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Eine intensive Begegnung in Briefen

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Vor zehn Jahren, am 26. August, ist Imma von Bodmershof in Rastbach gestorben. 1958 hatte sie den Großen Österreichischen Staatspreis bekommen, andere Auszeichnungen vorher und nachher. Ein Platz in der Literatur war ihr sicher.

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Vor zehn Jahren, am 26. August, ist Imma von Bodmershof in Rastbach gestorben. 1958 hatte sie den Großen Österreichischen Staatspreis bekommen, andere Auszeichnungen vorher und nachher. Ein Platz in der Literatur war ihr sicher.

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Geboren am 10. August 1895, als Tochter des Philosophen und Begründers der Gestaltenlehre, Christian Freiherrn von Ehrenfels, hat sie Kindheit und Jugend mit ihren Eltern verbracht, in Prag und auf den familieneigenen Schlössern und Gütern von Lichtenau und Rastbach bei Gföhl, die sie später, trotz vieler Reisen, mit ihrem Mann bewirtschaftet hat. Bekannt mit Rainer Maria Rilke, Norbert von Hellingrath, Stefan George, geistesverwandt mit Adalbert Stifter, Hugo von Hofmannsthal, Max Meli, mit Rudolf Kassner, Hermann Hesse, Hans Carossa, mit Reinhold Schneider, Friedrich Hölderlin, Leonardo da Vinci, waren Kunst und Philosophie der Mittelpunkt ihres Lebens.

„Der zweite Sommer", ihr erster Roman, hat Anerkennung gefunden. Mehr noch, zwei Jahre später, „Die Stadt in Flandern", ein Roman, der ahnungsvoll und lyrisch gestimmt, zum zweiten Mal und neu bearbeitet, als „Das verlorene Meer" 1952 gedruckt worden ist. 1950 jedoch ihre vielleicht bedeutendste Prosa: „Die Rosse des Urban Roithner". 1951 Novellen. 1958 die in Sizilien beheimatete Dichtung „Sieben Handvoll Salz", wie alles vor- und nachher für die Persönlichkeit dieser Autorin von größter Bedeutung, im Hinblick vor allem auf ihre erstmals 1962 erschienenen Haiku-Gedichte, die im deutschen Sprachbereich immer mehr interessierten, ja heute richtunggebend und weltbekannt sind. Stets neue Gedichte in dieser strengen, aus Japan stammenden Kurzform: 1970 „Die Sonnenuhr", 1980 „Im fremden Garten", das Bändchen „Löwenzahn" sogar in Japan, „La meridiana", deutsch-italienisch, in Mailand. Nicht zu vergessen „Die Bartabnahme", 1960 in Wien, weltanschaulich-religiös, mit dem

Spanischen Bürgerkrieg als Hintergrund. Schließlich, bestechend die Prosa „Mohn und Granit", ein Lobgesang auf die Waldviertier Heimat.

Ein kurzer Briefwechsel

Imma von Bodmershof, eine kurze Begegnung in Briefen. Zufall und Schicksal. Ich wußte um das japanische Haiku und sollte ein Vorwort schreiben zu ihren Haiku-Gedichten, entdeckte die Aussagekraft dieser Dichtung, wollte, beeindruckt davon, mehr von ihr wissen, las den Sizilien-

roman und konnte nicht anders als umgehend fragen, wann und wie lang sie in Catania gewesen sei. Ich hätte diese Menschen ja alle gekannt. Am 7. 1. 1982 ihre Antwort:

„Sehr geehrter lieber Herr Professor Stix -

Die letzten zwei Wochen haben mir mehr als hundert Briefe gebracht, darunter einige sehr schöne bedeutsame, aber keiner von ihnen hat mich nur annähernd so lebendig gefreut wie der Ihre, der heute in meine Hände kam, brav von Rastbach hierher nachgewandert. Daß Sie, der Sizilien als zweite Heimat bezeichnet, so mit meinem Buch mitgehen, das bedeutet mir mehr als ich es ausdrücken kann. Und daß Sie den Ätnaausbruch oben auf dem Berg mitmachten, den ich nur nach einem kleinen selbstgesehenen Ausbruch und den vulkanologischen Institutsberichten nachbilden konnte - das ist mir beinahe wie ein Wunder. Mit Sizilien ist es mir seltsam gegangen. Als ich das erste Mal dort war (1937) nahm es gewissermaßen von mir Besitz, es entstand eine Verbindung, die ich nicht erklä-und

nur schwer schildern kann. Inder würden sagen, ich sei in einem früheren Leben eine Sizilianerin gewesen und alles Gute und Böse der einstigen Heimat sei in mir wieder aufgewacht - so etwas war es. Dieser Zauber, oder wie man es nennen will, verging erst wieder, nachdem ich noch drei Mal si-zilianisches Salz gegessen hatte und das Buch geschrieben war.

