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Eine Reform auf dem Prüfstand?

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Das Bundesheer stellt sich freiwillig auf den Prüfstand. Nächste Woche soll mit dem bisher zweitgrößten Manöver des Nachkriegsheeres demonstriert werden, wo die Heeresreform nach mehr als drei Jahren steht.

Angesichts der hohen Kosten eines solchen Vorhabens drängt sich auch für Militärs die Frage nach der Effizienz einer „Übungsschlacbt“ auf. Dies um so mehr, als die Liste unerfüllter Wünsche durch diese Manöver noch länger aiuf Erfüllung warten muß.

In der Armeespitze weiß man um diese Kritik und reagiert darauf eher gereizt. Armeekommandant Span- nocchi, sonst meist ein Mann, der verbindlichen Formulierung, sieht durch diese Fragestellung das Heer seinem Inhalt nach gefährdet. Wörtlich meint er: „Manöver sind notwendig, um ein Heer zu erhalten. Wenn wir auf ein Heer verzichten wollen, können wir auch auf Manöver verzichten.“

Generell muß man dieser Antwort sicher zustimmen. Aktuelle Sparappelle an den Normalverbraucher können nicht ungefiltert an die Adresse des Heeres übertragen werden. Wenn man ihm nicht mehr zu- biHägt, Treibstoff ‘durch Panzerauspuffrohre und Munition durch Kanonen 2iu jagen, sollte man sich wirklich die Frage stellen, ob man sich ein Heer leisten kann und will. Wenn

Zweifellos: Die deutsche Justiz hat sich etwas geleistet. Wenige Tage vor dem Tod des Anarchisten Holger Meins gaben Berliner Gefängnis- beamte Besuchern augenzwinkernd zu verstehen, der im Hungerstreik befindliche Häftling werde schon „von seinen Anwälten insgeheim durchgefüttert“. Dann war der in 56 Tagen auf wenig mehr als 40 Kilogramm abgemagerte Mann plötzlich tot.

Aber der Fememord an dem Richter Drenkmann gibt dem Fall eine andere, für die Militanten im Untergrund günstige, für die Gesellschaft aber eher katastrophale Dimension. Statt, wie nach einem solchen Häftlingstod angebracht, die Westberliner Justiz in Frage zu stellen, bleibt der Gesellschaft nun nichts anderes übrig, als zusammenzurük- ken und die Justiz zu verteidigen, wie immer sie aussehen mag.

Was vor wenigen Jahren, 1968, als eine durchaus positiv zu sehende Oppositions- und Erneuerungsbewegung, als ein Kreuzzug der Studenten für mehr Freiheit, mehr Liberalität, mehr Aufklärung begann, geriet nicht erst mit den ersten Schüssen auf den falschen Weg.

Eines sollte man auf keinen Fall tun: Die Träger der Bewegung von 1968 mit den Fanatikern um Baader identifizieren. Ebenso, wie die Linksliberalen der Bundesrepublik, was immer darunter verstanden werden mag, mit dem terroristischen Untergrund identifiziert werden dürfen. Gegen ihn, gegen die Fememörder von Berlin, gegen die möglichen Träger eines neuen Terrorismus, kann sich die Gesellschaft nur noch wehren. Die schrecklichste Folge dessen ist es, daß sie dabei dem Bild, das die Propheten der Polarisierung von ihr entwerfen, tatsächlich etwas ähnlicher wird.

man Soldaten nach ihrem Wehrdienst in die Reserve entläßt, ohne sie einem Tauglichkeitstest au unterwerfen, nimmt man ihnen auch das Gefühl, eine meßbare Leistung erbracht zu haben.

Bleibt aber doch die Frage, ob nicht kleinere Übungen diesem Ziel dienlicher sein könnten als Großmanöver.

Die Armee versucht dieses Argument mit dem Hinweis zu entkräften, Manöver seien nur eine Summe von Einzeiübungen. Getestet soll weniger das Zusammenspiel der Verbände aiuf oberer Ebene werden: auf dem Pirüfstand steht der Soldat 74 als Ergebnis der sogenannten „zielorientierten Ausbildung“.

Das Heer ringt, wie sich zeigt, weniger mit seiner Selbstdarstellung nach innen als vielmehr mit seiner Präsentation nach außen. Die Ausbildungstoten des heurigen Sommers haben viel Substanz im öffentlichkeitsbild gekostet.

Was die Militärs aber am schmerzlichsten trifft, ist die Tatsache, daß ein immer größer werdender Be- völkerungsanteil dem Heer eine Aufstockung seiner Mittel versagt. Dabei erkennen nun auch die glühendsten Optimisten, daß die Heeresreform ohne außertouriiche Starthilfe scheitern muß. Zu groß sind die Versäumnisse der Vergangenheit, zu groß der Nachholbedarf. Langsam erkennt mian die negativen Nachwirkungen der in der Ära Prader gestarteten Werbekampagnen. Dem jungen Besucher der Bundesheerschauen wurde auf dörflichen Volksfesten ein anderes Heer vorgegau- keit, als er es in der Realität seines späteren Rekrutendaseins wiederfand.

Das klaffende Leck zwischen Wunschdarstellung und Wirklichkeit hat viele potente Interessenten für einen verlängerten Dienst im Heer abgeschreckrt. Die Bereitschaft, länger zu dienen, orientiert sich in erster Linie an der persönlichen Ausrüstung. Zerrissene Hemden und mangelhaftes Schuhwerk wiegt für den einzelnen mehr als modernstes Rüstungsgerät. Die Lehren daraus hat anscheinend niemand gezogen. Nur so erscheint es verständlich, daß die Heeresspitze, trotz der eingestanden schlechten Situation auf dem Sektor Bekleidung und Unterkunft (Span- nocchi: „Unsere Kasernen sind nicht einmal Hilfsarbeitern als Unterkunft zuzumiuten“), Geld für mehr als fragwürdige Rüstungskäufe bereit hat. So werden um etliche hundert Millionen neue Feuerleitgeräte für die Fliegerabwehr gekauft, dies ungeachtet eines noch immer nicht geschlossenen Lochs in der Gesamtluftraumüberwachung.

Mangelnde Prioritäten, schlechte Koordination zwischen Ministerium und Armeeikammando gefährden die Reform von innen. Eine säumige Bürokratie zwingt die Begleitmaßnahmen der Reform auf die lange Bank und senkt damit neuerlich die Attraktivität des Heeres.

Erst ein Anfangserfolg in der Reform kann aber das Bundesheer in den Augen der Politiker bestehen lassen. Die Kreditwürdigkeit muß durch „Eigenleistungen“ erbracht werden. Diese ist aber zum Teil wirklich nur durch einen Mehraufwand zu erbringen, da die Sünden der Vergangenheit zu schwer wiegen. Wer diesen Teufelskreis zu durchbrochen vermag, ist der wahre Reformer des Heeres.

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