6859117-1977_28_09.jpg
Digital In Arbeit

Eine gesunde Marienverehrung ist nicht bloß geduldet

Werbung
Werbung
Werbung

In der „vorkonziliaren“ Zeit war die Marienverehrung Anlaß zu nicht unbedenklicher Polarisierung geworden. Biblisch-liturgisch ausgerichtete Kreise übten heftige Kritik an unbedachten Übertreibungen, extremen theologischen Formulierungen und mangelhafter künstlerischer Qualität mancher Formen marianischer Frömmigkeit. Von anderer Seite zog man gegen die „liturgischen Neuerer“ zu Felde, die anscheinend den Ruhm und die Ehre Mariens durch Zurückdrängen beliebter Formen der Marienfrömmigkeit schmälern wollten.

In dieser - keineswegs ruhigen - „vorkonziliaren“ Zeit gab es in den Gemeinden zahlreiche Mischformen als Niederschlag verschiedener Einstellungen und Richtungen. Man war eben bestrebt, den goldenen Mittelweg zu gehen und den Gottesdienst so zu gestalten, daß er den Kirchenbesuchern gefiel. Diese nahmen einerseits die neue „aktive Teilnahme“ der liturgischen Erneuerung gerne an, anderseits wollten sie aber nicht auf traditionelle marianische Andachtsformen verzichten.

Das Konzil wandte sich zunächst der Liturgie zu, die in konsequenterWeise geordnet wurde. Gleich merkten manche, daß nun gewisse Kompromisse im Gottesdienst nicht mehr möglich waren und vermuteten versteckte Angriffe auf die marianische Frömmigkeit. Das Wort „Protestantisierung“ wurde in diesem Zusammenhang öfters gebraucht.

Zu einer solchen Fehlinterpretation mag es auch deswegen gekommen sein, weil die eigentliche Aussage des Konzils über Maria sich nicht so konkret wie das Liturgiedokument in der Praxis auswirken konnte. Zu Beginn des Konzils war kein eigenes Schema über Maria Vorgelegen, lediglich ein Kapitel über Maria innerhalb des Kir- chenschemas. Kardinal König setzte sich in einer Wortmeldung dafür ein, das später ausgearbeitete Schema doch als ein Kapitel dem Schema „Uber die Kirche“ wieder einzugliedern. Ihm ging es dabei um die Ban- nung der Gefahr, daß Maria vom Zentralthema des Konzils isoliert werden könnte. Mit einer knappen Mehrheit entschieden sich* die Väter für diese vom Wiener Kardinal vorgetragene Meinung.

Dieses 8. Kapitel der „Dogmatischen Konstitution über die Kirche“, das „Die1 selige jungfräuliche Gottesmutter Maria im Geheimnis Christi und der Kirche“ betitelt ist, legt keine vollständige Lehre über Maria dar. Maria wird darin bei Anerkennung ihres Gnadenvorzuges als „völlig einzigartiges Glied der Kirche“ (53) bezeichnet; sie hat eine große Aufgabe im Heilsplan Gottes durch ihre Mutterschaft: „In den Himmel aufgenommen, hat sie diese heilbringende Aufgabe nicht abgelegt, sondern fährt durch ihre vielfältige Fürbitte fort, uns die Gabe des ewigen Heiles zu erwirken … Deshalb wird die selige Jungfrau in der Kirche unter dem Titel der Fürsprecherin, der Helferin, des Beistandes und der Mittlerin angerufen. Das ist aber so zu verstehen, daß es der Würde und

Wirksamkeit Christi, des einzigen Mittlers, nicht abträgt und nichts hinzufügt“ (62). Išaria wird als Typus der Kirche gesehen (64), der Marienkult, vor allem der liturgische, soll großmütig gefordert weräen, die Theologen und die Prediger werden aber vom Konzil ermahnt, „sich ebenso jeder falschen Übertreibung wie zu großer Geistesenge bei der Betrachtung der einzigartigen Würde der Gottesmutter sorgfältig zu enthalten“ (67).

Das bedeutendste nachkonziliare Dokument über Maria ist das ausführliche Apostolische Schreiben Papst Pauls VI. vom 2. Februar 1974 „Uber die rechte Gestaltung und Förderung der Marienverehrung“. Das Dokument versteht marianische Frömmigkeit als echt kirchliche Frömmigkeit, die nicht gegen eine biblisch-liturgische Frömmigkeit ausgespielt werden darf. Wenn das auch nicht in apologetischer, sondern in positiver Weise gezeigt wird, merkt man dennoch, daß auf viele Vorwürfe eingegangen wird, die gewissen Formen der Marienfrömmigkeit von liturgischer, biblischer, theologisch-systematischer Seite, aber auch von den Humanwissenschaften her gemacht worden sind. So heißt es unter anderem: „In die Texte der Gebete und Lieder müssen Vorstellungen und Anregungen aus der Bibel aufgenommen werden“ (30), von der Kirche empfohlene Andachtsfor- nfien dürfen nicht gering geschätzt werden, „auf der anderen Seite gibt es solche, die ohne ‘Rücksicht auf gesunde liturgische und pastorale Kriterien Andachtsformen und liturgische Handlungen in ungeordneter Weise miteinander vermengen“ (31), es soll „mit Sorgfalt jegliche Übertreibung vermieden werden, welche die anderen christlichen Bf-üder hinsichtlich der wahren Lehre der katholischen Kirche in Irrtum führen könnte (32).

