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Eine Stadt will ihren Demolierern zuvorkommen

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Der Raubbau an der Substanz der Metropolen Europas hat in den letzten Jahrzehnten verheerende Ausmaße angenommen. Alte Viertel versanken in Verwahrlosung, um■ als Spekulationsbaugründe demoliert werden zu können. Was Kriege, etwa in Frankfurt, nicht zerstörten, zertrümmerten die Stadtverwaltungen, um sich selbst als fortschrittlich berühmen zu können, freilich ohne zu erkennen, daß in vielen Fällen das gewaltsam geschaffene neue Stadtbild provinzieller war als das frühere. Und wie haben sich erst die Stadtsilhouetten Europas verändert: mit Schrecken sehen etwa die Pariser City-Bewohner am Stadtrand, immenschliche Satellitenbastionen aufschießen, hoch wie New Yorks Battery, in Beton, Stahl und Glas. Alt-Berlin wurde, wo nicht zerbombt^ nachträglich abgebrochen, Alt-Moskau unter Stalin zu großen Teilen liquidiert, um einer Metropole des russischen Sozialismus Platz zu machen.

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Der Raubbau an der Substanz der Metropolen Europas hat in den letzten Jahrzehnten verheerende Ausmaße angenommen. Alte Viertel versanken in Verwahrlosung, um■ als Spekulationsbaugründe demoliert werden zu können. Was Kriege, etwa in Frankfurt, nicht zerstörten, zertrümmerten die Stadtverwaltungen, um sich selbst als fortschrittlich berühmen zu können, freilich ohne zu erkennen, daß in vielen Fällen das gewaltsam geschaffene neue Stadtbild provinzieller war als das frühere. Und wie haben sich erst die Stadtsilhouetten Europas verändert: mit Schrecken sehen etwa die Pariser City-Bewohner am Stadtrand, immenschliche Satellitenbastionen aufschießen, hoch wie New Yorks Battery, in Beton, Stahl und Glas. Alt-Berlin wurde, wo nicht zerbombt^ nachträglich abgebrochen, Alt-Moskau unter Stalin zu großen Teilen liquidiert, um einer Metropole des russischen Sozialismus Platz zu machen.

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Erst die Gespräche über Umweltschutz, moderne Lebensqualität, aber auch die erschreckenden Selbstmord- und Trinkerstatistiken, die psychischen Defekte der in geistige Verwahrlosung getriebenen Satellitenstadtbewohner, brachten Stadtväter, Stadtplaner, Denkmalschützer zur Besinnung. Was Le Cor-busier für Paris bereits in den dreißiger Jahren gefordert hatte, machte erst Anfang der siebziger Jahre in Europa Schule: In Rom versuchte man etwa in aller Eile die Stadt zu „vermenschlichen“, verbannte kurzerhand den Autoverkehr aus den Palastvierteln und großbürgerlichen Altstadtzonen. Paris revitalisierte mit enormem Aufwand ganze Viertel, so den herrlichen Quartier Marais.

Auch Wien hat sich — trotz noch immer katastrophaler Sünden wie der Verbauung des Karlsplatzes oder der Demolierung Dornbachs — überzeugen lassen, daß es sogar eine Überlebcnsfrage geworden ist, ob und wie diese Stadt ihr Originalbild zu erhalten gewillt ist, oder ob sie nach Art deutscher Provinzstädte zur Betonwüste demoliert wird... Immerhin: Aus 2,6 Millionen Schilling, die 1972 für die Altstadterhaltung von der Gemeinde ausgeworfen wurden, sind 1973 schon 19 und 1974 sogar 28 Millionen im ersten Halbjahr geworden; zu denen noch 20 Millionen zur Renovierung von Einzelobjekten bereitgestellt wurden (Sanierung des Alten Rathauses, Otto-Wagner-Kirche). Man ist endlich daraufgekommen, daß Wiens letzte mittelalterliche Häuser nicht geopfert werden dürfen, daß die Bürgerhausarchitek-tur der Vorstädte, die klassizistische Wohnhausarchitektur, die Jugendstilvillen außerhalb des Gürtels usw. aus Wiens Stadtbild nicht verschwinden dürfen.

Der gute Wille ist also spürbar geworden. Und so hat man zum Beispiel für 1975, also fürs UNESCO-Jahr der Denkmalpflege, die Sanierung und Revitalitsierung des „Neugebäudes“ vor. Dieses bedeutendste Renaissancelustschloß Österreichs, um 1569 (vermutlich von Ferrabosco) in Simmering als Sommersitz Kaiser Maximilians II. erbaut und von berühmten Hofkünstlern, wie Spranger, Cellin und Licinio, ausgestattet, verwahrloste jahrhundertelang; die Türme wurden verunstaltet, Arkaden abgemauert, Säle geteilt, die einst berühmten Gartenanlagen zerstört ... Nun wird vorerst die Nordseite „entrümpelt“ und der „Manieri-stengarten“ nach Musterbüchern des 16. und frühen 17. Jahrhunderts wieder hergestellt. Ein Kulturzentrum für den Raum Simmering, für diesen großen Bezirk seit langem eine Notwendigkeit, wird errichtet

