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Eine Nation als Herde

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Das Feuer, das kürzlich die Kathedrale von York zerstörte, erschien manchen als Zeichen für die gegenwärtige Zerrissenheit der Anglikanischen Hochkirche.

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Das Feuer, das kürzlich die Kathedrale von York zerstörte, erschien manchen als Zeichen für die gegenwärtige Zerrissenheit der Anglikanischen Hochkirche.

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Die Konsekration von Prof. David Jenkins Anfang Juli zum neuen Bischof von Durham hat in der Anglikanischen Kirche große Kontroversen ausgelöst. Als drei Tage nach der Bischofsweihe der Blitz in die ehrwürdige Kathedrale von York, Ort der Bischofsweihe am 5. Juli, einschlug und das Seitenschiff in Brand setzte, wurde dies von Geistlichen als Gottes-

urteil gegen einen Häretiker ausgelegt. Jenkins hatte Thesen vertreten, die von Strenggläubigen, wie dem Religionslehrer William Ledwich, vehement bekämpft worden waren: Mariens jungf räu-liche Geburt sei eine symbolische Geschichte und die leibliche Auferstehung Christi eine Folge von Eindrücken, kein Faktum.

Solche Auffassungen mögen Katholiken in Erstaunen setzen, die englische Hochkirche ohne ausgeprägte Dogmatik hat jedoch Platz für sie. In ähnlicher Weise nennt der Religionsgeschichtler Don Culpitt in Cambridge Geschichten der Bibel Mythen und Dichtung, die Relativierung von christlichen Werten ist noch kein Grund für Ausschluß. Jenkins, Culpitt u. a. gehören jener Richtung an, die eine eigene Antwort auf die Welle der Säkularisierung und moderner Rationalisierung bereit hält.

Seit die Anglikanische Hochkirche unter dem Einfluß des Phi-

losophen John Locke einer ausgeprägten Dogmatik entsagt hat, verstand sie sich als „breite Kirche", die eine Vielfalt von theologischen Ansichten vertritt. Der rationalistisch-kritische Modernismus sucht den der Religion Entfremdeten anzusprechen, anzuziehen, indem das, was am Glauben durch den Verstand nicht zu fassen ist, in den Hintergrund rückt.

Die Staatskirche hat an Einfluß und an Mitgliedern und Gläubigen eingebüßt. Wurden im letzten Jahrhundert noch an die 40 Prozent praktizierender Anglikaner gezählt, so ist heute nur jeder Zehnte voll im kirchlichen Alltag engagiert. Im letzten Jahrzehnt mußten an die 800 Kirchen geschlossen oder anderen, aufstrebenden Religionen überlassen werden. Die Aussichten sind nicht vielversprechend. In einer Umfrage bezeichneten sich 80 Prozent der Ausgesuchten als mehr oder weniger gläubig. Nach Alter aufgeschlüsselt war der Anteil der Religiösen bei den Alten ungleich größer als in der Jugend. Mit anderen Worten: Die Hochkirche wird das volle Gewicht der Säkularisierung in der Gesellschaft erst noch zu spüren bekommen. Die nationale Kirche findet sich in einer zunehmend areligiösen Welt.

Der Ausweg aus diesem wesentlichen Dilemma wird in einer Alternative gesucht, die eine „breite Kirche" noch weiter öffnet: Die einen vertreten die Ansicht, die Religion müsse eine nationale Institution bleiben, die sich einer sä-

kularisierten Ausdrucksweise bedient und den Menschen in seiner sozialen Sphäre, also dort, wo er besondere Hilfe braucht, trifft. In diesem Sinne strebt die Kirche in besonderer Weise danach, den Unterprivilegierten in der Stadt zu gewinnen, ein Bereich, der seit Generationen verloren war. Die Synode hat in den letzten Jahren vermehrt politische Resolutionen verabschiedet, in der Frage der nuklearen Rüstung stießen die Kontrahenten aufeinander. Der Erzbischof von York, John Hab-good, hat sich kürzlich in den schwelenden Disput der Bergarbeiter eingemischt und in einem Schreiben gefordert, daß verschiedene Gruben vor der Schließung bewahrt werden müßten. David Sheppard, der Bischof von Liverpool, attackierte in einer öffentlichen Vorlesung die Wirtschafts- und Sozialpolitik der konservativen Regierung als ge-sellschaftsspaltend.

Die strenggläubigere Richtung distanziert sich von der Toleranz einer breiten Kirche und der Bereitschaft, die Doktrin von einer strikten Definierung auszunehmen. Dieser Zweig rekrutiert sich vornehmlich aus jungen Priestern, die ihre Seminare mit dem brennenden Vorsatz verlassen haben, das Evangelium zu predigen und die Gläubigen zu Gebet und Kontemplation anzuregen. Sie fordern den Menschen heraus,

nach dem Glauben zu leben und die Kinder im Geiste der Kirche zu erziehen. Nicht die Aufgaben der Staatskirche stehen im Vordergrund, sondern das Hirtenamt des Priesters im strengen Sinn. Intensivierte Anstrengung, das Wort Gottes zu verkündigen, dem Menschen zu zeigen, wie Gott gefunden werden kann. Dies allein aber würde, so fürchten die Anhänger der breiten Kirche, jene abschrecken, die im Schlagschatten der Kirche stehen, also im eigentlichen Sinne nicht als Gläubige anzusehen sind.

Reverend Alan Burrington in der Johannes-Kirche am Rande von Coventry bezieht die Frage an die Eltern, ob sie'ihr Kind im christlichen Sinne erziehen wollten, ausdrücklich in die Taufzeremonie ein. Als Diener einer nationalen Kirche obliegt es im allgemeinen den Priestern, jene zu taufen und zu trauen, die in der Zeremonie nur ein soziales Ritual sehen. Sich auf den Gläubigen allein zu konzentrieren, so kritisieren Modernisten, hieße, daß die Staatskirche eine Minderheit und nicht die Nation in ihrer Gesamtheit als die Herde betrachtet.

Der Erzbischof von Canterbury und Primas der Kirche, Robert Runcie, weiß um die Spaltung seiner Gemeinde und sucht die Richtungen zu versöhnen und den Ausgleich zu schaffen. Runcie will nach eigenen Worten eine „breite, aber nicht ausdruckslose Kirche", weist die Verwässerung christlicher Prinzipien um des Preises willen, dem Establishment anzugehören, zurück. Gleichwohl denkt er nicht an den Verzicht auf die Rolle der Kirche im Staate, „ohne Kompromiß in der spirituellen theologischen Rolle mit einer politischen, die den Menschen in den Mittelpunkt bei Eliminierung Gottes rückt". Und wie stellt er sich die Institution in einer späteren Zeit vor? „Eine geeinte Kirche, geeint im Glauben mit Vielfalt in der Ausdrucksweise des Glaubens. Eine Kirche, die auf den rapiden Wandel in unserer Welt flexibler zu antworten versteht."

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