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Eine radikale Alternative

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„Du sollst nicht töten!" Das ist eines der Zehn Gebote Gottes an den Menschen. Man könnte es auch anders fassen: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!" Für mich ist dies die vordringlichste Frage im Christentum, eine seiner zentralen Forderungen, nach denen ich mein Leben ausrichten will. Ganz klar und deutlich ist es ausgedrückt und deshalb gibt es für mich auch keinen Mittelweg in dieser Frage, den man guten Gewissens einschlagen könnte.

Die Summen, die alljährlich von den Staaten für die Rüstung ausgegeben werden, sind unvorstellbar und die sogenannte Overkill-Kapazi-tät der gelagerten Waffen kann auch nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, daß der Friede auf der Welt unsicherer denn je ist. Auch der Vatikan verurteilt uneingeschränkt den Rüstungswettlauf, da er „eine Gefahr ..., eine Ungerechtigkeit..., einen Irrtum ..., ein Vergehen ... und einen Wahnsinn ..." darstellt (Dokument der päpstlichen Kömmission Justitia et Pax). Auch hat der Papst allen jenen, die sich auf ein „bellum justum", einen gerechten Krieg also, berufen, während seiner Irlandreise eine deutliche Absage erteilt.

Es gibt keinen gerechten Krieg.

Somit ergibt sich für jeden jungen Österreicher spätestens bei der Stellung die Frage, ob er gewillt ist, diesen Wettlauf mitzumachen und durch seinen Entschluß, Soldat zu werden, zu unterstützen. Gibt es wirklich keine Möglichkeit, diesen circulus vitiosus zu unterbrechen und einer gewaltfreieh Gesellschaft den Weg zu ebnen? Wäre mit der Umwidmung der Rüstungsausgaben für die Beseitigung vorPEfenÜfeüjP der Welt nicht ein viel bedeutenderer Scfiritt mr S16rrerüreB!-'Frieayhs zwischen den Völkern in der Zukunft gelegt? „Nach UN-Ahgaben von 1972 machen die geschätzten Verteidigungsausgaben in der Welt das Zweieinhalbfache der Mittel für die Erziehung bzw. das Dreißigfache ah gesamten offiziellen Mitteln wirtschaftlicher Hilfe von den Industriestaaten für Entwicklungsländer aus." (ÖH-info 3/78)

Ich bin der Meinung, daß ich sehr wohl eine Möglichkeit habe, dem eine Alternative entgegenzusetzen, nämlich mich für den Zivildienst und die Verbreitung des Gedankenguts um den Problemkreis Gewaltlosig-keit, Soziale Verteidigung usw. einzusetzen.

Die Ausgaben für Rüstung und Heer werden mit mehreren Argumenten erhärtet. Man sagt, der Rüstungswettlauf sichere Arbeitsplätze. Aber ist es nicht unsittlich, auf Kosten von Krieg, Elend und Toten Arbeitsplätze zu sichern?

Dem alttestamentlichen „Aug' um Aug'...", heute Rakete um Rakete, Soldat um Soldat, Aufrüstung um Aufrüstung, müssen wir ein Umdenken entgegenstellen, das aktive Ge-waltlosigkeit lautet.

Mir ist bewußt, daß dies ein radikaler Schritt ist, den ich der Gesellschaft von heute entgegenzusetzen habe. Auch Martin Luther King und Mahatma Gandhi waren radikal in ihrer Gewaltlosigkeit.

Ein Beispiel" von Gandhi soll dies erhärten: „In vollständigem Schweigen marschierten die Gandhi-Leute auf und hielten etwa hundert Yards von der Einfriedung entfernt. Eine ausgewählte Schar löste sich aus der Menge, watete durch den Graben und näherte sich dem Stacheldrahtzaun . .. Plötzlich ein Kommando, und Haufen von indischen Polizisten stürzen sich auf die herandrängenden Demonstranten und ließen Schläge mit ihren stahlbeschlagenen

Lathis auf ihre Köpfe regnen. Nicht einer der Demonstranten erhob auch nur einen Arm, um die Schläge abzuwehren. Sie fielen um wie Kegel. Dort, wo ich stand, hörte ich die krankmachenden Schläge der Keulen auf ungeschützte Schädel. Die wartende Menge stöhnte und zog bei jedem Schlag den Atem ein im leidenden Mitgefühl. Die Niedergeschlagenen fielen mit ausgebreiteten Armen hin, bewußtlos oder sich krümmend mit gebrochenen Schädeln oder Schultern ... Da gab es keinen Kampf, kein Handgemenge, die Demonstranten marschierten einfach vorwärts, bis sie niedergeschlagen wurden" (zit. nach Heimo Rau, Gandhi).

Auf der anderen Seite leitet man aus dem Staatsvertrag die Verpflichtung des österreichischen Staates ab, diesen mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen. Daß man die Mittel einseitig auf militärische Landesverteidigung konzentriert, führt dazu, daß die Soziale Verteidigung mit allen ihren Möglichkeiten in der Diskussion untergeht.

Bei der Sozialen Verteidigung gilt „als Grundlage des Handelns das Prinzip der Erhaltung und Achtung des menschlichen Lebens. Die Soziale Verteidigung verzichtet bewußt auf Waffengewalt. Einem Interessengegensatz sollen keine Menschen geopfert werden. Dies gilt sowohl für das Leben der Verteidiger als auch der angreifenden Soldaten. Es wird unterschieden zwischen dem Menschen an sich und dem, was er denkt und tut. Feindbilder als Voraussetzung für kriegerische Auseinandersetzung (Propaganda) werden abgeschwächt bzw. vermiedenV[ Njcht Personen, sondern das Unrecht wird vor allem bekämpft'' (zit. äusöH-info übeixsSözlate Vetteftngun£j?b 8IWUi

Hier müßte in Schulen und Bildungsinstitutionen noch einiges nachgeholt werden, um Menschen für diese Ideen zu gewinnen.

Diese Bewegung der aktiven Gewaltlosigkeit kann große sozialpolitische Auswirkungen haben, denn man kann Zivildiener in vielen Bereichen einsetzen, wo die zentrale Fürsorgebürokratie wuchert.

Ein Friedensdienst ist meiner Ansicht nach sehr wohl eine radikale Alternative zum Wehrdienst. Die Erfahrungen, die ein junger Mensch etwa in einem Krankenhaus, in einem Behindertenheim, beim Entwicklungshelfereinsatz usw. macht, können diesen Menschen sein Leben lang in seiner sozialen Einstellung und in seiner aktiven Gewaltlosigkeit bestärken. Obwohl wir uns als soziale Gesellschaft bezeichnen, gibt es genügend Bedarf an solchen Einsätzen. Die Lebensqualität vieler Randgruppen könnte durch solche Arbeitseinsätze verbessert werden (Bergbauerneinsatz, Altersversorgung, Gastarbeiter- und Kinderbetreuung usw.).'

Nicht zuletzt ist auch ein Friedensdienst im Ausland sicher geeignet, Vorurteile und Ressentiments gegenüber anderen Ländern und Menschen und somit auch das Freund-Feind-Schema abzubauen.

Daß unsere Gesellschaft - soll sie sich zu einer menschlicheren entwickeln - noch viel mehr junge Menschen braucht, die durch ihr Engagement den circulus vitiosus radikal durchbrechen wollen, davon bin ich überzeugt. Ebenso davon, daß man sich im Extremfall (siehe Gandhi) als Mensch erniedrigt.

Der Autor ist Student an der Universität Wien und möchte den Zivildienst ableisten. Die Serie wird fortgesetzt.

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