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Eine Hysterie nützt nichts

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Der Termin ist unglücklich, aber er ist fix: Am 1. Jänner 1973 soll die Mehrwertsteuer eingeführt werden. Nicht etwa, weil dies unsere Eintrittskarte in die EWG wäre — den berechtigten Einwänden unserer Handelspartner gegen die bisherige versteckte Exportsubventionierung hätte auch durch drastische Herabsetzung der Vergütungssätze und durch Verzicht auf die Zollfreizonen-Chuzpe Rechnung getragen werden können —, sondern aus innerpolitischen Gründen: Jede weitere Verschiebung des Umstellungstermins würde den Respektabstand zu den nächsten Wahlen allzusehr verringern, und alle bisherige ÖVP-Propa-ganda läßt keinen Zweifel daran, daß sich die große Oppositionspartei von der Teuerungswoge wieder an die Macht tragen lassen möchte.

Eben wegen dieser Teuerungswoge ist der Termin 1. Jänner 1973 unL glücklich. Richtig ist zwar, daß jene Staaten — voran die Bundesrepublik —, die für die Umstellung eine Rezession ausgenützt . (oder ausgelöst?) haben, preispolitisch besser gefahren sind, doch gehört es — was den Analogieschluß auf Österreich erschwert — nicht zum herkömmlichen Konjunkturbild, daß der Tiefpunkt der Konjunktur zugleich der Höhepunkt der Inflation ist (obwohl diese unorthodoxe Gegenläuflg-keit zwischen Wachstums- und Teuerungstempo heute nicht selten zu beobachten ist und als Termin für die Einführung der Mehrwertsteuer die erste — beschleunigte — Phase des Konjunkturaufschwunges optimal erscheinen ließe).

Die Gefahr liegt bei alledem nicht sosehr darin, daß trotz Umstellung in einer Flaute die Unternehmer versuchen könnten, die Preise stärker zu erhöhen — und vor allem weniger zu senken —, als dies durch den Wechsel des Steuersystems gerechtfertigt wäre; in anderen Ländern hat sich rasch genug gezeigt, daß die Konkurrenz unweigerlich den Abbau überhöhter Preise bewirkt (denn gottlob gibt es in jeder Branche Hechte im Karpfenteich, und seien diese Hechte auch ausländische Firmen, die die neuen Inlandpreise unterlaufen). Vielmehr ist die wirkliche Gefahr die, daß sich ein durch die Mehrwertsteuereinführung weniger verschuldeter als bloß veranlaß-ter Preisdruck nachträglich als irreversibel erweist, weil die Kosten inzwischen in den neuen Preisrahmen hineingewachsen sind oder auf gut deutsch: weil es unter Berufung auf den Preisauftrieb zu — kollektiven oder individuellen — Lohnforderungen kommt.

Hier aber beginnt sich der Teufelskreis zu schließen, denn wenn die Unternehmer damit rechnen müssen, daß ihnen eine neue Lohnwelle ins Haus steht, würden sie, genau genommen, unverantwortlich handeln, wenn sie unter Vernachlässigung aller kaufmännischen Vorsicht die Möglichkeit nicht nützen, in den neuen Kalkulationen gewisse Reserven anzulegen, die sie zumindest instandsetzen, die erfahrungsgemäß lange Durststrecke bis zur Bewilligung eines Preiserhöhungsantrages durch die Paritätische Kommission zu überstehen.

Besonders naheliegend ist diese Strategie natürlich immer dann, wenn der neue Preis niedriger sein müßte als der bisherige (was, in Parenthese vermerkt, ja überhaupt die Schattenseite unserer sozialpart-nerschaf fliehen Preiskontrolle ist: sie verhindert mit ziemlicher Sicherheit die Senkung von Preisen, weil deren künftige Wiederanhebung mit großen Scherereien verbunden wäre).

Ist ein preissenkender Effekt der Umstellung auf die Mehrwertsteuer aber nur ein seltener Einzelfall? In dem vorbeugenden Gejammer schon bald aller Branchen und Gruppen über die angebliche Unvermeidbarkeit von Preiserhöhungen im Gefolge der Mehrwertsteuer droht nachgerade eine höchst simple Tatsache unterzugehen: daß die weitaus meisten Preise nach Einführung der Mehrwertsteuer wesentlich niedriger sein müßten als heute.

