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Eine menschliche Tragödie

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Das Buch eines FURCHE-Journalisten über Geheimkirchen hat schon vor Erscheinen viel Staub aufgewirbelt Was sagt ein anerkannter Vatikan- und Osteuropa-Experte dazu?

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Das Buch eines FURCHE-Journalisten über Geheimkirchen hat schon vor Erscheinen viel Staub aufgewirbelt Was sagt ein anerkannter Vatikan- und Osteuropa-Experte dazu?

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Um Zorn oder Begeisterung - je nach Neigung - zu dämpfen, wäre es ratsam, zuerst die Nachbemerkung am Ende dieses Buches zu lesen: Gans-rigler nennt hier seine Darstellung des katholischen kirchlichen Untergrunds in Osteuropa einen „Streifzug", der „mehr Fragen aufgeworfen als gültige Antworten gegeben" habe, also „kein wissenschaftliches Werk". Das hindert freilich den Autor, dessen detektivischer Fleiß nur von seinem Eifer übertroffen wird, nicht daran, lapidare, ja moralisch dramatische Schlüsse zu ziehen und dabei von Vor-Urteilen auszugehen, die jedem westlichen (und gewiß bald auch östlichen) amtskirche-müden Kritiker aus der Seele gesprochen sind. Ist das aber der passende Schlüssel zum Verständnis eines im Begriff „Geheimkirche" enthaltenen, unvermeidlich schillernden Tatbestandes?

Gansrigier ist so fasziniert von dem gleichsam urchristlichen, charismatisch angehauchten, rechts- und romfernen Untergrunddasein geheimkirchlicher Gruppen, daß er deren einzige Entstehungs-Ursache (und eben dadurch bedingte) Ausnahmesituation), nämlich die kommunistische Religionspolitik, fast aus dem Blick verliert. „Geheimkirche" wird so zum Ideal, ja nahezu zum Gegenmodell der sichtbaren, hierarchisch strukturierten Kirche. Deren Amtsträger sind aus der Sicht des Autors mehr am

Erhalt dieser Machtstrukturen, „die auf göttlichen Willen zurückgehen sollen", interessiert als am Schicksal von Menschen. Und folglich sind sie auch jetzt, da mit dem Kommunismus auch die Existenznotwendigkeit von Geheimkirche verschwunden ist, nicht mehr an der Erhaltung einer so „lebendigen Kirche" interessiert.

Dieser kritische Ausgangspunkt Gansriglers könnte ganz schlüssig sein, wenn nicht von römisch-katholischer Kirche die Rede wäre. Aus deren theologischem Selbstverständnis ergibt sich jedoch, daß sie - im Unterschied etwa zu evangelischen Freikirchen - für eine unsichtbare Existenz, für eine Seelsorge ohne sakramental-kirchenrechtlich legitimierte Strukturen ziemlich ungeeignet ist. Denn sie bedarf, um in ihrem Sinne pastoral wirksam zu sein, einer zölibatären Priesterschaft, die ihre Vollmacht, heilsnotwendige Sakramente zu spenden, von Bischöfen herleitet, die selbst wiederum päpstlich bevollmächtigt sind. Die Kommunisten hatten schon seit der russischen Oktoberrevolution den verwundbarsten Punkt der römischen Kirche in dieser ihrer Struktur erkannt - und deshalb vor allem dieses hierarchische Gefüge angegriffen, zerschlagen, behindert und untergraben.

Der Vatikan, die Päpste selbst waren es, die deshalb schon seit den zwanziger Jahren Auswege beschritten, die notgedrungen zweigleisig waren: Einerseits versuchte man durch geheime Bischofs- und Priesterweihen, andererseits durch Kompromisse mit den Regimen, lavierend zwischen Anpassung und Widerstand, ein seelsorgliches Minimum zu sichern. In diesem Sinne stand die Wiege aller geheimkirchlichen Aktivität in Rom, wo sie auch - gleichsam im Ehrengrab -enden mußte: Unvermeidliche Folge einer unumgänglichen Doppelstrategie, die Gansrigier nicht historisch reflektierend, sondern nur beiläufig polemisierend in Betracht zieht.

