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Eine neue Schlacht im Atlantik

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Unverkennbare Nervosität in den Kommandostellen des Nordatlantikpaktes nach den jüngsten Zwischenfällen an der nordnorwegischen Küste: Den Spitzenstrategen der NATO geht es dabei nicht nur um die Frage, was die sowjetischen Schiffe im norwegischen Hoheitsgebiet zu suchen hatten; ihnen geht es um die Sicherheit in der Nordsee und damit auch um sie Sicherheit Europas. Grund genug, sich mit dem neuen kalten Krieg im Nordatlantik eingehend zu beschäftigen. Horst Friedrich Mayer von der ZiB 2-Redaktion hat uns dankenswerterweise das von ihm für den ORF bearbeitete Manuskript einer BBC-Fernsehdokumentation über den „kalten U-Boot-Krieg in der Nordsee“ von Tom Mangold zur Verfügung gestellt. Aus dieser Unterlage und aus anderen Quellen wurde dieser Report zusammengestellt.

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Unverkennbare Nervosität in den Kommandostellen des Nordatlantikpaktes nach den jüngsten Zwischenfällen an der nordnorwegischen Küste: Den Spitzenstrategen der NATO geht es dabei nicht nur um die Frage, was die sowjetischen Schiffe im norwegischen Hoheitsgebiet zu suchen hatten; ihnen geht es um die Sicherheit in der Nordsee und damit auch um sie Sicherheit Europas. Grund genug, sich mit dem neuen kalten Krieg im Nordatlantik eingehend zu beschäftigen. Horst Friedrich Mayer von der ZiB 2-Redaktion hat uns dankenswerterweise das von ihm für den ORF bearbeitete Manuskript einer BBC-Fernsehdokumentation über den „kalten U-Boot-Krieg in der Nordsee“ von Tom Mangold zur Verfügung gestellt. Aus dieser Unterlage und aus anderen Quellen wurde dieser Report zusammengestellt.

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Der Atlantik ist längst nicht mehr ein „mare nostrum“ der NATO! Er ist zu einem Schauplatz eines neuen kalten Krieges, zu einem Manöverfeld der Anti-U-Bootkräfte und Unterwasserarmaden der Sowjets und der NATO geworden, auf dem sich ein gnadenloser Wettkampf bis hart an die Grenze des Ernstfalls abspielt. Oder wie es ein Spitzenstratege der NATO, Admiral Ike Kidd, ausdrückt: „Der Atlantik ist jetzt kein See mehr, sondern ein Burggraben mit räuberischen Stahlhaien mit Hammer und Sichel am stumpfen Ende.“

Was da der Admiral so drastisch mit „räuberischen Stahlhaien“ beschreibt, sind die sowjetischen U-Boote der verschiedensten Klassen, 320 an der Zahl, davon 195 zur nordischen Rotbannerflotte gehörend. Was die NATO-Stra- tegen dabei besonders beunruhigt: 104 dieser 195 U-Boote der sowjetischen Nordflotte stechen atomgetrieben durch die Gewässer des Nordatlantiks, bewaffnet mit Raketen, Cruise Missiles oder Torpedos mit Atomsprengköpfen. Es ist eine Flotte, die dazu geführt hat, daß die Anti-U-Boot-Kriegs- führung - A. S. W. („anti-submarine warfare“) - heute eine der wichtigsten militärischen Angelegenheiten geworden ist.

Der Kriegsschauplatz See hat durch die Atomwaffe einen völlig anderen Charakter bekommen. Sie ist zwar Zufuhrstraße militärischer Güter geblieben, hat aber durch die Unterwasserträger strategischer Atomwaffen auch eine völlig neue Bedeutung erlangt. Ein Beispiel: Sowjetische U-Boote der „Delta“-Klasse sind mit Raketen ausgerüstet, die eine Reichweite von 7500 Küometer haben. Diese U-Boote könnten also die Vereinigten Staaten mit ihren Raketen angreifen, ohne überhaupt russische Gewässer verlassen zu müssen.

