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Eine Seifenblase?

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In der verganigenen Saison hat das renommierte Londoner Auktionshaus Sotheby zusammen mit Parke-Bemet in New York (Sotheby angeschlossen) 2,8 Milliarden ScliilLing umgesetzt und damit alle eigenen Rekorde geschlagen. Der Tätigkeitsbericht ist ein opulent ausgestatteter Band („Art at Auction”, Prestel-Verlag München, 504 Seiten, DM 75.—) und bringt Kunst und Kunsthandwerk aller Epochen und Länder auf den gemeinsamen Nenner des Auktionshammers. Zwar blieb der absolute Rekord-preis-für-ein-Bild aus dem Jahre 1967 (150 Millionen Schilling für einen Leonardo) unangetastet, aiber es gab ja auch keinen Leonardo. 1966 hatte das Metropolitan Museum 15,6 Millionen Schillinjg (alle Angaben abgerundet) für einen Regier van der Weyden im Postkartenformat bezahlt, diesmal war ein Hans Baidung Grien an der Reihe, entdeckt im Besitz eines schottischen Schullehrers: 13,9 Millionen. 33 Millionen für einen Zypressen-van-Gogh aus dem Jahr 1889 scheinen heute kaum mehr übertrieben. Ein Bauer bei der Feldarbeit aus dem gleichen Jahr brachte 22 Millionen. Wenn man bedenkt, daß van Gogh für seine Bilder nichts (in Worten: nichts) bekam, so war George Stubbs, der 1765 Sir George Pigot «inen beaditlidi gemalten „Gepard mit zwei Indem” verkaufte, noch fein dran. Das Bild erzielte 1970 13,7 Millionen Schilling.

Preisanstieg 10.000 Prozent

Der Raketenflug der Preise wird besonders deutlich, wenn früher schon einmal versteigerte Objekte wieder unter den Hammer kommen. Das Field Museum erstand für 5,6 Millionen Schilling ein außerordentliches Exemplar eines außerordentlichen Buches: „The birds of America”, von John James Laforest Audubon, 448 handkolorierte, lebensgroße Vogeldarstellungen des begeisterten Amateuromithologen, der elf Jahre an dem 1838 fertiggestellten Werk gearbeitet hat. Dasselbe hervorragende, überkomplette

Exemplar (es gibt nur noch ein gleichwertiges) hatte 1922 bei einer Versteigerung für weniger als ein Prozent des jetzt erzielten Ergebnisses den Besitzer gewechselt. Fast noch bemerkenswerter ist der Höhenflug einer 22 Zentimeter langen, beschädigten, blaßgrünen Ju-Yao-Schale (China, wohl zwölftes Jahrhundert) ohne Zierat, streng und doch lieblich, von großer Schönheit. 1959 von einem Sammler zum damals sienisationellen Preis von 2200 Pfund ersteigert, wurde sie elf Jahre später den Messrs Sparks für 46.000 Pfund (2,8 Millionen Schilling) zugeschlagen. Eine Zeitung: „Was ist tausend Jahre alt und verdient 80 Pfund in der Woche?”

Auktionswert und Marktwert

Auktionsergebnisse sind ein wichtiger Anhaltspunkt für die Preisentwicklung, aber mit Vorsicht zu genießen. Nur ein winziger Bruchteil der Geschäfte wird über Auktionen abgewickelt, wäre es anders, wäre es eine Katastrophe. In den frühen zwanziger Jahren führte eine zu reichlich beschickte, wenn auch über drei Jahre hingezogene Serie von Versteigerungen bereits berühmter Modemer zu einem Zusammenbruch der Preise (nachzulesen bei Kahnweiler). Spitz^auktionen bringen ein äußerst exklusiv zusammengestelltes Angebot, und die Nachfrage geht hart an den maximalen Sammlerwert heran oder überbietet ihn und setzt damit neue Wertmaßstäbe. Etwas anders spielen sich die Dingo auf provinziellen Märkten wie Wien ab, wo etwa die Auktionen des Dorotheums noch immer als günstige Einkaufsquelle gelten. Hier kann es ohne weiteres vorkommen, daß eine Thorakrone, Petersburg, 17. Jahrhundert, 759 Gramm Silber, im Dorotheum für 40.000 Schilling zuzüglich 20 Prozent Kommissdon zugeschlagen, Taige später im Schaufenster eines Antiqitätenladens in der Herrengasse auftaucht, was wohl nur bedeuten kann, daß bei der Versteigerung nicht bis zum tatsächlich erzielbaren maximalen Resultat geboten wurde. Preisauskunft im Laden: 85.000 Schilling. Eines Tages in London… ?