Vielleicht ist es die etwas romantische Fixierung auf sein Thema, die den Autor gar nicht erkennen läßt, daß er selbst mit seinem Buch den bislang eindrucksvollsten Beweis dafür liefert, wie problematisch, fragwürdig und vor allem tragisch der Versuch war, ein römisch-katholisches Überleben im Untergrund zu organisieren. Nicht von ungefähr gelingt es Gansrigier nicht, die Überfülle seines Materials (davon drei Viertel aus der Tschechoslowakei) systematisch zu ordnen, sachliche Widersprüche zu klären, die Personen, vor allem gewisse Geheimbischöfe, mit denen er sprach, eindeutig zu porträtieren - obwohl er sich den Versuch dadurch erleichtert, daß er mit deren früheren „Kollegen" oder „Konkurrenten" (und heutigen Amtsträgem) gar nicht sprach, es also vermied, auch „die andere Seite" zu hören.

Eine Zentralfigur, die Gansrigier gleichwohl nicht als solche, sondern wie alle anderen unsystematisch, in (über den gesamten Buchtext verstreuten) Notizen beschreibt, ist der Brünner Geheimbischof, Arzt, Poet und Philosoph Felix Davidek (1921-1988). Er hat, nach langen Gefängnisjahren, gemeinsam mit seiner noch lebenden Generalvikarin (!) Ludmilla Javoro-va eine kirchliche Untergrundstruktur aufgebaut, weitere Bischöfe, Priester und wohl auch Priesterinnen geweiht; er starb an den Folgen einer zu Hause, ohne Narkose durchgeführten Kopfoperation. Verschiedenste Zeugen, die Gansrigier zitiert, charakterisieren Davidek: aktiv, ehrgeizig, übereifrig, seltsam, exzentrisch, mißtrauisch und vertrauensselig, nicht normal, aber gut. „Unterlief er die Polizeikontrolle? Wirkten er und seine Priester freier als die staatlich konzessionierten? Davidek schickte auf lateinisch Tätigkeitsberichte an den Vatikan, der ihn nicht anerkannte. Im Urlaub reiste er etwa nach Japan und (was Gansrigier nicht erfuhr) auf die Krim...

Der Verdacht, daß Davidek und seine Gruppe - wie auch andere -polizeilich unterwandert waren, ist nicht nur eine „sattsam bekannte Formel", wie Gansrigier meint, sondern eine Realität, die durch zahlreiche Zeugnisse bestätigt wird, die das Buch selbst zitiert. Das muß nicht bedeuten, daß die Geheimkleriker Agenten waren. Ihre eigentliche menschliche wie religiöse Tragödie war, daß sie -meist ohne sich dessen bewußt zu sein - vom Regime „geheim" geduldet, überwacht und dazu benutzt wurden, zwischen den Katholiken und unter ihrem Klerus Mißtrauen zu säen - nicht anders als die offen kontrollierte Amtskirche. Besonders in der Tschechoslowakei nahm dieses System immer kafkaeskere Züge an. Ein Beispiel, von dem Gansrigier nichts erfuhr: Prager Kirchenminister wie Hruza und Janku reisten nach Rom und verlangten vom verlegen zurückzuckenden Vatikan kirchenrechtliches Einschreiten gegen „illegale", namentlich genannte „geheime" Bischöfe...

Jeder war ein Papst? Der Buchtitel ist, gewiß ungewollt, voll trauriger Ironie. Das Thema bedarf noch einer gründlichen, leidenschaftslosen historischen Analyse. Es eignet sich aber nur dann - in Ost und West - als Munition aktueller innerkirchlicher Auseinandersetzungen, wenn man es wiederum mitleidlos manipuliert. JEDER WAR EIN PAPST. Geheimkirche in Osteuropa. Von Franz Gansrigier. Otto Müller Verlag, Salzburg 1991. 204 Seiten, öS 238,-.

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