Die weitaus meisten Preise schon insofern, als ja, gering gerechnet, zwei Drittel oder drei Viertel sämtlicher Preise zwischen Unternehmungen verrechnet werden, zwischen Rohstoffimporteur und Fabrik, zwischen Fabrik und Großhändler, zwischen Großhändler und Einzelhändler. Für jedes Unternehmen aber ist die künftige Mehrwertsteuer — anders als die bisherige Umsatzsteuer — nicht ein Preisbestandteil, sondern eine gesondert in Rechnung gestellte Durchlaufpost, die vom Finanzamt refundiert wird (was praktisch in der Form geschieht, daß das Unternehmen von der seinen Abnehmern in Rechnung gestellten und ans Finanzamt abzuführenden Mehrwertsteuer jene Mehrwertsteuerbeträge abzieht, die ihm seine Lieferanten fakturiert haben).

Innerhalb der gesamten — und bei manchen Produkten ziemlich langen — Unternehmerkette muß also ab dem 1. Jänner 1973 zu Preisen abgerechnet werden, die ganz wesentlich unter den bisherigen liegen. Im Einzelfall mag die Differenz zwischen dem alten und dem neuen, niedrigeren Preis sehr unterschiedlich sein, im Globaldurchschnitt müßten aber etwa 10 Prozent herauskommen, denn wenn die neue Mehrwertsteuer in Höhe von 16 Prozent nur etwa ebensoviel einbringen soll wie die bisherige Umsatzsteuer, die auf der letzten Stufe — nämlich beim Verkauf an den Konsumenten — im Regelfall 5V2 Prozent betragen hat, müssen die restlichen rund 10 Prozent innerhalb der Unternehmerkette angefallen sein und in diesem Durchschnittsausmaß in den bisher verrechneten Preisen stecken.

Zu den Preisen, die nach der Änderung des Steuersystems an sich niedriger sein müßten als bisher, gehören aber nicht bloß solche, die zwischen Unternehmen verrechnet werden, sondern selbstverständlich auch viele Verbraucherpreise, und zwar unter Einschluß der Mehrwertsteuer, die ja dem Konsumenten gegenüber nur bei größeren Fakturenbeträgen gesondert ausgewiesen werden wird. Selbst wenn nämlich in der Behauptung des Finanzministeriums, daß eine 16prozentige Mehrwertsteuer nicht mehr einbringt als die bisherige Umsatzsteuer, einige stille Reserven (für weitere Ausnahme- und Begünstigungswünsche) stecken, ist es ein Gebot simpelster Logik, daß eine im großen und ganzen doch einigermaßen „aufkommenneutrale“ Steuerumstellung nur etwa ebensoviele Verteuerungen verschulden kann, wie sie Verbilligungen bewirken muß.

Gebranntes Kind scheut freilich das Feuer: Nach den Erfahrungen zu schließen, die der Verbraucher etwa mit EFTA- und konjunkturpolitischen Zollsenkungen zu sammeln Gelegenheit hatte, sollten wir uns hinsichtlich der „Symmetrie“ zwischen Preiserhöhungen und -Senkungen keinen übertriebenen Hoffnungen hingeben; selbst unter Nachsicht aller Taxen müßten aber die Vertoil-ligungen nach Zahl und Ausmaß zumindest halb so groß sein wie die Verteuerungen.

Ob das wirklich der Fall sein wird, hängt allerdings davon ab, ob es in der (allzu) kurzen noch zur Verfügung stehenden Zeit gelingen wird, für die Steuerumstellung das richtige „Klima“ zu schaffen, oder bescheidener: zu verhindern, daß sich die Umstellung in einem falschen Klima abspielt, wie es — gewollt oder ungewollt — mit dem pausenlosen Trommelfeuer „prophylaktischer“ Preiswarnungen, aber leider auch dadurch geschaffen wird, daß die Einführung der Mehrwertsteuer in Österreich am Ende von drei Jahren einer sich beschleunigenden Teuerung erfolgt.

In diesen drei Jahren — so steht ernsthaft zu befürchten — haben sich nicht bloß die Konsumenten, sondern auch die Geschäftsleute daran gewöhnt, daß einmal diese und einmal jene Ware plötzlich mehr kostet. Das nehmen wir alle miteinander schon als so selbstverständlich hin, daß wir den Verkäufer der Notwendigkeit entheben, die Verteuerung zu begründen, d. h. wir lassen uns längst mit einem treuherzigen: „Was wollen Sie? Alles wird doch teurer!“ abspeisen. Wie groß ist dann aber die Chance, daß sich der Käufer nicht erst recht mit dem bloßen Hinweis auf die (ihm ja nur sehr beiläufig bekannte) Mehrwertsteuer wird abspeisen lassen, also im Extremfall mit dem „Argument“, daß jetzt eben zum Preis 16 oder 8 Prozent Mehrwertsteuer dazukämen, oder, wenn es hoch geht, mit der ebensowenig stichhaltigen Behauptung, die Umsatzsteuer sei von 5V2 Prozent auf 16 Prozent erhöht worden?

