6915939-1981_26_04.jpg
Digital In Arbeit

Eine Norm für das Enorme?

Werbung
Werbung
Werbung

Das Papier zur Spitalsfinanzierung liegt auf dem Tisch. Es ist von einem kompetenten Mann verfaßt: einem Ex- Landespolitiker, Ex-Gesundheitsmini- ster und Derzeit-Finanzminister - von Herbert Salcher. Es enthält daher viel Wahres, für die Regierungspartei auch manch Neues: Zum Beispiel die Erkenntnis, daß Spitäler wirtschaftlich gesehen Unternehmen sind und sich die Verantwortlichen betriebswirtschaftlich rational verhalten. Wenn man sie läßt. Wenn man keine Anreize bietet, verhalten sie sich auch rational, aber nicht wirtschaftlich.

Salcher kommt daher zu dem Schluß, daß für einen Verpflegstag desto weniger zu zahlen ist, je länger der Patient im Spital liegt, also degressive Verpfiegskosten. Diese Idee ist in allen Vorschlägen der Volkspartei enthalten, für die Regierungspartei ist sie neu.

Wenn es stimmt, daß jetzt bisweilen die Verweildauer unnötig verlängert wird, weil damit die Auslastung der Betten mit weniger kostenintensiven Patienten erzielt werden kann, dann wird mit dieser Maßnahme die Verweildauer gesenkt und das Überangebot von Akutbetten sichtbar. Der Gesundheitssprecher der Volkspartei, Günther Wiesinger, hat daher kürzlich folgerichtig die Verminderung der Zahl der Akutbetten verlangt. Eine „Bettennot“ ist damit derzeit auch als Folge rationaler betriebswirtschaftlicher Verhaltensweisen erkannt.

Salcher zieht noch einen weiteren Schluß daraus. Wenn sich ein für die Finanzen im Spital Verantwortlicher betriebswirtschaftlich rational verhält, wird er versuchen, den Verlust zu minimieren. Gewinnmaximierung wäre zu viel verlangt.

Verlustminimierung setzt voraus, daß der Verlust erfaßt wird, vergleichbar ist und eine Chance besteht, kosten- neutral zu arbeiten. Dazu braucht man realistische Normkosten und die will Salcher 1984 haben. Da eine einheitliche Kostenrechnung noch immer im argen liegt, wird es zu einer politischen Festsetzung kommen.

Das wird wieder eine Stunde der Wahrheit. Wo liegen realistische

Normkosten für das Wiener AKH? Wo liegt die Norm für das Enorme?

Jetzt schon klaffen die Pflegegebühren für die Allgemeine Gebührenklasse weit auseinander: 1.350 Schilling in der Universitätsklinik Innsbruck und 1.980 Schilling im Wiener AKH. Beide sind Universitätskliniken, beide apparativ gut ausgestattet, in beiden Kliniken sind gute Ärzte. Wie wird man den Finanzreferenten der übrigen Bundesländer plausibel machen, daß man bei gleichen Voraussetzungen in Wien anders wirtschaftet?

Die Einbindung des Wiener AKH in eine geregelte Spitalsfinanzierung ist jetzt schon nicht einfach. Die voraussehbar enormen Betriebskosten des neuen AKH werden eine gerechte Lösung noch schwieriger machen.

Die soziale Krankenversicherung hat das erkannt und sich bis zuletzt gesträubt, innerhalb der Wiener Spitäler einen unterschiedlichen Pfiegegebüh- rensatz zu bezahlen. Das hat dazu geführt, daß der Pflegegebührensatz im Wiener AKH nur noch einen Zuschuß in der Höhe von 32 Prozent der erforderlichen Pflegegebühren der Allgemeinen Gebührenklasse darstellt. Dieser Zuschuß beträgt 641 Schilling. In den übrigen Wiener Gemeindespitälern decken die gleichen 641 Schilling wenigstens noch 44 Prozent; also auch nicht einmal die Hälfte der Pflegegebühren.

Nach dem Salcher-Papier gibt es überhaupt keinen Pfiegegebührensatz mehr. Ein fixer Prozentsatz der Beitragseinnahmen fließt direkt in den großen Topf, aus dem die Normkosten bezahlt werden. Die soziale Krankenversicherung hätte damit in konsequenter Verfolgung ihrer Linie von 1978 nicht einmal mehr den Schein eines Pflegegebührensatzes gewahrt. Sie hat sich von der Versicherung zur Inkassostelle einer Spitalsteuer gewandelt.

Die Beifügung „Sozial“ für die Krankenversicherung ist schon überholt. Sie ist allgemein zugänglich und daher öffentlich, aber nicht jede durch Steuern finanzierte öffentliche Dienstleistung ist auch schon sozial. Die im Salcher-Papier vorgesehene Erhöhung der Höchstbeitragsgrundlage rundet dieses Bild nur ab.

Bei soviel Bilanzwahrheit passen manche Ungereimtheiten des bisherigen Systems nicht mehr dazu: Wenn die Normkostendeckung nach Pflegetagen „sozialversicherter“ Patienten einheitlich zugeteilt wird, kann man nicht einige doppelt zur Kasse bitten, nur weil sie in der Sonderklasse liegen.

Genau das geschieht zurzeit in jenen Bundesländern, in denen die Spitalsträger so tun, als ob Patienten mit der Entscheidung für die Sonderklasse auf die Grundleistungen der öffentlichen Versicherung verzichten. Hier ist das Salcher-Papier konsequent und behandelt alle Beitragszahler gleich.

Genauso konsequent ist es mit der Einbeziehung aller Betroffenen in die Entscheidungsstruktur des Fonds. Mit der Einbeziehung der privaten Krankenversicherung wird man wohl an den Kontroll- und Spareffekt gedacht haben, denn nach dem Aussteigen der öffentlichen Krankenversicherung ist die private die einzige Institution, die unmittelbar auf Spitalskostensteigerungen durch Prämienerhöhungen reagieren muß. Die Gebietskörperschaften können einen Teil im großen Steuertopf abfangen.

Das Salcher-Papier ist ein realistisches Papier, wo es wirtschaftlichen Überlegungen folgt, ein zentralistisches Papier, wo es um die Erfüllung des politischen Auftrages geht, eine Lösung unter Einschluß des AKH zu finden, und es enthält schließlich auch einige Sollbruchstellen, wie die Preisregelung der Arzthonorare, bei der Ministerkollege Kurt Steyrer seine Aufgeschlossenheit für die Anliegen der Ärzte beweisen kann.

Der Autor ist Abteilungsdirektor der Collegialität- Versicherung.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung