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Eine Milliarde safisische Chuisten?

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Wären wir das, was wir unserer Berufung, unserem Auftrag gemäß sein sollten: der Sauerteig, das Salz der Erde, eine Gemeinschaft von Liebenden, von Heiligen, Menschen unter dem Kreuz, Menschen der Auferstehung - und nicht das, was wir nach einem Wort von Prof. Friedrich Heer heute tatsächlich sind, „eine knappe Milliarde statistischer Christen“ nämlich, so würde diese unsere Welt anders ausschauen, als sie ausschaut. Es würden zwar auch dann rund um den Globus viele, auch schwere Probleme einer Lösung harren, aber die Menschheit wäre nicht täglich und stündlich von der totalen Vernichtung bedroht. Sicherlich, Sorgen und Nöte, Leid und Verzweiflung wären auch dann noch Ingredienzien menschlichen Lebens und Sterbens, aber es drohte nicht die immer wahrscheinlichere Gefahr eines atomaren Holocaust’, dem nicht nur die Weltbevölkerung, sondern das Mensch-Sein an sich in jede nur denkbare Zukunft hinein zum Opfer fallen kann. Wenn knapp ein Viertel der Weltbevölkerung tatsächlich aus Menschen bestünde, die nach dem Evangelium, in aller Radikalität dieser Botschaft lebten, die die Nachfolge unseres Herrn und Bruders ernst nähmen, so wären sicherlich Mangel und Armut nicht aus der Welt verschwunden, aber es wäre unvorstellbar, daß täglich 40 bis 50.000 Kinder an den Folgen von Mangelernährung stürben, daß nach vorsichtigen Schätzungen pro Jahr 45 Millionen Menschen verhungerten.

Würden alle Getauften tatsächlich den Geist Christi wirken lassen, so würden Gewalt, Brutalität, Raub, Mord, ja auch kriegerische Auseinandersetzungen nicht aus dem Zusammenleben getilgt sein. Hätten aber alle Christen der vergangenen 1950 Jahre einander den Frieden gegeben, den Er uns hinterlassen haf, Zellen der Mitmenschlichkeit, der Geschwisterlichkeit um sich wachsen lassen, es wäre undenkbar, daß wir heute immer noch in einer Welt der Unterdrük- kung, der Grausamkeit, der Ungerechtigkeit, der gegenseitigen’ Ausbeutung und der Ausbeutung und Zerstörung unserer Umwelt lebten. Es wäre ebensowenig möglich, daß zwei Drittel - oder sind es schon mehr? - der Menschheit an oder unter der Armutsgrenze vegetierten, leichte Beute für jede Art von Erkrankung, und das restliche Drittel zwar in Wohlstand lebt aber immer mehr von seelischen Mangelerscheinungen bedroht ist, weil das Gespräch ausgetrocknet, die Liebe verkümmert, das Herz leer geworden ist.

Wir singen und beten: „Mach aus mir ein Werkzeug deines Friedens“, wir schwelgen in der Schönheit des Sonnengesanges unseres Bruders Franz, aber ist das mehr als Nostalgie, mehr-als Sentimentalität, mehr als ein Lippenbekenntnis? Die Christenheit, so wie sie sich entwickelte, seit brüderliche Gemeinschaft in Macht- und Besitzstreben degenerierte, ist das weitgehend brachliegende Potential der Liebe Gottes zu den Menschen, ein Haufen in irgendeinem Winkel der Scheune vergessener, verstaubter Weizenkörner. Aber ich glaube daran, daß die Keimfähigkeit noch da ist, daß wir noch nicht ganz vertrocknet, noch nicht tot sind, noch genügend Kraft haben, um ins Leben hinein zu fallen und fruchtbar zu werden.

Wenn wir Hoffnung nicht als passive Erwartungshaltung verstehen, sondern als personalen, dynamischen Prozeß der Umkehr, dann müßte jeder Einzelne für sich diese Konversion zur Hoffnung hin beginnen, heute und nicht erst morgen, mit dem Herzen, mit seinem ganzen Sein und’ nicht mit den Lippen. Befreien wir uns von den Zwängen des Egoismus, machen wir uns leer für seine Liebe, damit die Gnade uns befähigt, die Welt, die Schwester, den Bruder, alles Geschaffene, alles Lebendige zu lieben.

Jesus hat gesagt: „Ich bin nicht in die Welt gekommen, um sie zu richten, sondern um sie zu retten!“ Folgen wir ihm nach, richten wir nicht diese und nicht jene, sondern retten wir die Welt!

Dolores Bauer ist Journalistin

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