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Eine Kirche ganz neuer Art

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Chinas Kulturrevolution hat den Protestanten nicht SO Stark geschadet wie den Katholiken. Innmer schon selbständig, dringen Protestanten in Wirtschaftsbe-reiche vor.

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Chinas Kulturrevolution hat den Protestanten nicht SO Stark geschadet wie den Katholiken. Innmer schon selbständig, dringen Protestanten in Wirtschaftsbe-reiche vor.

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Die protestantischen Kirchen Chinas sind dabei, eine wertvolle Arbeit zu leisten: Sie organisieren und fördern die Integration christlicher Techniker und Experten in Schlüsselpositionen der chinesischen Wirtschaft.

Dieser Ansicht ist Pater Ismael Zuloaga, Sonderbeauftragter der Jesuiten für China. Er ist nicht der einzige, der erstaunt die Dynamik der Protestanten in China beobachtet, deren Zahl von 700.000 Gläubigen im Jahr 1949, bei der

Machtergreifung der Kommunisten, auf heute fast fünf Millionen angewachsen ist.

Andererseits ist die Zahl der Katholiken, heute offiziell mit 3,3 Millionen angegeben, seit 1949 kaum gewachsen. Dennoch existieren bei den Katholiken — und in gewissem Ausmaß auch bei den Protestanten - „Untergrund“-oder „verborgene“ Kirchen an der Seite der „sichtbaren“ Kirchen, die offiziell vom Regime anerkannt werden.

Professor Paul Xu Baikang, Vizepräsident der Vereinigung katholischer Intellektueller Shanghais, in der 500 Professoren, Mediziner und Ingenieure organisiert sind — in erster Linie Absolventen der 1949 verstaatlichten katholischen Universität „L’Aurore“ —, ist der gleichen Meinung wie Pater Zuloaga: Die Protestanten vereinen mehr Intellektuelle als die Katholiken, und sie haben eine stabile Grundlage. Bei einer ganzen Reihe von Sachgebieten sind sie voraus, wie zum Beispiel beim Bau von Krankenhäusern, bei der Schaffung sozialer Dienste und bei der Herausgabe religiöser Schriften.

Andere Beobachter erklären die schnelle Entwicklung der Protestanten in China auch damit, daß sie bei Gottesdiensten schon immer die Landessprache benutzt haben, während die Katholiken auf der Liturgie aus der Zeit vor dem Zweiten Vatikanischen Konzil beharrten.

Shen Yifan, protestantischer Bischof von Shanghai, sieht das als Folge der langen Isolation, unter der die chinesischen Katholiken gelitten haben. Er wünscht, daß die liturgischen Reformen rasch verwirklicht werden; andernfalls würden die Katholiken junge Leute der Kirche entfremden. Bischof Yifan glaubt auch, daß die Protestanten mehr zur Evangelisation nach außen neigen, während die Katholiken ihren Glauben im Kern der Familie von Generation zu Generation nur bewahren wollen.

Die Katholiken wurden besonders aufgrund ihrer Bindungen zum Vatikan isoliert, der von den chinesischen Machthabern lange Zeit als „imperialistische ausländische Macht“ bezeichnet wurde. Obwohl die Protestanten auch unter Verfolgungen zu leiden hatten und angeklagt wurden, einer fremden Religion anzugehören, konnten sie sich weitaus leichter gegen den Vorwurf verteidigen, unter der Vormundschaft einer „feindlichen ausländischen Organisation“ zu stehen.

Der protestantische Chinesische Kirchenrat verzeichnet offiziell mehr als 4.000 Kultstätten, die nach den Konfiszierungen der Kulturrevolution renoviert oder wiederaufgebaut wurden - ohne die vielen Tausend Gebetsgemeinschaften zu zählen, die sich zu „ Hausgottesdiensten“ versammeln. Diese Gemeinschaften spielten während der Kulturrevolution (1966 bis 1976) eine große Rolle, als öffentliche Gottesdienste verboten waren.

Dem Rat gehören etwa 800 Pastoren an, unter ihnen etwa 100 Frauen. In den letzten fünf Jahren waren ein Drittel der neu ordinierten Pastoren Frauen. Die weiblichen Pastoren werden je-

doch nicht in allen Landesteilen anerkannt. Zur Zeit unterhalten die Protestanten zwölf theologische Institute im ganzen Land, an denen mehr als 700 Kandidaten studieren.

