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Eine Partei von gestern?

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Mit den Beiträgen auf dieser Seite setzt die FURCHE die Diskussion zur Reform der Volkspartei fort. Univ.-Prof. Josef Frühwirth vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Agrarpolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien gehörte in der abgelaufenen Periode als ÖVP-Mandatar dem Nationalrat an. Helmut Andexlinger ist Referent für Sozialpolitik in der oberösterreichischen Handelskammer.

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Mit den Beiträgen auf dieser Seite setzt die FURCHE die Diskussion zur Reform der Volkspartei fort. Univ.-Prof. Josef Frühwirth vom Institut für Volkswirtschaftslehre und Agrarpolitik an der Universität für Bodenkultur in Wien gehörte in der abgelaufenen Periode als ÖVP-Mandatar dem Nationalrat an. Helmut Andexlinger ist Referent für Sozialpolitik in der oberösterreichischen Handelskammer.

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Die ÖVP hat in weiten Kreisen der kritischen Wähler zufolge ihrer bündischen Gliederung das Image einer Partei von gestern, weil sie damit an den Ständestaat der dreißiger Jahre erinnert.

Bei der Gründung der ÖVP 1945 waren die Anklänge an den Ständestaat deswegen unverkennbar, weil ja die meisten Gründer schon in der ständestaatlichen Ära eine aktive politische Rolle gespielt haben. Die bündische Gliederung war aber nur Mittel zum Zweck. Die Partei hatte sich zum Ziele gesetzt, nicht nur bestimmte Klassen, sondern im Sinne eines die Interessen der Allgemeinheit berücksichtigenden Solidarismus die Belange des ganzen Volkes zu vertreten.

Zur Gründerzeit, in der unmittelbaren Nachkriegszeit, mag die Denkrichtung und die Bevölkerungsstruktur eine bündische Gliederung gerechtfertigt haben. Während sich aber die gesellschaftliche Struktur seit damals grundlegend veränderte, begannen die Bünde zu versteinern, sicheinzuigeln und ihr Eigenleben zu führen. Die.Mängel dieser Parteiorganisation konnten solange übertüncht werden, als es starke Politikerpersönlichkeiten an der Spitze gab.

Im Laufe der Jahre wurden die Bünde zum Selbstzweck und ihre Unterordnung in die Gesamtpartei wurde immer schwieriger. Die ursprüngliche Funktion der Bünde als Mittel der sozialen Integration verkehrte sich ins Gegenteil.

Die kritischen Zeitgenossen, von denen es laufend mehr gibt, sehen oft in der ÖVP nur noch einen bündischen Haufen von in sich zerstrittenen Interessentengruppen, die um Macht und Einfluß kämpfen und sich reichlich wenig um eine einheitliche Linie der ÖVP kümmern. Jeder Bund berät und arbeitet für sich.

Notwendige sachliche und personelle Entscheidungen der Partei werden unter dem Gesichtspunkt der bündischen Sonderinteressen und Machtpositionen gefällt. Dabei scheuen die Bünde oder ihre verlängerten Arme auch nicht davor zurück, die Öffentlichkeit mit hohem Mitteleinsatz für ihre Sonderinteressen zu mobilisieren (Traktorenauffahrt, Lkw-Blockade).

Besonders nach 1966, als die damals siegreiche ÖVP den Proporz des Koalitionssystems als schädlich und fortschrittsfeindlich hinstellte, verlagerte sich der Proporz ins Parteiinnere zum Bündeproporz. Bis dahin hatte die gemeinsame Ideologie, die weltanschauliche Basis noch als Kitt gewirkt. Seit der damaligen Aufwertung der Experten und Technokraten sowie der Vernachlässigung der Grundsätze traten immer mehr materialistische Gesichtspunkte in den Vordergrund. Das gute Programm blieb und bleibt ein wenig beachtetes Papier.

