch verbliebenen Einwohner, Kolemannskuppe zu verlassen. 1956 verließ der letzte Bewohner die Geisterstadt, die nun langsam von den Dünen der Namibwüste, der ältesten Wüste der Welt, verweht wird.

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