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Eine Reise fu Luther

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Eisleben, die Geburts- und Sterbestadt Martin Luthers: Vor 50 Jahren feierten hier auf dem Marktplatz die Nationalsozialisten den Reformator als nationales Idol.

An diesem 10. November reist Erich Honecker in die ,£,uther- stadt“ an: Am Hauptplatz mit dem Luther-Denkmal in der Mitte, umrahmt von liebevoll restaurierten alten Bürgerhäusern, überragt durch Rathaus und Andreaskirche im Hintergrund, ehrt der Arbeiter- und Bauern-Staat den berühmtesten Sohn der Stadt.

Heute gehört Luther nach DDR-offizieller Lesart zu den „unverzichtbaren, die nationale Identität prägenden ~Traditionen“. Rund um die Wiederkehr seines 500. Geburtstages ist das Luther-Bild differenzierter geworden, aber immer noch distanziert geblieben. Ehemals als ,fFürstenknecht“ verdammt, „unfähig, die progressiven Kräfte der Zeit, in die er hineingeboren wurde, zu erkennen“, pilt der Reformator heute in der DDR-Geschichtspflege als „Rebel! im Mönchsgewand“, der, obwohl dem ,Jrühkapitalisti- scherr Unternehmertum“ entstammend, die „erste Phase der frühbürgerlichen Revolution“ ausgelöst hat. Nur: der alte Luther „verbürgerlicht“ wieder.

Daß freilich Martin Luther die Menschen nicht zur Revolution, sondern zum Glauben führen wollte, klammern staatliche wie stadtliche Erklärungen wie Erklärer vorsorglich aus. Davon ist nur in Kirchen und in von Kirchen verwalteten Erinnerungsstätten zurückhaltend die Rede, etwa in Luthers Sterbehaus in Eisleben.

Apropos Kirchen: Von den 16,7 Millionen Einwohnern der DDR gehören, so der Stand vom 1. März, rund 7,7 Millionen der evangelischen und lß Millionen der katholischen Kirche an.

Eisleben,Eisenach und die nahe Wartburg, Erfurt, wo Martin Luther studierte und als Augustinermönch lebte, Wittenberg, wo er fast 40 Jahre lebte, lehrte und wirkte, wo er 1517 seine 95

Thesen verfaßte, und Leipzig, wo 1519 die Disputation mit Johann Eck stattfand, waren Ende Oktober auch Stationen der FURCHE-Reise auf den Spuren Luthers.

Zugegeben: Der SED-Staat hat einiges in die Erhaltung und Renovierung der Luther-Gedenkstätten investiert, manches erscheint freilich erst halbfertig, doch dafür läßt der Besucherandrang aus dem Westen Devisen im Land — und auch in den Opferstöcken der Kirchen.

Mit dem Besucherstrom kommen aber auch neue Möglichkeiten, unzählige private Kontakte, neue Hoffnungen. Uber die Eigendynamik im Gefolge des Luther-Jubiläums wird man in Ost-Berlin schon erschrocken sein: Luthers Jubiläum bewegt Massen, der 150. Todestag von Karl Marx, der ebenfalls gefeiert wird, schert sie nicht.

Fast unvermeidbar fällt dazu Martin Luther ein, seine Worte zur Obrigkkit: „Es gefällt seinem göttlichen Willen, daß wir seine Henker gnädige Herren heißen ... sofern sie ihr Handwerk nicht so weit strecken, daß sie Hirten aus Henkern werden wollen“.

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