So gesehen, ist eine halbwegs glimpfliche Einführung der Mehrwertsteuer vorrangig ein Informationsproblem: Auch die einfachste Hausfrau muß wissen, daß nur in ganz seltenen Ausnahmefällen, die aber dann der Begründung bedürfen, der neue Preis einschließlich Mehrwertsteuer um mehr als 5 Prozent über dem bisherigen liegen kann, daß sich die Verteuerung in der Regel in den Grenzen von 1 bis 2 Prozent halten muß und daß so gut wie alle Nahrungsmittel, die meisten Textilien, viele Elektro- und Haushaltsgeräte usw. nach Einführung der Mehrwertsteuer billiger sein müßten als heute.

Ein Informationsproblem allererster Ordnung ist aber die Systemänderung auch im Bereich der Unternehmen. Gemeint ist damit weniger (so sehr es auch damit noch im argen liegt) die Vertrautheit mit den technischen Besonderheiten — Art der Berechnung, der Verrechnung usw. — als vielmehr eine materielle Kalkulationshilfe: Damit selbst ein gutwilliger Unternehmer seine neuen Preise korrekt kalkulieren kann, müßte er wissen, wieviel Umsatzsteuer in den heutigen Preisen seiner Vorprodukte steckt. Darüber kann ihn aber auch nicht ein Anruf bei seinen Lieferanten aufklären, weil diese ihrerseits nicht wissen, wieviel alte Umsatzsteuer sie bei ihren Einkäufen mitbezahlt haben und so weiter.

Dieser gordische Knoten läßt sich nicht lösen, sondern nur auf brutalste Art durchschneiden: Dadurch, daß das Finanzministerium in Zusammenarbeit mit den Interessenvertretungen einen möglichst detaillierten Katalog der typischen Umsatzsteuervorbelastung ausarbeitet; nicht als verbindliche Kalkulationsunterlage, denn zu den Tücken des bisherigen Systems gehört ja gerade die Tatsache, daß ein und dieselbe Ware, je nach der Zahl der Produktions- und Verteilungsstufen, die sie durchlaufen hat, verschieden hoch mit Umsatzsteuer belastet ist, aber doch als Richtwert, von dem abzuweichen der Begründung bedarf:

Der Begründung — so steht zu hoffen — gegenüber dem preisbewußten Abnehmer, der an Hand dieses Kataloges die Umsatzsteuerentlastung bei seinen Lieferanten monieren wird, der Begründung aber auch — so steht zu befürchten — gegenüber irgendeiner (bestehenden oder zu schaffenden) Instanz für die verschärfte Preisüberwachung, wäh-red einer vielleicht neun- oder zwölfmonatigen Umstellungsfrist. Ohne eine solche Instanz ließe sich wahrscheinlich ein wegen seiner lohnpolitischen Sekundärwirkung bedenklicher „Indexsprung“ nicht vermeiden, aber da keine solche Instanz sämtliche Preise überwachen könnte, müßte dafür gesorgt werden, daß sie sich nur mit Sonderfällen zu befassen braucht: eben mit jenen Preisen, die — vielleicht durchaus begründet, aber dann auch zu begründen — höher kaluliert werden als zu den Richtsätzen des hier geforderten Katalogs.

Hysterie jedenfalls hilft nichts: Weder die hysterische Angst, wegen der Einführung der Mehrwertsteuer würden alle Preise steigen (eine besonders gefährliche Hysterie, weil sie ihrerseits dem Preisauftrieb Vorschub leisten würde), noch die hysterische Angst vor einer vorübergehenden Verschärfung der Preisüberwachung zur Vermeidung eines nur scheinbar mehrwertsteuerbedingten Preischaos. Der einen wie der anderen Hysterie vorbeugen kann man allerdings nicht durch Mobilisierung des „Krampfaderngeschwaders der Arbeiterkammer“ (wie ein sozialistischer Journalist die zur Preiskontrolle und -anzeige angeheuerten Hausfrauen genannt hat), sondern nur durch eine geballte Ladung von sachlicher Information über Wesen und Wirkung der tiefgreifendsten Steueränderung seit 35 Jahren ...

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