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Eine makabre Sozialbürokratie

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Mein Vater ist am 1. Februar 1979 gestorben. Zeit seines Lebens war er ein friedhebender Mensch, der lieber Ungerechtigkeiten ertrug, als einen Streit zu beginnen. Ich weiß, daß es mehr in seinem Sinne läge, ein Wort des Dankes an alle Ärzte und Schwestern zu richten, die ihn in drei Spitälern in den letzten Wochen seines Leidensweges mit großer Hingabe behandelt und gepflegt haben. Aber bittere Erfahrungen veranlassen mich, einige Fragen in aller Öffentlichkeit zu stehen.

Die erste Frage richtet sich an den verantwortlichen Arzt der plastischen Chirurgie des Wiener Wilhel-minenspitals: Welche Gründe haben dazu geführt, daß mein Vater noch an seinem Todestag in das Krankenhaus Mödling zurückgeführt wurde, aus dem er gekommen war? Konnte man dem vom Tode Gezeichneten nicht diese letzte Strapaz ersparen? Warum hat es niemand für notwendig befunden, die Angehörigen von der Transferierung zu verständigen? Meine Mutter - selbst erst aus dem Krankenhaus entlassen und kaum gehfähig - war nicht wenig schockiert, als sie meinen Vater besuchen wollte und er einfach nicht mehr da war.

Geradezu grotesk mutete die Begegnung mit der Sozialbürokratie an:

„Muß die Krankenkasse derart einschüchternde Briefe an ihre Versicherten schreiben?“

Die niederösterreichische Gebietskrankenkasse richtete die Post grundsätzlich an die Privatadresse, obwohl ihr bekannt war, daß mein Vater im Spital lag. Zunächst sandte sie eine Aufforderung an meine Eltern, nachträglich eine Erklärung zu unterschreiben, wonach sie für die Differenz zwischen den Pflegegebühren des Krankenhauses zum göttlichen Heiland in Wien und des Spitals in Mistelbach aufzukommen hätten.

Begründung: Jedermann sei verpflichtet, das dem Wohnort nächstgelegene Krankenhaus aufzusuchen; und das ist für Hohenau Mistelbach. Allerdings wäre auf Grund der Einweisung durch einen Wiener praktischen Arzt leicht festzustehen gewesen, daß meine Eltern zu diesem Zeitpunkt in Wien (nämlich bei mir) wohnhaft waren.

Am 23. Dezember zog sich mein Vater durch einen Unfall im Krankenhaus zum göttlichen Heiland eine Schenkelhalsfraktur zu und wurde ins Mödlinger Spital transferiert und dort zunächst erfolgreich operiert. Die Reaktion der Krankenkasse: Ein Formular, wonach sie nur nach genauer Beantwortung aller Fragen durch meinen Vater die Kosten übernehmen könne.

Der Zustand meines Vaters hatte sich bei Einlangen des Schreibens bereits so verschlechtert, daß er nicht einmal mehr zu einer Unterschrift imstande gewesen wäre. In beiden Fällen konnten Telefonate und Briefe meinerseits die Angelegenheit klären.

Aber dennoch stehe ich die Frage: Muß die Krankenkasse zunächst derart einschüchternde Briefe an ihre t Versicherten schreiben, die - wie ihr ja bekannt ist - alt und krank sind? Sollte sie sich nicht lieber selbst um die Klärung der Situation bemühen, als sofort mit der Drohung, nicht zu bezahlen, ins Haus zu fallen?

Den Höhepunkt an Geschmacklosigkeit leistete sich die Pensionsversicherungsanstalt der Angestellten. Sie hatte die Februar-Rente überwiesen; da mein Vater am 1. Februar starb, stand sie ihm auch rechtmäßig zu. Nachdem nach Klärung einiger Kompetenzstreitigkeiten zwischen der Wiener Pohzei und der Gendarmerie Mödling der Leichnam meines Vaters freigegeben war, machte meine Mutter unter Beilage der Sterbeurkunde mittels eingeschriebenem Brief der Pensionsversicherungsanstalt vom Ableben meines Vaters Mitteilung und beantragte gleichzeitig Witwenpension und Hilf-losenzuschuß.

Die bis Anfang März einzige Reaktion der Anstalt bestand darin, daß sie am 13. Februar die gesamte angewiesene Pension von der Bank zurückforderte, ohne daß man meiner Mutter davon Mitteilung machte. Die Bank zeigte mir einen Vordruck, den mein Vater zu Lebzeiten unterschrieben hatte, wonach die Pensionsversicherungsanstalt berechtigt sei, im Fall des Todes zu Unrecht bezogene Gelder zurückzufordern. Mit dieser Rückforderung stellt demnach die Versicherung die offensichthch rechtswidrige Behauptung auf, meinem Vater habe die Pension nicht mehr gebührt.

Ein Anruf brachte eine andere Version zum Vorschein: Das Geld sei deswegen eingezogen worden, weü meine Mütter nur dann Anspruch daraufhabe, wenn sie zum Zeitpunkt des Todes mit meinem Vater im gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Diese Vorgangsweise entspreche den gesetzlichen Normen, woran ich nicht zweifeln will.

Um so mehr muß ich mich dagegen, wehren: Denn, was hier geschehen ist, ist die Verhöhnung einer Witwe, die durch 58 Jahre in glücklicher Ehe gelebt und ihren Gatten in seinem letzten Lebensabschnitt trotz ihrer eigenen Behinderung aufopferungsvoll gepflegt hat! Sind wir in Österreich schon soweit, daß eine öffentliche Institution, die sich noch dazu sozial nennt, beim Tod eines Ehegatten von vornherein annimmt, er habe vom anderen getrennt gelebt?

Sanktioniert tatsächlich der Gesetzgeber ein solch brutales Vorgehen, einer Witwe dann das Geld ohne Verständigung wegzunehmen, wenn sie es für Uberführung, Begräbnis usw. dringend braucht?

Wenn es schon so wichtig ist, den gemeinsamen Haushalt festzustellen, hätte auch eine telefonische oder schriftliche Rückfrage beim Gemeindeamt genügt. Aber nein, man wählt die inhumanste Methode!

Ich stehe mir immer wieder die Frage: Wie hätte meine alte, behinderte Mutter all dieser rüden Behand-

„Sanktioniert tatsächlich der Gesetzgeber ein solch brutales Vorgehen?“ lung widerstehen können, wenn sie alleinstehend gewesen wäre? Wie geht es den vielen Menschen in ähnlicher Situation, die niemanden haben, der sich ihrer annimmt? Die Angestellten der sozialen Institutionen leiden, wie sie mir in den verschiedenen Telefonaten glaubwürdig versichert haben, selbst unter diesem verbürokratisierten System. Aber jeder, der mit mir meist sehr offen und freundhch gesprochen hat, lehnt die Verantwortung dafür ab.

Ich frage: Wer sind die Verantwortlichen? Der Gesetzgeber? Irgendwelche lebensfremde Bürokraten? Wer wird darangehen, diese bedrük-kende Situation zu ändern, daß Leid und Tod von Menschen derartig inhuman administriert werden?!

(Der Autor dieses Beitrages ist Fachinspektor für den Katholischen Religionsunterricht an berufsbildenden mittleren und höheren Schulen.)

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