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Eine Stadt stirbt

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Daß Wien eine überalterte Stadt ist, ist seit langem bekannt. In welchem Ausmaß aber Wien überaltert ist, geht, so schlüssig dargelegt und mit so reichem Zahlenmaterial untermauert, erstmals aus einer Dissertation hervor, die 1967 approbiert und nun vom Notring der wissenschaftlichen Gesellschaften Österreichs in Buchform herausgebracht wurde. Verfasser ist der Soziologe Albert Kaufmann, Aufgabenstellung der Arbeit („Demographische Struktur und Haushalts- und Familįen- formen der Wiener Bevölkerung“) war es, dem Material der Volkszählung 1961 zusätzliche Aufschlüsse abzugewinnen.

Zahlenreihen, betreffend die

Altersverteilung der Wiener Bevölkerung seit 1880, lassen auf den ersten Blick eine interessante Tatsache erkennen: Die Altersschichtung Wiens war von 1880 bis zum ersten Weltkrieg verhältnismäßig konstant, während zwischen den

Daten der Jahre 1910 und 1934 auffallende Differenzen klaffen. Die Zahl der Wiener im Alter von unter 15 Jahren war 1889, 1890, 1900 und 1910 mit 23,8, 26,6, 25,4 und 24,7 Prozent so konstant wie die aller übrigen Altersgruppen, sank 1934 auf

14,6 Prozent, erholte sich bis 1951 auf 15,9 Prozent und sachte dann wieder ab um fast 2 auf 13,1 Prozent. Fünfzehn- bis Dreißigjährige hatte Wien vor dem ersten Weltkrieg

30.5 Prozent (1880 sogar 33,6 Prozent), 1961 nur noch 18,4 Prozent. Selbst die Zahl der Dreißig- bis Fünfzigjährigen ging von 29,1 auf

25.6 Prozent zurück, während der Anteil der Fünfzig- bis Fünfundsech- zigjährigen von 11,3 auf 25,9 Prozent und der der noch älteren Wiener von

3.6 auf nicht weniger als 17 Prozent stieg.

Wirtschaftliche und soziale Umwälzungen spiegeln sich aber auch in jener Statistik, die den Anteil der Ledigen an den einzelnen Altersgruppen angibt. Dabei fällt nicht nur ein genereller Rückgang der Ledigenzahl auf, sondern auch die Tatsache, daß dieser Rückgang sich mit zunehmendem Alter abschwächt, so daß etwa 1880 die Werte der Vierzig- bis Fünfzigjährigen von denen der über Fünfundsechzigjährigen viel stärker abwichen als heute. Waren 1961 nur 7,4 Prozent der ersten Gruppe Männer (40 bis 45 Jahre) unverheiratet, waren es 1880 noch fast 20 Prozent gewesen.

Auch die Geschlechtsproportion veränderte sich stark. Während von 1850 bis zum ersten Weltkrieg 92 bis 97,8 Männer auf 100 Frauen kamen, sank die Zahl der Männer auf 100 Frauen 1923 auf 85,6, 1961 sogar auf nur 76,9 Männer. Dafür sind nicht nur die Kriegsausfälle verantwortlich, sondern zusätzlich Unterschiede zwischen dem Land und der Stadt, wo die Lebenserwartung der

Frauen die der Männer noch stärker übertrifft und zu zahlreichen anderen Faktoren auch noch die Tatsache kommt, daß jeweils mehr Frauen nach Wien zuwanderten als Männer. 1951 bis 1961: 63.000 Frauen, aber nur 50.000 Männer.

Großen Raum nimmt in der erwähnten Untersuchung das Kapitel „Haushalte und Familien der Wiener Bevölkerung“ ein, wobei der Verfasser zu der Schlußfolgerung gelangte, daß die Verkleinerung der Wiener Haushalte nur zu einem geringen Teil mit der Umstellung vom Dreigenerationen- auf den Zweigenerationenhaushalt erklärt werden kann. Eine große Rolle mit starken statistischen Auswirkungen spielen hingegen die vielen Haushalte mehr als 50 Jahre alter Wiener (bis zu diesem Alter herrschen Haushalte mit drei und mehr Kindern vor). Uber 50 jedoch wohnt man vorwiegend in Ein- und Zwei- Personenhaushalten, auf Grund des extremen Frauenüberschusses leben in den Einpersonenhaushalten 81 Prozent (!) Frauen.

Schlußfolgerung des Verfassers: „Für einen erheblichen Teil der Eltern und Großeltern der heutigen Wiener Bevölkerung war also, durch ihre regionale Mobilität bedingt, eine nur aus Eltern und den eigenen ledigen Kindern bestehende Kernfamilie bereits eine Selbstverständlichkeit. Gerade diese Faktoren dürften vor allem bei der ländlichen und insbesondere bei der landwirtschaftlichen Bevölkerung nicht wirksam gewesen sein, so daß sich in diesen Bevölkerungsgruppen Im Zusammenhang mit der Verlängerung des Familienlebenszyklus — häufiger — das Muster der erweiterten Familie herausgebildet hat.“

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