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Eine Kultur in Bewegung

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Das erste, was irtir in Sofia vorgeführt wurde, war ein „Kunst-Gymnasium“ für 14-18jährige Schüler. Burschen und Mädchen sieht man hier treppauf, treppab allerlei halb fertige Bilder, Zeichenmappen, Lehmklumpen schleppen, in den Klassenräumen wird gemalt, getöpfert, werden graphische Techniken erprobt. Aus dem ganzen Land kommen die Schüler nach Sofia oder in das zweite Kunst-Gymnasium nach Plovdiv.

Wenn man sich die Arbeiten der 16- oder 17jährigen ansieht, meint man, es mit Studenten der Akademie zu tun zu haben. Sie beherrschen das Technische, da gibt es keine Probleme mehr. Sie werden zweimal im Jahr elf Tage auf Exkursionen geführt, sehen sich in anderen Städten um, in der Industrie, /in Architekturbüros, malen draußen in der Natur. Einige bekommen nach dem Abschluß ein Stipendium, um an einer italienischen oder französischen Akademie zu studieren.

„Unsere Schüler werden dort meist gleich in die zweite oder dritte Klasse aufgenommen“, sagt der Direktor und blättert die Schüler-Zeichnungen hin. Man zweifelt nicht an seinen Worten. Beim Verband der bildenden Künstler kann man sich über die langfristigen Erfolge dieser kunstpädagogischen Arbeit informieren.

In den letzten drei Jahren wurden immerhin, sagt der Generalsekretär des Verbandes, 450 Künstler ins Ausland geschickt, 400 ausländische kamen nach Bulgarien. In Paris hat der Verband zwei Ateliers für 99 Jahre gemietet. Zwei Künstler können je zwei Monate dort arbeiten. Überhaupt ist es sehr nützlich, im Künstlerverband zu sein - aber es ist nicht Bedingung für die berufliche Betätigung. Heute hat der Verband rund 1100 Mitglieder. Weitere 1000 sind in einer Art Jugendorganisation für Künstler unter 35 Jahren.

Der Verband sorgt vielfach für seine Mitglieder: bei Ausstellungen übernimmt er Transport- und Versicherungskosten, er unterhält eigene Erholungsheime am Meer, wo Mitgliedern nur das Essen verrechnet wird. Er kann das alles ohne Subventionen des Staates leisten, weil er eigene Unternehmungen führt: Geschäfte, in denen Kunstgewerbe und ähnliches verkauft wird, den einzigen Verlag für Kunstbücher, die einzige Gießerei für Bronze- Denkmäler etc. Der Verband schlägt auch die Künstler vor, die vom Staat Auslands-Stipendien erhalten.

Das Jubiläum 1300 Jahre seit der ersten bulgarischen Staatsgründung mag eine Äußerlichkeit sein. Es hat aber im kulturellen Bereich viel in Bewegung gebracht. Das kleine Balkanvolk, das am Anfang jener Sprach- und Schriftkultur stand, die von der Ostkirche geprägt ist und die von hier aus erst zu den Russen kam - es wird sich immer stärker seiner Eigenart bewußt. Denn vor der Mission der Brüder Kyrill und Method gab es hier schon Thraker und Römer, Griechen und Makedonier. Sie haben ebenso zur Entwicklung der bulgarischen Kultur beigetragen, wie das Turkvolk der Protobulgaren, die ja eigentlich federführend waren bei jenem Vertrag mit dem Kaiser von Byzanz, der im Jahre 681 sozusagen der erste Akt staatlicher Eigenständigkeit war.

Wenn der Schriftsteller von heute fragt, was die Bulgaren von anderen Völkern unterscheidet, was sie den anderen gegeben haben, dann sind die Väter der Schriftsprache, die Missionare Kyrill und Method eben auch Mittler der oströmischen Kultur. Dann steht die Sekte der Bogumilen erneut zur

Diskussion, die im Mittelalter mit ihren von den herrschenden Systemen abweichenden religiösen und sozialen Ideen so viel Unruhe brachte. Dann ist aber auch die große Leistung des Bewahrens von Schrift und Literatur über 500 Türkenjahre hinweg der orthodoxen Kirche nicht abzusprechen.

Die Schriftsteller können sich über einen Mangel an Förderung nicht beklagen. Große Werbe-Aktionen mit Lesungen bringen Kontakt zum Publikum. Der Engpaß ist die Druck-Kapazität. Die Auflagen sind für unsere Begriffe hoch (bei Romanen bis 60.000), aber sie dürfen auch nicht zu groß sein, weil die Buchhandlungen verpflichtet werden, jedes Werk innerhalb von zehn Monaten abzusetzen, ganz gleich, ob es sich um einen Krimi oder ein Wörterbuch handelt. Die Druckereien planen sehr langfristig. Wenn ein Buch Erfolg hat oder gar einen Preis bekommt, ist es so gut wie unmöglich, gleich eine neue Auflage zu drucken. Man müßte ein anderes Buch aus dem Plan streichen.

Die Vorteile, die eine Mitgliedschaft beim Schriftstellerverband bringt, sind ähnlich wie bei den bildenden Künstlern. Hier sind von den rund 1000 Schriftstellern, die es in Bulgarien samt allen Rundfunk- und Fernseh-Autoren gibt, etwa 350 organisiert.

Ein anderes Problem der Schriftsteller ist die Übersetzung in andere Sprachen. Da gibt es noch wenig Grund zur Zufriedenheit, obwohl viele Anstrengungen gemacht werden.

Die Schriftsteller können sich mit den Komponisten trösten, die zwar im Lande selbst relativ oft aufgeführt werden, aber kaum ins Ausland Vordringen. Dabei gibt es ja viele bulgarische Sänger, die in aller Welt gastieren - aber meist mit russischen oder italienischen Opernarien. Auch einzelne Instrumental-Virtuosen oder Kammermusik-Ensembles haben sich bereits einen internationalen Namen gemacht. Doch ihnen Werke bulgarischer Komponisten ins Reisegepäck zu schmuggeln, ist fast unmöglich. Die ausländischen Veranstalter wehren sich gegen alles, was ihr Publikum nicht kennt.

Fazit einer Reihe von Gesprächen und Beobachtungen, die sicher nur fragmentarisch sein können: das kulturelle Leben Bulgariens ist seit einigen Jahren in Bewegung geraten. Beachtliche Kräfte werden mobilisiert, man besinnt sich auf nationale Eigenart und auf vielfältige Talente. Kunst wird nicht mehr streng reglementiert, sondern ermutigt.

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