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Eine harte Schule

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Eine Zeit hingebungsvoller Opernbegeisterung liegt am Anfang.

Erst einmal habe ich mir alle erreichbaren Textbücher gekauft und habe mich in jugendlichem Uberschwange in allen möglichen Rollen gesehen. Da habe ich Fotos von mir mit Barten und Helmen verziert und mich hineingeträumt, wie es denn wohl einmal sein wird, wenn man mich vor dem Bühnentürl um ein Rollenfoto bitten wird. Was werd“ ich dann da draufschreiben? Mir ist schon damals nichts eingefallen.

Zögernd habe ich mich an „O Isis und Osiris“ versucht, weil diese Arie sehr leicht ausschaut, wenn man die Noten betrachtet. In Wirklichkeit ist sie wahrscheinlich die allerschwerste.

Wie ich als Gurnemanz schreiten und als Boris zu Boden stürzen werde, das habe ich versucht. Vor dem Spiegel. Und bin mir dabei überhaupt nicht lächerlich vorgekommen. Vom Singen hatte ich noch keine Ahnung. Meine Auftritte waren dem Stadtchor von Vöcklabruck vorbehalten. Gesangsunterricht habe ich ja erst später, als ich in Wien Welthandel studierte, genommen.

Welthandel, ein hochinteressantes Studium, aber für einen, der sich zum Maler berufen, zum Sänger erkoren, aber vom „Herrn Vater“ zu selbigem

(Welthandel) gezwungen fühlt, eine äußerst öde Angelegenheit.

Er meinte es so gut mit mir, mein Vater, und es beschämt mich noch heute, daß ich ihm nicht nur keinen akademischen Abschluß, sondern auch keine bestandenen Prüfungen zu Füßen legen konnte.

Aber ich konnte mich ja nicht zerreißen. Schließlich mußte ich viermal die Woche in die Gesangsstunde, und die hat nur einen Sinn, wenn man ausgeruht hingeht und nicht abgehetzt von der Hochschule kommt. Dreimal wöchentlich war Abendakt, da mußte ich mein zeichnerisches Talent schärfen, und ebenso oft ging ich am Nachmittag Porträt zeichnen. Das war doch alles sehr wichtig.

Wann hätte ich welthandeln sollen? In die Oper gehen mußte ich ja auch, sooft es nur irgend ging.

In dieser Wiener Zeit habe ich einen unglaublichen Schatz an Klavierauszügen und Liederausgaben zusammengekauft. Keine Oper, in der ein Baß vorgekommen ist, und keine Liedsammlung, auf der „Für tiefe Stimme“ gestanden ist, waren vor meiner Kaufwut sicher. Ich hatte eine richtige Bibliothek. Wie ein echter Opernsänger.

Dieser meiner Bibliothek habe ich sehr interessante persönliche Kontakte zu Weltstars zu verdanken.

Als nämlich gegen Kriegsende die Großen der Oper Wien den Rücken gekehrt haben, sind sie samt und sonders im Salzkammergut aufgetaucht, wo ich das letzte Kriegs jähr - nicht mehr studieren könnend, weder welthandelnd noch malend noch singend — überstand.

Eines Tages taucht der Max Lorenz auf und erzählt mir, daß er gehört hat, ich singe, und ich soll ihm doch was vorsingen. Der Lorenz, der große Max Lorenz, läutete bei mir an, ich soll ihm vorsingen! Meine Schwester griff in die Tasten, und ich sang.

Tief bewegt hört der Lorenz zu, kann sich kaum erfangen vor lauter Begeisterung, fragt bei der Haustür ganz beiläufig, ob ich ihm nicht vielleicht ein Kilo Butter verschaffen könne. Ich konnte. Noch beiläufiger, fast schon auf der Straße, fragt er, ob ich nicht am Ende auch den einen oder anderen Klavierauszug hätte. Ich hatte.

Voller Stolz, meine Schätze an solche Prominenz verleihen zu dürfen, hole ich ihn wieder ins Haus und zeige ihm meine Bibliothek. Er staunte und nahm „Lo-hengrin“, „Tannhäuser“, die „üdin“, „Zauberflöte“, na, was er halt tragen konnte, mit. Auch noch den „Barbier“, „Cosi“, „Don Giovanni“, „Entführung“ für die Kollegin Schwarzkopf, die sucht nämlich, sagte er, auch Noten. Selbstverständlich habe ich alles fein säuberlich zurückerhalten, nur der „Entführungs“-Auszug fiel in Abrahams Wurstkessel.

Ich habe das gerne in Kauf genommen, auch daß alle einschlägigen Arien fein säuberlich herausgeschnitten waren, das habe ich auch gern in Kauf genommen. Wann schneidet einem schon ein Welttenor die Rom-Erzählung aus dem „Tannhäuser“?