Vorbild Maria

Ausdrücklich verlangt das Dokument, daß bei der Marienverehrung auch die „sicheren, bewiesenen Ergebnisse der Humanwissenschaften“ zu beachten sind. „Dies wird nämlich dazu beitragen, einen der Gründe für das Unbehagen an der Verehrung der Mutter des Herrn zu beseitigen: Die Unstimmigkeit zwischen einigen ihrer Inhalte und den heutigen anthropologischen Anschauungen sowie der tiefgreifend veränderten sozialpsychologischen Wirklichkeit, in der die Menschen unserer Zeit leben und wirken“ (34). Im folgenden wird ausgeführt, daß sich die Tätigkeit der heutigen Frau über die begrenzte häusliche Umgebung hinaus erweitert hat, so auf dem Gebiet der Kultur, der Forschung, der Politik. Es wird darauf hingewiesen, daß Maria nicht „wegen einer bestimmten Lebensform“ als Vorbild hingestellt werde, daß „gewisse Züge des Marienbildes im Volkstum und in einer bestimmten Literatur“ nicht mit den biblischen Aussagen immer genau übereinstimmen.

Der Rosenkranz wird von dem päpstlichen Dokument als „bliblisches Gebet“ bezeichnet - sind doch die „Geheimnisse“ und die wichtigsten Gebetsworte dem Evangelium entnommen (44). Auch wird darauf hingewiesen, daß der Rosenkranz „gleichsam wie ein Sproß aus dem jahrhundertealten Stamm der christlichen Liturgie herausgewachsen ist“ (48). Besonders wird die „meditative Eigenart“ des Rosenkranzgebetes betont: „Ohne sie ist der Rosenkranz ein Leib ohne Seele, und das Gebet läuft Gefahr, zu einer mechanischen Wiederholung von Formeln zu werden“ (47). Auch der „Engel des Herrn“ wird besonders empfohlen.

Leider haben sich diese wertvollen Impulse bisher nicht stark ausgewirkt; eine Unsicherheit hat sich auf dem Gebiet der Marienverehrung breitgemacht. Vielfach trifft man erst wieder an Stelle von Marien- und Maiandachten Mischformen an, die dem Geist der Liturgie widersprechen. So werden Maiandachten und Messen gekoppelt oder Marienlieder in unmotivierter Weise (auch als Zwischengesang beiden Lesungen) in die Messe eingeschoben. Man sollte doch wieder Mut zu eigenständigen, gut gestalteten Marienandachten haben.

Oft ist mein der Meinung, daß maria nische Gottesdienste sich lediglich in „vorkonziliarer“ Weise artikulieren könnten. Da sollte man doch die Vorschrift der Liturgiekonstitution beherzigen, die sagt, daß die „sehr empfohlenen Andachtsübungen des christlichen Volkes“ so geordnet sein sollen, „daß sie mit der heiligen Liturgie zusammeristimmen, gewissermaßen aus ihr herausfließen und das Volk zu ihr hinführen“ (13). Modelle für solche Marienandachten bietet das neue Gebet- und Gesangbuch „Gotteslob“.

Ein Bestandteil christlicher Frömmigkeit

Es wäre auch falsch, die Marienfrömmigkeit bloß auf das Rationell- Nüchterne reduzieren zu wollen. Wie in der ganzen Liturgie und Frömmigkeit haben auch hier die Kunst, vor allem die Poesie und das Gemüt ihren Platz. Gerade das Andachtswesen wäre der Ort, wo sich die Phantasie der Gottesdienstgestalter ein Betätigungsfeld suchen könnte.

Marienfrömmigkeit ist als ehrwürdiger Bestandteil christlicher Frömmigkeitstradition auch heute unangefochten. Gesunde Marienfrömmigkeit ist Ausdruck lebendigen Glaubens und gehört in die Mitte der Gemeinde. Man erweist der Marienverehrung einen schlechten Dienst, wenn man sie unverbesserlich traditionalistischen Gruppen zuweist; die Marienverehrung wird dort schwinden, wo man blind ist gegenüber den neueren wegweisenderen Äußerungen der Kirche.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung