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Eine neue Chance der Humanität

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Der mit 97,5 Prozent der Delegiertenstimmen gewählte neue ÖVP-Obmann Alois Mock deponierte zum Schluß des Parteitags eine sehr pointierte, persönliche Visitenkarte: In seiner mit Spannung erwarteten Antrittsrede erteilte er dem materiellen Fortschrittswahn eine klare Absage. Begriffe wie Sein statt Haben, menschliches Verstehen, Hilfsbereitschaft, Selbstkontrolle, Toleranz sowie persönlicher Einsatz und Bescheidenheit kehrten immer wieder. Die FURCHE zitiert im Wortlaut:

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Der mit 97,5 Prozent der Delegiertenstimmen gewählte neue ÖVP-Obmann Alois Mock deponierte zum Schluß des Parteitags eine sehr pointierte, persönliche Visitenkarte: In seiner mit Spannung erwarteten Antrittsrede erteilte er dem materiellen Fortschrittswahn eine klare Absage. Begriffe wie Sein statt Haben, menschliches Verstehen, Hilfsbereitschaft, Selbstkontrolle, Toleranz sowie persönlicher Einsatz und Bescheidenheit kehrten immer wieder. Die FURCHE zitiert im Wortlaut:

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Wir nennen uns zwar gerne eine „Gesinnungsgemeinschaft“, aber wir leben diese Gesinnung zu wenig vor: weder in unserem Verhalten zueinander noch in der Vertretung unserer Grundsätze nach außen!

Wir bekennen uns zwar immer wieder zum „Leistungsprinzip“, aber wir vergessen gerne darauf, daß jeder an dem Platz, an den ihn das Vertrauen der Wähler oder der Mitglieder gestellt hat, nachweisbare Leistungen zu erbringen hat! Es bedarf heute - wie im Jahr 1945 - Menschen, die für die Politik und nicht von der Politik leben, wie dies Max Weber unterschieden hat.

Wir neigen überhaupt dazu, uns stärker mit uns selbst als mit den Problemen des Landes zu beschäftigen. So wichtig und so heilsam eine ernsthafte Diskussion über Parteistruktur und Parteiorganisation ist -die Menschen in diesem Land werden uns nicht wegen unseres Parteistatutes wählen, sondern ihre Entscheidung danach richten: Was hat diese Partei für Österreich, was hat diese Partei für mich getan?

Eine der klarsten Darstellungen unseres Menschenbildes findet sich bei Johannes XXIII.: „Jeder Mensch ist seinem Wesen nach Person. Er hat eine Natur, die mit Vernunft und Willenskraft ausgestattet ist, er hat daher an sich Rechte und Pflichten, die unmittelbar und gleichzeitig aus seiner Natur hervorgehen. Weil sie allgemeingültig und unverletzlich sind, können sie auch in keiner Weise veräußert werden.“

• Wir müssen vor allem jenen Menschen helfen, die in unmittelbarer Notlage sind.

• Wir müssen jenen Menschen helfen, die an Vereinsamung, Verbitterung und Hoffnungslosigkeit leiden.

• Wir müssen unsere älteren Mitmenschen betreuen und ihnen das Gefühl nehmen, nicht mehr dazuzugehören.

• Wir müssen praktische und konkrete Hilfen für alleinstehende Behinderte oder für alleinstehende Mütter zur Verfügung stellen.

• Wir müssen die Armut sehen, wo sie wirklich ist, und auch die Armut an Hoffnung und Selbstvertrauen, die weit verbreitet ist, auch unter dem Mantel des Wohlstandes.

Die Illusion des gesellschaftlich herstellbaren Glücks der größtmöglichen Zahl ist zerstoben, und dadurch stellt sich radikal die Frage nach dem Sinn von Leben und Tod, die durch materiellen Fortschritt nicht mehr vordergründig beantwortbar ist.

Hier ergibt sich eine neue Chance der Humanität; nicht das Haben ist wichtig, sondern das Sein gewinnt wieder an Bedeutung.

Die so deutlich sichtbar gewordenen Grenzen der materiellen Welt verweisen uns darauf, den Sinn des Lebens in der unbegrenzten geistigseelischen Dimension unserer Daseinsverwirklichung zu suchen, im geistigen, moralischen und kulturellen Fortschritt unserer Gesellschaft.

Menschliches Verstehen, Rücksichtnahme auf den anderen, Toleranz gegenüber einer anderen Meinung, Hilfsbereitschaft, Übernahme aktiver Verantwortung, Selbstkontrolle, Sinn für Ästhetik und persönliches Ethos bedeuten kulturellen Fortschritt, weil sie dem Mitmenschen und dem eigenen Leben Sinn-haftigkeit geben.

Uberall dort, wo Egoismus, Brutalität, Konsumbesessenheit, Zerstörung der Privatsphäre des Menschen gegeben sind, gibt es kulturellen Rückschritt.

Der Künstler zeigt oft mit Intuition und Analyse große gesellschaftliche Trends auf; er erfüllt damit eine wegweisende Funktion, indem er der Gesellschaft einen Spiegel vorhält und Zukünftiges zeigt. Dazu braucht er geistige Freiheit und materielle Sicherheit, vor allem auch den Dialog mit der Gesellschaft. Wir sollen diese geistige Freiheit schützen und den Dialog mit den künstlerischen Menschen suchen. Erst durch diesen ständigen, Dialog werden wir die wahren Propheten von den falschen zu unterscheiden lernen.

Wir halten auch nichts von einer klassenkämpferischen Polemik gegen die sogenannte Hochkultur. Wir wissen aber, daß sie durch eine tiefgreifende Förderung der Volkskunst und der Volkskultur ergänzt werden muß. Unser Ziel ist nicht ein Volk von nur Konzertabonnenten, sondern ein Volk von musisch begabten und ausgebildeten Menschen, die Kunst nicht nur konsumieren, sondern ihre eigene Gestaltungskraft und ihre eigene Kreativität entwik-keln.

Denn gerade die sozial schwächeren Schichten in allen Berufssparten sind von der Unübersichtlichkeit der Steuergesetze am stärksten betroffen. Hier zeigt sich nämlich eine neue Seite der sozialen Frage: soziale Diskriminierung und finanzielle Benachteiligung durch unverständliche Gesetze. Wann immer wir die politische Möglichkeit erhalten, werden wir die unverständliche Sprache der Steuergesetzgebung beseitigen.

Die Mehrheit ist in einer Demokratie kein Wahrheitsbeweis, aber als ein Urteil letzter Instanz zu respektieren. Die Österreicher haben mit ihrem Urteil nicht behauptet, daß wir in Zukunft nicht recht haben könnten, aber sie haben uns deutlich zu verstehen gegeben, daß wir es ihnen bisher nicht recht gemacht haben. Also haben nicht die Wähler, sondern wir uns zu ändern.

Denen aber, die mit mir gemeinsam diesen Weg gehen wollen, sage ich, was ich von mir selbst verlange: Vollen persönlichen Einsatz, Bescheidenheit, die Politik als Dienst am Volk versteht, Offenheit für neue Ideen und bedingunglose Kameradschaft!

Und das müssen wir auch von uns allen verlangen.

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