Ein anderer Aspekt kommt bei der modernen Seekriegsführung hinzu: Die heutigen Ziele sind für U-Boot- Angriffe ungleich verletzlicher! Konkret: Ein einziger Supertanker oder ein Containerschiff entspricht zwanzig Handelsschiffen im Zweiten Weltkrieg. Deshalb mußte das sowjetische U-Boot auch zum Schrecken der westlichen Seemächte werden:

Denn im Falle einer konventionellen Krieges zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt wären die ersten Ziele für die sowjetischen U-Boote die lebenswichtigen militärischen Konvois, die Nachschub von denVereinigten Staaten nach Europa bringen. Admiral Kidd veranschaulicht die Größenordnung des Problems: „In den ersten 180 Tagen müßten wir, um die nötigen Dinge zu transportieren, etwa 6000 Handelsschiffe haben, von denen jedes alle 30 Tage einmal hin- und herfahren müßte“. Das allein zeigt, wie verletzbar die Westmächte im Falle eines konventionellen Krieges sein würden und wie bedrohlich die sowjetische Unterwasserarmada für die NATO geworden ist.

Bedrohlich, weil diese U-Boote Europa von Amerika praktisch isolieren könnten. Das Ergebnis wäre katastrophal! Die erste Atlantikschlacht hat deshalb schon in der Friedenszeit begonnen und zwar durch das ständige Aufspüren aller sowjetischen U-Boote. Auch die Sowjets bemühen sich natürlich nach Kräften, die Unterwasserträger des westlichen Gegners nie aus dem Auge zu verlieren. Und durch das Sammeln von Informationen auf dem letzten Stand versuchen die Anti-U- Boot-Kräfte der NATO und der Sowjetunion der jeweils anderen Seite klar zu machen, daß sich das Spiel nicht lohnt.

Wie entscheidend die Anti-U-Boot- kriegführung geworden ist, erklärt Roy Dixon, Mitarbeiter im Osloer Hauptquartier der Alliierten Kräfte Nordeuropa: „Das U-Boot ist nicht mehr nur ein Teil des Arsenals, wie es das im Zweiten Weltkrieg war, sondern ist das primäre kriegsgewinnende Waffensystem geworden. Daher sind die Fragen, wo es ist, wie es navigiert, wie es Verbindung mit dem Hauptquartier hat, absolut lebenswichtig geworden. Es herrscht heftige Konkurrenz, denn wir verfolgen praktisch die gleichen Ziele.“

Was die Anti-U-Bootkräfte der NATO also tun können, ist, jedes sowjetische U-Boot schon beim Auslaufen aus seinem Heimathafen zu erfassen, um es dann über alle Ozeane hinweg von Beobachtung zu Beobachtung weiterzureichen. Die Sowjets handhaben das nicht viel anders. Letztlich sind ja auch die US-Flug- zeugträger schwimmende Plattformen für Atomwaffenträger, die es zu beschatten gilt, von oben, von unten, von allen Seiten. Und das zeigt ja auch die Komplexität der U-Boot-Waffe: Sie hat mit der eigentlichen Marine nicht mehr viel zu tun, sondern unterliegt den Gesetzen des atomaren Land-, Luft- und natürlich Seekrieges.

Konteradmiral Martin Wemyss, Kommandant des Kampfverbandes 317 der Königlichen Marine Großbritanniens, meint dazu: Es ist ein gegenseitiges Hochschaukeln. Die eine Seite vergrößert, die andere Seite zieht mit. Die Sowjets haben natürlich einen Vorsprung, weil sie als erste initiativ wurden.“

Dieses „Hochschaukeln“, dieses klassische Wettrüsten auf See, dauert nun schon Jahre, und ein Ende ist nicht in Sicht. Auch dazu ein Beispiel: Nachdem die erwähnten sowjetischen strategischen U-Boote der „Delta“- Klasse die Meere durchpflügten, denen die Amerikaner nichts gleichwertiges entgegenzusetzen hatten, entschloß sich Washington zum Gegenzug.

Die „Trident“-Klasse wurde entwik- kelt und in den Dienst gestellt, deren Raketen bereits eine maximale Reichweite von 11.000 Kilometern haben (gegenüber 7500 der „Delta-Klasse) und mit 24 Startschächten im Vergleich zu nur 16 der Sowjet-Boote ausgerüstet sind. Die Antwort der Sowjets auf die neueste Generation der amerikanischen Raketen-U-Boote hat die Reißbretter der sowjetischen U- Boot-Konstrukteure gewiß schon passiert …

Zum Aufspüren der sowjetischen „Stahlhaie“ hat die NATO die verschiedensten Systeme in Betrieb. Wichtigster Bestandteil in dem komplizierten Arsenal der Anti-U-Boot-

Kriegführung ist das Sonar, ein Unterwasserortungsgerät.

