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Eine politische und kulturelle Aufgabe der Katholiken

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„Das gegenwärtige Defizit an politischem Willen in der Europäischen Gemeinschaft zeigt den Mangel einer tragenden geistigen Perspektive bei der Einigung Europas. Europa braucht eine Konzeption, die es in die Lage versetzt, seine Egoismen zu überwinden.“ Das war die Hauptthese der Rede des bayerischen Kultusministers Und Präsidenten des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Prof. Hans Maier, beim 3. Europäischen Treffen der Fėdėration Internationale des Hommes Catholiques (Internationale Vereinigung Katholischer Männer) Ende Oktober in München. Wie kommen katholische Laienorganisationen wie die Katholische Männerbewegung Österreichs dazu, solchen Überlegungen in ihrer Arbeit größeren Raum zu geben?

Mit dem Beschluß des Ministerrats der EG, 1978 Direktwahlen zum Europäischen Parlament durchzuführen und damit einen Schritt zur politischen Union zu tun, wurde das bisher brachliegende Interesse des Durchschnittsbürgers an den europäischen Vorgängen neu belebt. Die politischen

Parteien haben erkannt, daß sie ihre noch immer überwiegend auf die jeweiligen nationalen Aspekte gerichteten Programme und Aktivitäten nun der europäischen Dimension anpassen müssen.

So wichtig dies ist, der Wille zu einer politischen Konzeption müßte vor allem aus der europäischen Gesellschaft selbst kommen. Die hierin für uns alle liegende Verantwortung haben die Kirchen erkannt. Als unmittelbarer Hintergrund für die Tagung in München sind zu nennen: Das „Wort zu Europa“ der Europäischen Bischofskonferenzen vom 29. Juni 1977; der Hirtenbrief der belgischen Bischöfe „Neue Impulse für Europa“ von 1976; die Erklärung der Arbeitsgemeinschaft der katholischen Verbände Deutschlands zu Europa, ebenfalls vom Vorjahr. Gerade diese Erklärung und die sehr unterschiedlichen Reaktionen darauf aus anderen Ländern haben bewiesen, daß man sich die Entwicklung eines neuen europäischen Bewußtseins der Zusammengehörigkeit nicht als allzu leicht vorstellen darf.

Um so bemerkenswerter ist der in München gefundene Konsens: Beruht die gegenwärtige Krise der Europapolitik nicht zuletzt darauf, daß über fällige Wertentscheidungen und über die Gestaltungsprinzipien eine gemeinsame Übereinstimmung nicht besteht, so liegen auch die Chancen und Möglichkeiten für einen neuen Anfang zunächst in der Besinnung auf die fundamentalen Orientierungen, die in der Vergangenheit für das Zusammenleben in Staat und Gesellschaft entwik- kelt worden sind. Viele Fragen der gegenwärtigen politischen Auseinandersetzungen in Österreich, in Europa und auf Weltebene lassen sich in ihrem prinzipiellen Kern zurückführen auf die Frage nach der Position des Menschen in Gesellschaft und Staat.

Es wurden vier Hauptfelder genannt, auf denen Katholiken heute tätig werden sollen:

• die ethischen Grundnormen;

• das Ringen um ein neues Freiheitsverständnis;

• der Kampf gegen Vermassung und gesellschaftliche Anonymität;

• die Bemühungen um einen europäischen Bildungsbegriff.

Ohne einen Konsens über die Grundlagen unserer Lebensgemeinschaft, der von allen Gruppen der plu- ralen Gesellschaft mitgetragen werden muß, kann ein Staat nicht seine Aufgabe erfüllen, Rahmenbedingungen für die freie Entfaltung aller zu sichern. Ohne diesen Konsens wird auch Europa als politische Gemeinschaft nicht lebensfähig sein.

Gegenüber einer autonomistischen, individualistischen Vereinseitigung des Freiheitsbegriffs und angesichts der solidarischen Verpflichtungen gegenüber anderen Völkern in Europa und der Dritten Welt, müssen wir von der Notwendigkeit eines neuen Lebensstils sprechen, „Den Sinn der Solidarität in der internationalen G

einschaft immer mehr zu verbreiten“, war der ausdrückliche Wunsch des Papstes an die Konferenz. Ein Arbeitskreis befaßte sich im besonderen mit der Situation der Christen-in Osteuropa. Wäre es doch beschämend, wenn zwar alle möglichen kleinen und kleinsten Dissidentengruppen kommunistisch regierter Länder im Westen ihre Lobby fänden, die 70 Millionen Katholiken Osteuropas dagegen im Stich gelassen würden. Oder, wie es Alt-Präsident Henri Rollet ausdrückte: „Wir haben nicht das Recht, die anderen zum Heroismus zu verurteilen.“

Zu den Gemeinsamkeiten, die sich trotz aller Unterschiede im katholischen Europa erhalten haben, gehört die Hochschätzung der Famüie. In keiner anderen Gemeinschaft wird das Urvertrauen und die persönliche Begegnung so unmittelbar erlebt. Keine andere Institution kann daher eine ähnlich starke kulturelle Ausstrahlung haben und Gegenkräfte gegen Vermassung und gesellschaftliche Anonymität mobilisieren.

österreichische Teilnehmer konnten sich fragen, ob immer genügend deutlich das ganze Europa (auch das Europa Solowjews) im Blick war. Jedes Sich-Abkapseln muß verhängnisvoll sein, wo die eigentlichen Eisernen Vorhänge quer durch alle Länder gehen. Ein europäischer Büdungsbegriff kann am allerwenigsten von den Interdependenzen aller Europäer abse- hen.

Der bayrische Arbeitsminister Fritz Pirki hob in seinem Resümee hervor: „Europa darf sich nicht im Materiellen erschöpfen; wir müssen es vom Geistigen her voranbringen. Das Evangelium und das daraus abgeleitete Menschenbild sind Fundament und Quelle der wahren Freiheit des Menschen. Wir Christen tragen über die nationalen Grenzen hinweg gemeinsame Verantwortung für die weitere Gestaltung Europas“, denn - Papst Paul zitierend - „Niemand sonst in Europa kann den Dienst leisten, der uns anvertraut ist: die christliche Seele Europas wieder zu erwecken, den Boden, in dem seine Einheit Wurzeln schlägt.“

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