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Eine Schlacht, nicht den Krieg verloren

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In München analysierten Ostexperten letzte Woche die polnische Dauerkrise. Ein Grundtenor dabei: Polens Freiheitsbewegung hat eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren.

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In München analysierten Ostexperten letzte Woche die polnische Dauerkrise. Ein Grundtenor dabei: Polens Freiheitsbewegung hat eine Schlacht, aber nicht den Krieg verloren.

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„Jaruzelski ist ein Werkzeug der Nomenklatura in Moskau und deshalb ein Volksverräter"; „Jaruzelski hat dem ganzen Volk den Krieg erklärt"; „In Wirklichkeit handelt es sich (bei der Einführung des Kriegszustandes, Anm. d. Red.) aber darum, daß die korrupte Herrschaft einer Handvoll Kommunistenführer mit Gewalt gerettet wird."

Harte, scharfe Worte, die da bei einem eintägigen Seminar zum Thema „Polen — Analyse einer Dauerkrise" im Münchner Kar-

dinal-Wendel-Haus zu hören waren. Eingeladen hatte die „Akademie für Politik und Zeitgeschehen" der bayerischen „Hanns-Seidel-Stiftung" sowie der „Forschungskreis für Kultur und Religionsgeschichte des östlichen Europa".

Dabei waren es vor allem Landsleute des nunmehr geradezu allmächtigen Generals, die mit Jaruzelski und seinem Militärregime so unerbittlich ins Gericht gingen; zum Beispiel Prof. Fran-cisek Blachnicki von der Katholischen Universität Lublin, gleichzeitig auch Gründer der größten nichtkommunistischen Jugendbewegung Osteuropas „Licht leben".

Rigoros — seine Analyse des kommunistischen Systems in Osteuropa am Beispiel Polens:

Die treibende und alles beherrschen wollende Kraft hinter diesem Herrschaftssystem — so Blachnicki in Anlehnung an Mi-

chael Voslenskys Analyse: die „Nomenklatura", ein Haufen machtsüchtiger, nach oben hin stets unterwürfiger Bürokraten, der „wie ein Parasit aus der Partei wächst".

Wobei dieser Nomenklatura gleich mehrere Machtwerkzeuge zur Verfügung stünden: die Partei, das Militär, vor allem aber der Sicherheitsdienst. Kontrolliert werden damit das Informationsmonopol, das Monopol auf Bildung, Kultur, Wirtschaft und auf das gesellschaftliche Leben.

Ein riesiger Propagandaapparat verbreite dabei vor allem zwei Dinge: Angst und Lüge. Blachnicki: „Durch Angst und Lüge erreicht das System das Ziel: den versklavten Menschen."

Allerdings: Eine Institution hat sich in Polen diesem totalen Machtanspruch des Systems niemals gebeugt, obwohl es an Versuchen nicht gefehlt hat, auch sie zu brechen: die katholische Kirche. „Dadurch war die Nomenklatura mit ihrem totalen Anspruch auf totale Herrschaft denn auch immer in Frage gestellt", so Blachnicki.

Woraus er schlußfolgerte: als „Hort der Freiheit, als Anwalt des Volkes, als Hüterin der Tradition und Kultur ist die Kirche zu einem Katalysator der Freiheitsbewegung in Polen geworden". Und weiter: „Die Polen haben eine Revolution gegen die Angst unternommen. Und sie sind sich im klaren darüber, daß der Weg von der Wahrheit zur Befreiung nur über das Kreuz führt." . So gesehen sei der 13. Dezember, der Tag der Verhängung des

Kriegsrechts, „eine verlorene Schlacht, aber nicht der verlorene Krieg, der Anfang des Winters, nachdem der Frühling kommen muß". Die Nomenklatura habe ihre letzten Waffen gezogen, nur die brutale Macht sei ihr geblieben. Die Position der Kirche aber sei unverändert.

Und diese Position der Kirche in Polen ist im Gefolge der August-Ereignisse 1980 stärker denn

je geworden — so Prof. Läszlö Revesz von der Universität Bern in einer zu diesem Münchner Seminar verfaßten Studie.

Die Stärkung der Position der Kirche führt er dabei als einen der Punkte an, in denen das in der Folge der August-Ereignisse sich in rascher Folge entwickelnde polnische Sozialismus-Modell grundsätzlich von den „sowjetischen Erfahrungen" abwich. Die anderen wichtigen Unterscheidungs-Merkmale: # der Pluralismus, der nicht nur

die Gewerkschafts- und Jugendbewegung durchbrach, sondern auch in der herrschenden kommunistischen Partei und auch auf der ideologischen Ebene auftauchte;

• die Anerkennung des Streikrechtes durch Partei und Regierung;

• die Einschränkung der Zensur;

• die Gefährdung des Nomenklatursystems;

(Karikatur/Reimann/Die Rheinpfalz)

• die Suche nach der historischen Wahrheit, die den Antisowjetismus förderte.

Als der sowjetische Druck, besonders von Mai bis Juli 1981, erfolglos blieb, wurde in der Nacht zum 13. Dezember 1981 der Kriegszustand verkündet — eine „schlaue Lösung der polnischen Krise, ohne spektakuläre Invasion" so Prof. Revesz.

Wobei er als die großen Verlierer dieser neuen Situation in Polen die Arbeiter sieht: „Sie haben am meisten durch den Kriegszu-

stand verloren: Ihre Gewerkschaften, ihre Selbstverwaltung wurden suspendiert, ihre Arbeitspflicht wurde ausgedehnt."

Von einer „totalen Pleite des Regimes" am 13. Dezember sprach das Bezirksvorstandsmitglied der unabhängigen Gewerkschaft „Solidarität" in Lodz, Rys-zard Batory. Als Zuständiger seiner Gewerkschaftsorganisation für internationale Beziehungen befand er sich gerade im Westen, als Jaruzelski losschlug. Ungestüm, zynisch, geradeheraus wettert er seitdem auf das kommunistische System und das jetzige Militärregime in Polen los.

Batory gab unumwunden zu, daß die Forderungen, die vom Volk, von den zehn Millionen Gewerkschaftsmitgliedern an die „Solidarität" herangetragen wurden, teilweise sehr radikal waren. Die ersten 16 Monate seien die Solidaritätsfunktionäre denn auch ständig im Einsatz gewesen, um Forderungen zu mäßigen.

Und was die Streiks anbetrifft: „Wir haben die Streiks nie als ein Spielzeug betrachtet." Was auch Prof Revesz bestätigt:

„Die Regierung hat von den 21 Punkten der Danziger Vereinbarung kaum einige teilweise eingehalten, bei mehreren lehnte sie die Einhaltung offen ab. Die Gewerkschaft hatte also kein anderes Mittel, um die Respektierung der Vereinbarungen zu erzwingen, als die Streiks."

Trotz Militärherrschaft, trotz Verhaftung der führenden Köpfe der „Solidarität" und Oppositioneller (Batory spricht von 40.000 bis 60.000 Internierten), glaubt der Gewerkschaftsfunktionär aus Lodz an ein Wiederauferstehen der „Solidarität": „Sie können nicht ein ganzes Volk an die Wand stellen oder ins Exil schik-ken."

Seine Angst ist es aber, daß „das Volk die Geduld verliert". Die Polen brauchten dabei Hilfe aus dem Westen, um die Probleme friedlich beizulegen. Wie diese Hilfe aussehen soll: „Neutralisierung des sowjetischen Drucks, Gegendruck gegen Moskau schaffen." Denn: „Dieses System versteht nur ein Argument: die Macht!"

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