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EINE REGION GIBT NICHT AUF

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Am 9. Juni 1991 ging die Meldung durch die Weltnachrichten, daß der berühmte chilenische Pianist Claudio Arrau (88) in Mürz-zuschlag an Herz- und Kreislaufversagen verstorben ist. Am 7. Juni sollte er in der Mürz-Stadt das neue Johannes-Brahms-Museum eröffnen, mußte aber absagen. Was hat dies mit der heurigen steirischen Landesausstellung „Sport - Sinn & Wahn" im Kunsthaus von Mürzzuschlag zu tun? Auf den ersten Blick wenig, näher betrachtet sehr viel.

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Am 9. Juni 1991 ging die Meldung durch die Weltnachrichten, daß der berühmte chilenische Pianist Claudio Arrau (88) in Mürz-zuschlag an Herz- und Kreislaufversagen verstorben ist. Am 7. Juni sollte er in der Mürz-Stadt das neue Johannes-Brahms-Museum eröffnen, mußte aber absagen. Was hat dies mit der heurigen steirischen Landesausstellung „Sport - Sinn & Wahn" im Kunsthaus von Mürzzuschlag zu tun? Auf den ersten Blick wenig, näher betrachtet sehr viel.

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Man schrieb 1978, als sich Kulturchef Professor Kurt Jungwirth entschloß, die Landesausstellungen nicht mehr in Graz, sondern in den einzelnen Regionen zu präsentieren. Der erfolgreiche Reigen begann in St. Lambrecht mit „Gotik in der Steiermark" und setzte sich 1980 mit „Musik" in Admont fort. Es folgten „Erzherzog Johann" in Stainz (1982), „Erz und Eisen" in Eisenerz (1984), sowie „Brücke und Bollwerk" auf Schloß Herberstein (1986).

Um diese Zeit war der Druck von unten schon so groß, daß der Zwei-Jahres-Rhythmus nicht mehr zu halten war. Rekordbesuch hatten „Hexen und Zauberer" auf der Riegers-burg (1987), bei „Glas und Kohle" in Bämbach (1988) wirkte auch die „Hundertwasser-Kirche" als Magnet. Judenburg lockte (1989) mit „Menschen + Münzen + Märkte", Gamlitz mit der „Weinkultur" (1990).

Bei den meisten dieser Dokumentationen kommt es zu einer umfassenden Aufwertung des Gebietes, zu bleibenden Werken und zu erstaunlichen Nebeneffekten. Ein besonders typisches Beispiel ist Miirzzuschlag. Die in der Stahlkrise grau gewordene Stadt erstrahlt nun in neuer Schönheit, die verfallende Franziskanerkirche wurde zum „Kunsthaus" mit Zukunft, das Wintersportmuseum in einem ehemaligen Hammerherren-haus, gegründet 1948, erlebt eine Renaissance. In jenen Räumen des Fürst Sulkowskyschen Hauses, in denen Johannes Brahms zwei Sommer verbrachte, zieht nun „sein" Museum nicht nur Musikfreunde an.

Die Initiatoren der Gedenkstätte, der Textilkaufmann und Cellist Ronald Fuchs, die Pianistin Elisabeth Riz und der Bühnenbildner Hans Kudlich (ein Nachkomme des Bau-embefreiers) hatten es sich in den Kopf gesetzt, für die festliche Eröffnung Claudio Arrau zu gewinnen. Sie konnten nicht ahnen, daß der Weg nach Mürzzuschlag seine letzte Reise sein würde.

Doch nun treten wir in die Landesausstellung ein. Sie hat ihren Platz in der 1779 profanierten und 1801 unter Aufsicht eines Geistlichen „entweihten" Franziskanerkirche gefunden. Das Gebäude diente im Laufe der Zeit als Gefangenenlager, als Mälzerei und als Lagerschuppen. In 18 Monaten Bauzeit und mit einem Aufwand von 45 Millionen Schilling entstand durch eine Meisterleistung der Planer Konrad Frey und Andreas Ortner, sowie der Statiker und Handwerkerein Stück Baukultur, das im historischen Zentrum neue Akzente setzt.

In drei Geschoßen erlebt der Gast allerlei Überraschungen. Aus der Tiefe der Geschichte steigt er zu Leistungsdiagnostik und Trainingsforschung, Frauensport, Gesundheit und Ernährung empor. Bewegliche Vitrinen werden zu „Maschinen", die den Raum queren, Gänge freigeben oder versperren. Weit und weiß ist das hohe Gewölbe, über das Qemälde der „Tanzenden" von Henri Matisse kommt man in den Erlebnispark.

Hier gilt es, seine Sinne zu schärfen. Ein Klangsee, eine Duftuhr, ein Gleichgewichts-Turm, Summsteine und ein Pirouettengerät sind Begleiter zur hohen Kletterwand und zu den Simulatoren für Fußball, Tennis und Golf. In der Gesundheitsstraße werden Blutdruck, Puls, Lungenkapazität gemessen und individuelle Ratschläge gegeben. „Die Sportschau macht Spaß", urteilt die achtfache Staatsmeisterin im Kraul, Judith Draxler, die demnächst zu den Europameisterschaften nach Athen reist.

Wie kam Mürzzuschlag dazu, die erste umfassende Sportausstellung Österreichs zu bieten? Kurt Jung wirth ging darauf bei der Eröffnung am 26. April näher ein. Er erinnerte an den Grazer Unternehmer Max Klein-oscheg aus der Sektdynastie und den MürzzuschlagerHotelierToniSchruf. Sie probierten im Winter 1890 „Latten" aus, die sie in Norwegen bestellt hatten. Die ersten Skier aus dem Norden waren allerdings zu lang und kaum lenkbar, doch schon 1893 gab es im Mürztal - mit kürzeren Brettln - das erste Schirennen Mitteleuropas. Und bereits 1904 hat man am Fuße des Semmering zu „Nordischen Spielen" geladen und damit zur ersten Winterolympiade.

Wer in die Region fährt, der die „steirischen berichte" unter Chefredakteur Gerald Schöpfer das Sonderheft „Rund um Mürz und Semmering" gewidmet haben, sollte unbedingt auch die Zusatzangebote nützen.

Die imposante Anlage des ehemaligen Stiftes Neuberg bietet im Kaisertrakt die Schau „Franz Joseph und die Jagd" und neben dem herrlichen Münster das Naturmuseum mit der einmaligen Schliefsteiner-Sammlung. Wenige Kilometer weiter ist im Pfarrhof Mürzsteg eine schlichte Dokumentation über unsere Bundespräsidenten zu sehen: Von Karl Renner bis Kurt Waldheim. Das Roseggermu-seum in Krieglach verweist auf die Beziehung des steirischfti Dichters zur Bezirksstadt, im Sigthof von Langenwang ist „Bäuerliches Leben im Mürztal" zu bestaunen.

Zum reichhaltigen Rahmenprogramm gehören die „15. Internationalen Neuberger Kulturtage" vom 20. Juli bis 2. August, sowie die Ausstellung „Alles rennet, rettet, flüchtet - Sport in der Kunst" in der Galerie Freiberger, direkt neben dem Kunsthaus.

Mürzzuschlag am Semmering und das Umland warten mit einem bunten Strauß von Attraktionen auf vielseitig interessierte Gäste. Hinter vielen Aktivitäten steht die Walter Bucheb-ner-Gesellschaft mit Robert Lotter und Emst Smole, sie setzt das Erbe des allzu früh verstorbenen Arbeiterdichters und Malers Buchebner für einen neuen kulturellen Aufbruch in Gegenwart und Zukunft ein: Viel Licht am Horizont...

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