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Eine konstruktive Kraft

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Seit fast einem Jahrhundert ist die österreichische Arbeiterschaft mit der Sozialdemokratie aufs engste verbunden. Während die österreichische Sozialdemokratie die Emanzipation der Arbeiter vom rechtlosen Lohnsklaven zum gleichberechtigten Bürger durchgesetzt hat, erwies sie sich auch von Anfang an als konstruktive politische Kraft auf regionaler und internationaler Ebene.

So konnten die von der Sozialdemokratie ausgehenden Vorschläge zur Lösung der Nationalitätenfrage zwar den Zerfall des

Vielvölkerstaates nicht aufhalten, doch verdienen diese Vorschläge in Anbetracht der Brisanz von Sprachenkonflikten in vielen Teilen der Welt von heute Beachtung.

Die Pionierarbeit der Sozialdemokratie für europäische Zusammenarbeit und internationale Verständigung als Sektion der Sozialistischen Internationale verdient gleichfalls Anerkennung.

Nach den beiden Weltkriegen spielte die Sozialdemokratie eine Schlüsselrolle in Koalitionsregierungen, welche die neugegründete beziehungsweise wiederauferstandene Republik aus den Trümmern des Zusammenbruchs geführt haben.

Beide Male konnte die Sozialdemokratie ihrer Aufgabe im Staat nur gerecht werden dank ihrer Verankerung in einer Arbeiterschaft, deren Selbstbewußtsein sich in der Sozialdemokratie entwickelt hatte.

Die für Österreich charakteri stische Einheit der Arbeiterschaft — ein am europäischen Kontinent tatsächlich einzigartiges Phänomen — erscheint als eine beachtliche historische Leistung der als „austromarxistisch“ bekannten Synthese von marxistischer Theorie mit Teilnahme an der parlamentarischen Demokratie.

Auf der Grundlage dieser Synthese wurde unter der Führung Victor Adlers eine radikale und eine gemäßigte Arbeiterpartei am Parteitag von Hainfeld am 31. Dezember 1888 vereint — der Ausgangspunkt für den erfolgreichen Kampf um das Wahlrecht und die Durchsetzung grundlegender Rechte.

Das ermöglichte der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei im Jahr 1919, Österreich von den verhängnisvollen anarcho-bolsche- wistischen Ausbrüchen zu bewahren, die in den Nachbarländern Ungarn und Bayern viel Unheil angerichtet haben. Dank dieser einsatzfähigen Einheit der österreichischen Arbeiterschaft auf dem Boden der Demokratie ist Österreich letzten Endes außerhalb des Stacheldrahts des „realen Sozialismus“ geblieben.

Die ungebrochene Identifizierung der österreichischen Arbeiterschaft mit dem demokratischen Sozialismus ist nämlich durch die Erfahrungen unter dem arbeiterfeindlichen autoritären Regime 1934 bis 1938 und dem mörderischen Unterdrückungsregime des Nationalsozialismus gefestigt worden. Dazu kamen hautnahe Erfahrungen und Beob achtungen von Stalins „realem Sozialismus“ während des Jahrzehnts alliierter Besatzung.

Die Identifizierung der österreichischen Arbeiterschaft mit der Sozialdemokratie wurde zwar von Victor Adlers austromarxi- stischer Synthese radikaler Phraseologie mit fortschrittlicher demokratischer Tagespolitik eingeleitet, aber erhalten wurde diese feste Bindung nicht mittels dieser widersprüchlichen Synthese, sondern dank politischer, wirtschaftlicher und kultureller Errungenschaften, welche die Arbeiterschaft in die Gesellschaft und in den Staat integriert haben.

Hier ist vor allem die Aufbauarbeit im „roten Wien“ der Zwischenkriegsjahre zu nennen, deren Leistungen seitdem weltweit anerkannt worden sind. Ihre Durchführung war natürlich in Anbetracht des Kostenaufwandes damals überaus kontroversi- ell. Heute können die Wiener aller Parteien auf diese weltweit anerkannte Leistung stolz sein.

Die festen Bindungen der österreichischen Arbeiter an die Sozialdemokratie beruht seit der Jahrhundertwende auf ihren emanzipatorischen Leistungen und nicht auf den radikalen, utopischen Formulierungen marxistischer Prägung in den Parteiprogrammen. Heute sind diese toter Ballast. In der Ersten Republik trugen sie jedoch unnötigerweise zu den politischen Spannungen bei, da sie als Bürgerschreck wirkten.

Die Demokratie ist in den Zwi schenkriegsjahren nicht, wie oft behauptet wird, an der wirtschaftlichen Notlage als solche gescheitert, sondern an Ideologien, die konflikt- und krisenfreie Gesellschaftsordnungen als Endlösungen aller Krisen versprachen. Derartige utopische Zielsetzungen haben in den Zwischenkriegsjahren manche Politiker in allen drei Lagern desorientiert und als Irrlichter in ausweglose Sackgassen geführt.

1945 waren alle diese Ideologien kompromittiert, und die ärgste Not der Nachkriegszeit wurde in demokratischer Zusammenarbeit bewältigt. Jetzt droht jedoch eine Wiederbelebung der seiner zeitig kompromittierten utopischen Zielsetzungen über ideologisch verzerrte und gefälschte Geschichtsbilder.

Dank der Zusammenarbeit der demokratisch gesinnten Politiker aller Parteien hat die parlamentarische Demokratie in den Jahren zwischen den Weltkriegen fünfzehn Jahre lang funktioniert und viele Probleme bewältigt. Dabei wurde die Verfassung geschaffen, welche unserer Republik seit fast vierzig Jahren als Grundgesetz dient.

Die parlamentarische Demokratie scheiterte jedoch an den bereits erwähnten Ideologien.

Zur Rechten wurde dabei die Demokratie als Ursache von Kon flikten ausdrücklich abgelehnt, im Sinne der Ideen von Othmar Spann. Diese kamen in dem autoritären Regime (1934 bis 1938) zum Tragen. Die Wirtschaftspolitik dieses Regimes auf Kosten der Arbeiterschaft stärkte die Bindung der damals entrechteten Arbeiterschaft an ihre unterdrückte Partei.

Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß viele Politiker in beiden „bürgerlichen“ Lagern auf dem Boden der Demokratie gestanden sind. Viele von ihnen lehnten Othmar Spanns autoritäre Ständestaatideologie ausdrücklich ab und distanzierten sich auch von der am rechten Flügel beider Lager damals verbreiteten Bewunderung für Mussolinis Regime. .

Diese demokratisch gesinnten Gegner der Sozialdemokratie wurden jedoch bereits vor der zur Gänze ideologisch motivierten Ablehnung des Koalitionsangebots im Jahr 1931 ausgeschaltet. Daraufhin reagierte die Sozialdemokratie auf den großen Wahlerfolg der Nationalsozialisten am 24. April 1932 im Sinne einer marxistischen Fehlinterpretation historischer Entwicklung, die den Christlichsozialen nur die Wahl zwischen den Nationalsozialisten und den faschistischen Heimwehren als Koalitionspartner ließ.

Mit der Bevorzugung Starhembergs — des Führers der Heimwehren — verschoben die Christlichsozialen den Triumph Hitlers in Österreich um fünf Jahre. Aber der Eintritt der Heimwehrler in die Regierung führte zum Untergang der Demokratie und stellte die Weichen für Österreichs widerstandslosen Untergang.

Der Autor ist Professor für Soziologie an der Universität Wien.

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