Ob auf dem Kunstmarkt ähnlich wie an der Börse dem ungehemiBten Preisauftrieb eines Tages der Schwarze Freitag zwangsläufig folgen müsse, wird oft gefragt. Die Hauptbetroffenen geben sich optimistisch: Sich mit Kimst zu umgeben, wird in der Industriegesellschaft mehr denn je zu einer der spärlichen Möglichkeiten, sich über die zum Wegwerfen Produziertes konsumierende Masse zu erheben und damit in bestimmten Einkommensbereichen obligat. Immer mehr Menschen werden in diese Ein-kommensbereiche einrücken, spätestens ihre Nachkommen dafür sorgen, daß Nachfrage und Angebot im vom Kunsthandel ohnehin niemals sich selbst überlassenen Gleichgewicht bleiben. Daß die Kunst-konjunktuT an die allgemeine Konjunktur gebunden ist, ist evident. Künstlerisch übersohätzita, reine Spektüationswerte erleben ihren Schwarzen Freitag allerdings bestimmt. Bernard Buffet zum Beispiel wurde 1969/70 bei Sotheby nicht notiert. Eine „Campbeil-Suppenbüchse mit abgehendem Etikett” von Warhol, zwar nicht mit Buffet in einem Atem zu nermen, aber doch hochgradig der kurzfristigen Überschätzung verdächtig: 1,5 Millionen. Wer für den frisch und luftig hingepinselten, aber sehr von Vorbildern abhängigen Badestrand von Laurence Stephen Lowry aus dem Jahr 1946 fast eine Million Schilling hingeblättert hat, bleibt unerfindlich, und der Versteigerungserfolg eines Charles Burchfield („Das Lied des roten Vogels”), der 780.000 Schilling einbrachte, schlägt nach europäischen Begriffen in Lächerlichkeit um. Eine Graphik von Altdorfer war dagegen schon um 26.000, ein Schon-gauer um 130.000 und ein Dürer um 364.000 Schilling zu haiben; die Moderne wird oft nicht zuletzt wegen der (angeblich) geringeren Fälschungsrisken höher bewertet. Der „Proust auf dem Totenbett” von Helleu erzielte immerhin 25.000 Schilling, Blätter von Braque und Munch („Der Dank an die Gesellschaft”) stiegen auf 117:000 beziehungsweise fast 200.000 Schilling. Von Willem Buytewech, geboren 1591, mit 33 gestorben, sind nur neun Gemälde sicher bekannt. Sein 1616 geschaffener Zyklus von neim Stichen (Ruinen und Baumgruppen) hat hohen ästhetisch-atmosphärischen Reiz, 1st seiner Zeit formal weit voraus und äußerst selten. Ein sehr gut erhaltenes Set fand sich, mit anderen Blättern in ein Album gebunden, in einer ländlichen Hausbibliothek. 450.000 Schilling. Tumers sind Preisraketen. 1,9 Millionen Schilling für eine Genfer Ansicht mit Montblanc (Aquarell!), 3,8 Millionen Schilling für die in See stechende „City of Utrecht”. Das Bild wurde bei der Eröffnung der Royal Academy neben einen Constable gehängit, der es mit sedmen Farben „erschlug”, worauf Turner mit der Palette in den Saal ging imd einen roten Klecks in sein eigenes Bild setzte.

Das teuerste einzelne Stück Papier, 4,1 Millionen SdiEUng zum dritten, war allerdings ein mit handschriftlichen Korrekturen bekritzelter Bürstenabzug der Constitution of the United States of America. Ein Rekord war es trotzdem nicht. Etwas früher, gegen Ende des vorangegangenen Auktionsjahres, hatte eine Druckfahne der Unabhängigkeitserklärung 10,5 Millionen gekostet.

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