Die egoistisch-materialistische Einstellung der Interessensgruppen wurde für die ÖVP zu einem Existenzproblem. Dabei tritt im Verhalten der Menschen ein psychologisch interessantes Phänomen auf. Wenn sich nämlich in der Beziehung zweier oder weniger Menschen jemand sehr egoistisch verhält, so wird das als Charakterschwäche gewertet. Tritt jedoch ein Interessenvertreter auf und stellt im Namen einer größeren Gruppe völlig überhöhte Forderungen, so wird dieser Gruppenegoismus meist anstandslos akzeptiert.

Die wohl größte Auseinandersetzung zwischen den Bünden bzw. Teilorganisationen gibt es jedesmal bei der innerparteilichen Machtverteilung, besonders bei der Mandatsverteilung. Seit 1972 gibt es nämlich nicht nur die „alten Bünde“, die jetzt auch Teilorganisationen sind, sondern mit der „Frauenbewegung“, der „Jungen ÖVP“ und dem „Seniorenbund“ drei weitere, theoretisch gleichberechtigte Teilorganisationen.

Die drei letztgenannten „Neulinge“ gehen allerdings bei der Verteilung des Stellenplanes meist leer aus, weil sämtliche Plätze schon von den althergebrachten Machthabern besetzt sind. Dies führt dazu, daß die Bewerber um ein Mandat aus diesen Teilorganisationen jeweils versuchen müssen, bei irgendeinem „Bund“ unterzukommen, was manchmal zu komischen Kombinationen führt. ,

Dabei ist die Zuordnung zu einem Bund völlig willkürlich. Ein geradezu groteskes Beispiel hiefür: Im Nationalratsklub der letzten Legislaturperiode waren wir drei Universitätsprofessoren. Alle drei hatten also den gleichen Beruf und den gleichen Arbeitgeber, den Staat. Aber jeder hatte sein Mandat von einem anderen Bund. Der mittlerweile in die Nationalbank abgewanderte Prof. Stephan Koren gehörte zum Wirtschaftsbund, Prof. Felix Ermacora zum Bauernbund und ich zum ÖAAB.

Eine Zwischenbemerkung am Rande: Der ÖAAB sollte wenigstens einmal den Namen ändern, denn abgesehen vom Zungenbrecher mit den zwei A sind dort weder die Angestellten noch die Arbeiter, sondern die Beamten die tragende Säule und die kommen im Namen nicht zum Ausdruck. Vorschlag: ÖAB - österr. Arbeitnehmerbund.

Tatsache ist jedenfalls, daß die Mandatsverteilung in der ÖVP weder den potentiellen ÖVP-Wählern noch der Bevölkerungsstruktur entspricht. Die derzeitige bündische Machtverteilung widerspricht geradezu der sozialen Zusammensetzung der österreichischen Bevölkerung. Rund drei Viertel des Wählerpötenti-als sind beruflich Unselbständige. Aber fast zwei Drittel der National-rafsabgeordneten der ÖVP sind Vertreter aus dem Bereich der Selbständigen (Bauern und Wirtschaftstreibende). Dies bei einem Anteil der landwirtschaftlichen Bevölkerung an der Gesamtbevölkerung von rund 9 Prozent und einem noch geringeren Anteil der Gewerbetreibenden!

Fast grotesk ist diesbezüglich die Situation in der Großstadt Wien. Hier gehören von den fünf Stadträten der ÖVP drei zum Wirtschaftsbund und zwei zum ÖAAB. Von den vier ÖVP-Vertretern im Bundesrat rekrutieren sich je zwei aus dem Wirtschaftsbund und ÖAAB. Von den 16 Hoffnungsstellen der Nationalratsliste sind die Hälfte der Kandidaten Vertreter des Wirtschaftsbundes.

Als vor mehr als zehn Jahren Peter Diem und Heinrich Neisser auf diese Ungereimtheiten hingewiesen und die Situation zahlenmäßig beleuchtet haben, hat man sie in gewissen Kreisen verteufelt. Der eine wurde später aus seiner leitenden Position in der ÖVP entfernt, der andere ging dann als Konsulent zur Industriellenvereinigung und ist jetzt als Bereichssprecher wieder ministrabel.

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