Ein paar Jahre später hab“ ich mit dem Lorenz in Graz gemeinsam „Tannhäuser“ gesungen und ihn gefragt, wieviel Prozent seiner heutigen Rom-Erzählung auf das Konto meines Klavierauszuges gehen. Da hat er sehr gelacht. Aber dann hat er mich zum Abendessen eingeladen, da hab“ ich die Rom-Erzählung — sie fehlt immer noch in meinem

„Tannhäuser“ - verschmerzt, und er hat mir in den Auszug hineingeschrieben: „In höchster Not herausgeschnitten, danke Dein Max Lorenz.“

Bei der Schwarzkopf war das anders. Mit der habe ich gemeinsam den „Barbier von Bagdad“ aufgenommen, in London, anno 1954 etwa, da habe ich mich nach meinem Entführungsauszug erkundigt. Das war falsch. His ma-ster's voice hat mich nie mehr eingeladen. Ihr Mann war der Chef von His master's voice.

Der große Dirigent Karl Böhm ist auch bei mir gewesen im Jahr 45, dem mußte mein Bruder, der Apotheker ist, ein Mittel gegen kreisförmigen Haarausfall“ mixen. Und das sensationelle künstlerische Vermächtnis, das, wie wir alle wissen, Richard Strauss Böhm überreichte, konnte er, dank meiner gütigen Mithilfe, in Vöcklabruck fotokopieren lassen. Ich weiß genau, was da dringestanden ist. Da ist drin-gestanden, soviel ich mich erinnere, was er, Richard Strauss, an der Staatsoper spielen würde und was im Theater an der Wien. „Entführung“, „Cosi“, „Zauberflöte“ und ähnliches Kleinzeug im Theater an der Wien, „Ariadne“ natürlich am großen Haus.

Ich bin dann auch einmal nach Graz gefahren und habe bei seiner Frau Gesangsunterricht genommen. Im Jahre 46. Man kann nie wissen, hab“ ich mir gedacht, jetzt ist er zwar verboten, der Böhm, hab“ ich mir gedacht, aber der kommt wieder. Und recht hab ich gehabt.

Im Jahr 48 hat Böhm in Graz dann „Aida“ dirigiert, ich sang den König sehr würdig.

Da hat bei den Proben die Bühnenmusik nicht geklappt. Und der Böhm hat wieder einmal seinen ekelhaften Tag gehabt, hat geraunzt und vor sich hin genörgelt. „Die Bühnenmusik ist ungenau“, keppelt er von unten herauf. Der Bühnenkapellmeister, nicht auf den Mund gefallen, antwortet: „Ich habe es bemerkt, Herr Doktor!“ „Also tun S“ was dagegen!“ Die Stelle wird wiederholt. Wieder nicht zusammen. „Das stimmt schon wieder nicht“, so der Böhm; „Ich weiß“, so der Bühnenkapellmeister: „Bühnenmusik in ,Aida“ ist besonders heikel, wie Sie wissen, Herr» Doktor, vielleicht erinnern Sie sich an die Zeit, in der Sie die ,Aida'-Bühnenmusik dirigiert haben, da wird es auch nicht immer gleich geklappt haben!“ „Da schau her“, so der Böhm, „antworten können sagen können S was anderes a als antworten, Sie Antworter?“ „O ja“, war die Antwort, „zum Beispiel ,Aida“ dirigieren!“ Da war der Böhm ruhig. Der Bühnendiensthabende hat Caridis geheißen, der hat eine schöne Karriere gemacht, ich hab unter ihm die „Neunte“ von Beethoven und das „Verdi-Requiem“ gesungen, und jedesmal, wenn wir uns sehen, erheben wir das Glas auf den Antworter von der, Aida“ in Graz.

„Rosenkavalier“ hab ich mit ihm einstudiert, den Ochs, das war die einzige Rolle, die ich sozusagen „auf alle Fälle“ studiert habe, ohne zu wissen, wann ich sie singe. „Bitte“, hat der Caridis einmal zu mir gesagt, „erzähl das niemandem, erzähl niemandem, daß ich mit dir den Ochs einstudiert habe, weil du in jedem Akt mindestens dreimal schmeißt...“ Ich habe es geheimgehalten.

Die vier Jahre, die ich in Graz war, hab“ ich alles zusammengesungen, was gut und teuer ist. Uber 70 Rollen hab“ ich gesungen in diesen vier Jahren. Eine harte Schule.

Aus dem Band „Lebenszeichen“, der demnächst im Paul Neff Verlag, Wien, erscheint.

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