Eine revolutionäre Methode zum Aufspüren von U-Booten ist hinzugekommen. Revolutionär, weil es dabei nicht mehr notwendig ist, daß sich Schiffe auf See befinden: Es ist das System der „Sound Surveillence under Sea“ ein Abhörsystem, kurz „SOSUS“ genannt. „SOSUS“ bedeutet eigentlich nichts anderes als ein Abhören des Meeres mit Hydrophonen. U-Boote sollen bei der Durchfahrt (durch ausgewählte strategische Kanäle ausgehorcht werden und die dabei aufgenommenen Geräusche werden von geheimen Terminals überwacht.

Den Sowjets müssen diese Unter- wasser-Abhöranlagen ein Dom im Auge sein. Nicht zuletzt deshalb ist in westlichen militärischen Kreisen angesichts der jüngsten russischen Grenzverletzungen in Nordnorwegen die Theorie aufgetaucht, daß die Sowjets dieses Überwachungssystem der NATO lokalisieren, stören oder unbrauchbar machen wollten.

Wie sieht die U-Boot-Uberwachung der NATO in der Praxis aus? Verläßt ein U-Boot Murmansk, beginnt die multinationale Verfolgungsoperation der NATO. Seine Abfahrt wird von einem Spionagesatelliten aufgezeichnet. Wenn das U-Boot die Polarhalbinsel verläßt und das Nordkap umrundet, nimmt ein Meeresüberwachungsflug- zeug der Königlichen Norwegischen Luftwaffe die Jagd auf.

Hier beginnt der Kalte Krieg: Im Falle eines Konfliktes wäre es entscheidend, die U-Boote der sowjetischen Nordflotte sobald wie möglich zu blockieren, und hier würde die Anti-U-Boot-Kriegsführung der NATO erstmals im Hinblick auf die Realität geprüft.

Das Flugzeug wirft Sonarbojen ins

Wasser, die verräterische Geräusche von durchfahrenden U-Booten aufnehmen. Diese Geräusche werden in die Flugzeuge übertragen und dort von Spezialgeräten aufgezeichnet. Mit einer vollständigen Aufzeichnung ihrer Suche kehren die norwegischen Flugzeuge an ihre Stützpunkte zurück, die dann bei einer Nachrichtendienstbesprechung auf die Richtigkeit der Informationen geprüft wird. Das geschieht mit Hilfe der Geräuschprofile aller bekannten sowjetischen U-Boote, die in einer Datenbank der NATO gespeichert sind.

Die Bestätigung der U-Boot-Klasse und die projektierte Route wird vom Luftwaffenstützpunkt in der Arktis an das norwegische Verteidigungshauptquartier gemeldet. Gleichgültig, wie heimlich das U-Boot jetzt unterwegs ist, seine Bewegungen werden eine internationale Angelegenheit. Von Norwegen werden die genauen Einzelheiten der U-Boot-Bewegungen nach Schottland weitergeleitet.

1500 Seemeilen westlich von Murmansk wird das sowjetische U-Boot dann Ziel eines Aufklärungsflugzeuges der Königlichen britischen Luftwaffe. Wenn ein U-Boot so weit gekommen ist, dann ist sein Ziel vermutlich der offene Atlantik und es ist sehr wohl möglich, daß seine Spur jetzt zum letzten Mal eindeutig identifiziert werden kann. Denn wenn es einmal westlich von Irland ist, dann hat es 34 Millionen Quadratmeilen, auf denen es sich verstecken kann!

Sollte es der sowjetischen U-Boot- flotte gelingen, unbemerkt in den Atlantik zu kommen, könnte sie sich in Position für einen massiven Anschlag auf unschuldige Schiffe begeben. Die Theorie der NATO besagt, daß in einer Zeit zunehmender internationaler Spannungen die Sowjets dann mit ungeheuren Verwüstungen im Atlantik drohen können. Eine Art Kuba-Rake- tendebakel mit umgekehrten Vorzeichen!

Verläßt das U-Boot das britische Uberwachungsgebiet, wird es an die Amerikaner weitergereicht, die den Großteil des Atlantiks überwachen. Die Stützpunkte ihrer Uberwachungs- flugzeuge befinden sich auf Island, in Bumswick, in Maine, auf Bermuda und der Hauptstützpunkt ist in Jack- sonville, Florida. Natürlich starten Uberwachungsflugzeuge auch von Flugzeugträgern im Atlantik aus.

Die neue Atlantikschlacht ist also im vollen Gange, zwar ohne Explosionen und ohne Blutvergießen, aber beide Seiten praktizieren einen kalten, stillen Krieg! Die Russen sammeln die gleichen Informationen, spielen die selben Spielchen. Denn Sowjets und die NATO brauchen Antworten.

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