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Digital In Arbeit

Eine Politgreißlerei

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Bis jetzt hat die Koalition wenig öffentlichen Beifall für ihre Arbeit bekommen. Erfüllt sie ihre Aufgaben nicht? Stelltsie ihr Licht unter den Scheffel? Oder betreibt sie Politgreißlerei?

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Bis jetzt hat die Koalition wenig öffentlichen Beifall für ihre Arbeit bekommen. Erfüllt sie ihre Aufgaben nicht? Stelltsie ihr Licht unter den Scheffel? Oder betreibt sie Politgreißlerei?

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Angetreten ist die Große Koalition mit der deklarierten Absicht, nicht bloß den politischen Kleinkram zu erledigen — das kann (und das tut) jede Regierung —, sondern auch die Probleme anzupacken, die nur eine solche Regierung bewältigen kann: eine Regierung nämlich, die selbst mit notwendigerweise unpopulären Maßnahmen nicht die sichere Mehrheit der sie bildenden Parteien bei künftigen Wahlen gefährdet.

Abzutreten droht diese Regierung — möglicherweise sogar vorzeitig—mit dem propagandistisch schlimmsten Resultat: daß sie Probleme, die sie anpacken wollte, sogar über Erwarten gut bewältigt, daß dies jedoch niemand gemerkt hat.

Nun gehören just Politiker nicht eben zu der — eher spärlich besetzten - Kategorie von Men-1

sehen, deren gesamter Ehrgeiz sich in der Erwartung erschöpft von der Nachwelt jene Würdigung zu erfahren, die ihnen die Mitwelt vorenthalten hat. Da es folglich nicht Absicht der Großen Koalition sein kann, ihr Licht unter den Scheffel zu stellen, muß einiges aus dem Gleis gelaufen sein, wenn das Bild dieser Regierung in der (ver-)öffentlich(t)en Meinung nicht durch ihre Leistungen, sondern durch ihre Fehlleistungen geprägt ist.

Am schlechten Marketing allein kann es nicht liegen. Gewiß, es ist kaum ein größerer Kontrast denkbar als der zwischen dem Jahrhundertereignis, für das in den USA - und darüber hinaus -die (zweite) Reagansche Steuerreform gehalten wird, und der Staatstrauer um liebgewordene Löcher in der Steuerbemessungsgrundlage als erste—und nach wie vor dominierende — Reaktion auf die österreichische Steuerreform, der von internationalen Experten attestiert wird, daß sie der amerikanischen Steuerreform zumindest ebenbürtig (und der bundesdeutschen an Kühnheit weit überlegen) ist.

Aber mit der - schon genügend beklagenswerten - Unfähigkeit der Regierung, ihre Erfolge auch zu „verkaufen“, hat es nichts zu tun, wenn ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da die (zumindest grundsätzlich) bedeutendste Änderung im Bereich der direkten Steuern seit der Umstellung auf das reichsdeutsche Steuersystem vor 50 Jahren in die parlamentarische Zielgerade einlief, die Öffentlichkeit nicht im Banne dieses (ja auch jeden einzelnen Steuerzahler unmittelbar betreffenden) Ereignisses stand, sondern ausschließlich im Banne einer Perso-

nalentscheidung, die nicht nur für jeden einzelnen Österreicher, sondern auch für Österreich insgesamt ohne Bedeutung ist.

Dies natürlich nicht etwa deshalb, weil es unerheblich wäre, wer in Österreich Notenbankpräsident ist (schlimm genug, daß es ein halbes Jahr niemand gewesen ist), sondern weil die — insofern unerhebliche — Personalentscheidung zwischen Kandidaten zu treffen war, die nicht nur gleichermaßen die fachlichen Voraussetzungen für dieses Amt mitgebracht, sondern die auch gleichermaßen den von ihrem Amtsvorgänger eingeschlagenen Kurs der Notenbankpolitik weiterverfolgt hätten.

Ob sich parteipolitisches Denken in Reinkultur gut „verkauft“, muß sich die Spitze der ÖVP mit ihren Anhängern, vor allem mit ihren (erhofften) Randwählern ausmachen.