Die Politik Deng Xiao Pings -so Bischof Shen Yifan — trägt besonders im Bereich der Religionsfreiheit heute reiche Früchte. Die Situation ist heute weitaus besser als in den fünfziger Jahren, als die Protestanten unter dem Druck der Machthaber die „Drei-Selbstbestimmungsbewegung“ ins Leben riefen, die für kirchliche Selbstverwaltung, Eigenfinanzierung und eigenständige Verkündigung eintrat. Nach dem Trauma der Herrschaft der „Viererbande“ hat sich die Situation in China heute normalisiert. Der Einfluß der extremen Linken der Kulturrevolution ist noch immer in einigen Kadern zu spüren, die Religion als „Opium fürs Volk“ ansehen und nichts unternehmen, um religiöses Leben leichter zu machen.

Auf dem Land bekräftigen Parteikader, daß „es hier früher keine Christen gegeben hat und auch jetzt kein Grund besteht, daß es nun welche geben sollte“. Konversionen werden nur schwer akzeptiert.

Die Gotteshäuser und kirchlichen Besitztümer, die während der Kulturrevolution beschlagnahmt wurden, sind noch nicht alle zurückgegeben. Sie sind inzwischen zu Fabriken oder Lagerhallen umgewandelt worden, und die Produktionseinheiten, die sie belegt haben, weigern sich, sie zurückzugeben. Da helfen auch Anweisungen der Regierung oder Grundsätze der Verfassung wenig, die die Religionsfreiheit proklamieren und „normale religiöse Aktivitäten“ schützen. Die Verfassung von 1982 ist viel liberaler als die von 1978, denn die Klausel von der „Propagierung des Atheismus“ ist aus ihr verschwunden.

Gleichwohl blieb der Paragraph erhalten, daß „religiöse Organisationen und ihre Angelegenheiten nicht irgendeiner ausländischen Kontrolle unterworfen sein dürfen“. Nach Ansicht des evangelischen Bischofs von Shanghai fehlt noch immer ein spezifisches vollständiges Religionsgesetz. Ein dementsprechen-des Gesetz wird zur Zeit beraten.

„Wir haben nicht mehr als acht Bischöfe in der protestantischen Kirche Chinas, von denen sechs Anglikaner und zwei von der ,Kirche Gottes’ ordiniert worden sind. Unsere Kirche wird nicht mehr von Bischöfen geleitet, und sie nehmen auch keine administrativen Aufgaben mehr wahr“, erzählt K. H. Ting, Bischof von Nanking und Präsident des Chinesischen Christenrates und der „Drei-Selbstbestimmungsbewegung“.

Zum ersten Mal seit 1955 wurden Bischöfe in einer protestantischen Kirche Chinas ordiniert, aber diese Bischöfe sind nicht irgendeiner der protestantischen Kirchen oder etwa einer Diözese zuzurechnen, da alle einzelnen Bezeichnungen protestantischer Kirchen (Adventisten, Baptisten, Lutheraner, Methodisten, Reformierte) seit dreißig Jahren weggelassen werden. Diese „vereinte Kirche ohne Bezeichnung“ versucht, für ihre Gottesdienste den Reichtum jeder protestantischen

Tradition zu entlehnen. Bischof Ting sieht die Zukunft der vereinigten protestantischen Kirche Chinas auf einem Mittelweg zwischen Presbyterianismus und Kongregationalismus - wobei die Bischöfe nur noch in Fragen der Moral, der Theologie und der Pastoral eine gewisse Autorität hätten. „Das ist eine Kirche ganz neuer Art“, betont Ting.

Der Ausbildung pastoraler Mitarbeiter auf dem Land muß große Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sonst werden die Gläubigen vom Aberglauben beeinflußt oder sitzen Heilspredigern auf, die durchs Land ziehen und pro Taufe zehn Yuan verlangen, was dem Ruf der Kirche sehr schadet.

Um die Dynamik der protestantischen Kirche in China zu verstehen, muß man die in der Nähe von Nanking gelegene hochmoderne Druckerei der Stiftung „Amity“ besuchen, die vom amerikanischen Pastor Peter MacInnis geleitet wird. Die „Amity Printing Co. Ltd.“ hat im Vorjahr 800.000 vollständige Bibeln auf Chinesisch gedruckt sowie christliche Literatur, was dank der Weltbibelbewegung möglich war.

Obwohl sie 270 chinesische Arbeiter beschäftigt und 24 Stunden am Tag arbeitet, kann sie die Nachfrage nicht befriedigen. Vor drei Monaten hat sie sogar 10.000 Bibeln an die offizielle Buchhandlungskette „Xinhua“ ausgeliefert, die diese in wenigen Tagen verkauft hat. So groß ist der spirituelle Durst der Chinesen in der Ära nach Mao.

Der Autor ist Chefredakteur der Schweizer Katholischen Nachrichtenagentur KIPA.

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