Aber ich muß Sie enttäuschen, die Menschen, die darin vorkommen, habe ich nicht gekannt, nicht einmal ähnlich gesprochen, sie kamen mir zugeflogen, fertig und unänderbar, und ich kannte sie wie das eigene Leben. Und einmal haben wir, mein Mann und ich, bei einer Strassenkreuzung, bei der wir auf grünes Licht warten mußten, Giliola leibhaft in einem Wagen neben uns am Steuer sitzen gesehen. Sie war damals schon bei mir geboren, und wir nickten uns nur zu: „Da also ist sie". Noch einmal, bei der nächsten Kreuzung, stand ihr Wagen neben dem unseren - dann entschwand er für immer.

Wir haben viel studiert, Geschichte, Landwirtschaftliches und anderes und die Augen sehr offen gehalten rund um den Mongibello, aber der äußeren Greifbarkeit nacherzählt sind außer der Landschaft und Einzelheiten nur der Ausbruch des Ätna und die Maffia Geschichten, die uns eine pa-lermitanische deutsch-italienische Familie erzählte, nachdem wir selbst knapp einer Maffia Begegnung entronnen waren. Aber das führt ins Uferlose! (...)

Kommen Sie nicht einmal nach Österreich? Im Mai und November bin ich meist in meiner kleinen Wiener Wohnung, im Winter, seit ich allein blieb, jetzt immer bei einer holländischen Freundin hier, 300 m über dem Genfer See, wieder in tiefer Einsamkeit wie zuhause in Rastbach.

Heute nur diesen Dank und Freudenruf (...)"

Dann kam ein handgeschriebener Brief aus Wien, mit dem Datum des 26. 5. 1982:

„(...) Mein Brief, die Antwort auf den Ihren vom 19. Dezember, hat ja eigentlich keine Antwort haben müssen, aber Ihr Brief war eine so lebendige Freude für mich, daß ich wissen

möchte, ob Sie meinen bekommen haben - es gehen so viele Briefe von und nach Italien verloren! Darum verzeihen Sie, wenn ich Sie um ein Wort bitte, nun da ich wieder in Österreich und hoffentlich in einer Woche im lieben alten Rastbach bin.

Meine Haiku werden nun, nach der italienischen Übersetzung bei Schei-willer Mailand, auch zum Teil Englisch erscheinen, erst in der Canadi-schen Zeitschrift (...?). Das gibt allerlei Arbeit. Kennen Sie mein Büchlein „Mohn und Granit - Vom Waldviertel"? Das könnte ich Ihnen von R. aus senden.

Grüßen Sie ,mein' geliebtes Sizilien (...)"

Einheit von Sinn- und Abbild

Ich bat um Vergebung wegen des Schweigens und kündigte für den September einen Besuch an. Kurz vor der Abfahrt erhielt ich die Nachricht von ihrem Tod. Sie starb „nach langem, tapfer ertragenem Leiden". In ihren Briefen, auch in der Handschrift, war nichts davon zu bemerken.

Inzwischen hatte ich alles von ihr gelesen. Was auffällt, ja immer wieder bezaubert, ist ihr Vermögen, in jeder, auch der kleinsten Erscheinung, die greifbare Wirklichkeit, das Abbild also, zu sehen, gleichzeitig aber auch dessen Sinnbild, und beides zur Einheit zu bringen, als „coincidentia oppositorum", denn das Bild, farbig im Kosmos des Schweigens, bis es auf einmal zu schwingen beginnt und zur „äußeren Welt mit dem Bewußtsein zu fassen" wäre doch nur „vergängliches Spiel".

Sie, die Einsame, spürt ja, was Menschen im Innern bewegt, und so wachsen ihr Vorstellungen zu, die, wie die Mythen und jede Uroffenbarung, Mensch tind Natur ändert, wie die Zeit, die zwischen den Zeiten besteht und vergeht, ohne daß man zwar an ein Leben, das nie und nimmer ausgelöscht wird, sondern sich wandelt, in Seinsbereiche hinein, die unsichtbar sind. Es ist mit dem Waldgänger so, bei Adalbert Stifter, es transzendiert auch Dietrich von Bern bei Max Meli, wie schließlich Imma von Bodmershof ihren Urban Roithner fortziehen läßt. Wohin, weiß sie selbst nicht.

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