Mit dem schlechten „Verkaufen“ der - eben nicht - evidenten Leistungen der Großen Koalition aber hat das wenig zu tun. Eher schon mit der Sollbruchstelle dieser - wie jeder - Koalition: daß jeder Partner dauernd in einem Loyalitätskonflikt zwischen Bündnistreue und Parteiräson steht. , Nur schade, daß die Phase, in der sich Reibungsschwierigkeiten mit der Ungewohntheit des neuen Rollenverhältnisses hatten erklären lassen, unmittelbar überzugehen scheint in jene an sich erst Spätphase eines Bündnisses, in der sich die Partner ihren Wählern zuliebe wieder stärker profi-

lieren, also die trotz Koalition bestehenden Gegensätze (überbetonen müssen.

Wenn bloß das Ger angel um den Präsidentensessel am Otto-Wag-ner-Platz das einzige Beispiel für eine selbstverschuldete Dimensionsverzerrung in der öffentlichen Meinung wäre!

Was hier — peinlich genug—verspielt wurde (gar nicht bloß mit

(Karikatur Tomaschoff/Süddt. Ztg.)

der Hochstilisierung einer Postenbesetzung zur Haupt- und Staatsaffäre, sondern etwa auch mit dem Operettenkonflikt um das Ob und Wo eines sei es Denk-, sei es Bedenkmais); was hier von der Koalition verspielt wurde, war nur die Gelegenheit, für eine Leistung öffentlichen Beifall zu bekommen: Die Leistung selbst — die Steuerreform — bleibt davon unberührt, daß ihrer Genesis von weit medienwirksameren Ereignissen wie dem Sturm im Burgtheater-Wasserglas, den erst beim dritten Anlauf gelungenen Draken-Uberstellungsflügen von Graz nach Zeltweg, der Nichtver-längerung des Operndirektorver-trages, der Aussetzung eines Geschworenen-Wahrspruchs oder der Frage, ob schon ab sieben oder erst ab zehn Schülern zweisprachig unterrichtet werden müsse, ständig die Show gestohlen worden ist.

Anders liegen die Dinge - oder könnten sie das nur allzuleicht tun — bei der Pensionsreform. Hier ist, ausgelöst durch ein be-

sonders arg verunglücktes Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes, die öffentliche Diskussion sosehr in Richtung einer Lappalie namens Ruhensbestim-mungen (einer bloßen Lappalie1 freilich nur im Verhältnis zum Reformbedarf und eines Sonderproblems, nämlich des besonders niedrigen Pensionsantrittsalters der Eisenbahner), abgedriftet, daß die Gefahr besteht, die Koalition werde vor lauter Bäumen den Wald nicht sehen (wollen) und ihre — neben der Budgetsanierung und der Steuerreform — dritte Raison d'etre, eine umfassende Pensionsreform, als mit einigen kosmetischen Korrekturen erfüllt ansehen.

Das Teuflische gerade am Pensionsproblem liegt ja darin, daß auf Koalitionsdauer einige bloß kosmetische Korrekturen zu genügen scheinen. Dies selbst dann, wenn sich auch für eine weitere Legislaturperiode keine Alternative zu einer Fortsetzung dieser Koalition anbietet — ob sie ihren Auftrag erfüllt oder ob sie, wenigstens in den Augen der Öffentlichkeit, nur Politgreißlerei betrieben hat...

Der Autor ist Herausgeber der „Finanznachrichten“. Der Beitrag ist der Nummer“ 30/31 vom 28. Juli 1988 entnommen. 1 An sich sind Buhensbestimmungen nur deshalb scheinbar eine Lappalie, weil ihre Effizienz just am Ausmaß ihrer Nicht-Effizienz gemessen wird: Entscheidend ist ja nicht, wie wenige Pensionisten trotz Ruhensbestim-mungen (legal) arbeiten, sondern wie viele wegen drohender Ruhensbestimmungen nicht arbeiten.

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