Das Beispiel sollte jedenfalls Schule machen: Die Rettung all der völlig aus dem Gesichtskreis der Menschen gerückten Kostbarkeiten — man denke nur an das barocke Palais des Erzbischofs von Valencia, das in einem Hinterhof der Josefstädter Straße steht! —, die Revitalisierung der Bauten, der Versuch, sie im Bewußtsem der Bewohner wieder lebendig zu machen ... Darum geht es! Daß alle verstehen, daß sie in einer lebendigen Stadt, in einem spezifischen kulturellen Raum leben, In <dem Individualität, künstlerische Leistung, Geschmack ihren entscheidenden Stellenwert haben und im Leben integriert sind; und daß Aktionen wie das noch immer vorkommende Abschlagen von Fassaden, Demolierungen von künstlerisch wertvollen oder zumindest für ein bauliches Gesamtbild wertvollen Altbauten und Ersetzen durch schlechte, „entmenschlichte“ Architektur, durch Wohn- und Bürosilos im Emmentalerstil, mehr Schaden anrichten, als daß bloß noch ein Ensemble zerstört wurde.

Dieses Bekenntnis zum „guten Stadtbild“ setzt freilich konsequente Schutzmaßnahmen voraus: Wichtiger als die meisten Einzelrenovierungen sind nämlich vorerst gesetzliche Maßnahmen, die in Hinkunft so manches alte Bauensemble vor dem Zugriff gewissenloser Spekulanten und abbruchwütiger Bauunternehmer schützen müssen.

Das Beispiel „8. Bezirk: Viertel Buchfeldgasse-Lenaugasse“ zeigt, was der Schutzzonenbeschluß, erst “einmal konsequent durchgehalten, ausmacht und zu retten vermag: So wurde ein geschlossenes Ensemble mit prächtigen Fassaden, Dokumenten der ersten bürgerlichen Verbau-ungstätigkeit nach 1790 und der zweiten großstädtischen Planung um 1850, vor der sukzessiven Zerstörung gerettet, ein Viertel, in dem prominente Künstler, Politiker, Wissenschaftler gewohnt haben: Ferdinand Waldmüller (Florianigasse 6), Anton Wildgans (Lenaugasse 19), Kajetan Felder (Lenaugasse 19), Ignaz Bösendorfer (Lenaugasse 10), Friedrich Hebbel (Lenaugasse 2), die Familie Pasqualatti (Lenaugasse 11) —, ein Viertel, das auch eine unverkennbare Wiener Atmosphäre, ein unverkennbares Archi'tekturgesamtbild und hervorragende bauliche Einzelleistungen aufzuweisen hat.

Haus um Haus ist wert, gründlich renoviert zu werden — soweit dies nicht bereits geschehen ist —, denn fast ein jedes ist ein hervorragendes Beispiel bürgerlicher Wiener Kultur. Man sehe sich nur einmal „Lenaugasse 19“ an: Bereits in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts als Col-legiüm Sankt Michael errichtet, ist das Gebäude ein vorzüglicher Vertreter des Bautyps einer Sommerbehausung einer geistlichen Kommunität außerhalb der Befestigung Wiens. Die künstlerisch hochwertige Fassade läßt den Einfluß des öffentlichen Bauwesens in der Zeit Kaiser Karls VI. erkennen. Und das Haus ist für den Lebensraum kennzeichnend, in dem der Dichter Anton Wildgans heranreifte...

Ein anderes Beispiel ist der „Mi-chaelerfreihof“ in der Gentzgasse, der vor dem Abbruch bewahrt werden konnte: eine Fassadengestaltung des 18. Jahrhunderts an einem aber wesentlich älteren Bauwerk. Die BUWOG wollte das Haus abbrechen, konnte aber schließlich bewogen werden, das Haus der Gemeinde Wien gegen einen Anerkennungszins zu vermieten. Nun wird es renoviert und revitalisiert.

Besondere Probleme schaffen aber auch die Bauensembles der Vonorte, die frühhistorischen Vorstadtplätze mit in einfachen historischen Formen gehaltenen Häusern, deren Einheitlichkeit durch das verheerende Bestreben, die Dekarätionen abzuschlagen, schwer bedroht ist, ja die bis zur Gesichtslosigkeit devastiert werden können. In Neugersthof hat man mit solchen Problemen zu kämpfen, ebenso in Pötzleinsdorf, wo man nun ein aus mehreren Epochen stammendes, in der Zeit des Historismus .neugefaßtes“ Bauwerk sanierte: So wurde die typische Fachwerkbauweise des Historismus regeneriert, die Quaderung in Orange und Blaugrau, die Nagelritztechnik, typisch für die handwerkliche Gesinnung in der Architektur dieser kleinen Vorortehäuser, wurde wiederhergestellt.Wichtig ist es auch, das Innere, also hier Keller mit Ziegelböden, Gewölbe, Balkendecken, Deckenmuster, zu bewahren.

Insgesamt elf Schutzzonen, vor allem im 1., 3., 7. und 8. Bezirk, sind bereits beschlossen, sechs sollen noch heuer folgen, vier weitere 1975. Erweiterungen, so zum Beispiel die Einbeziehung des Botschafterviertels im 3. Bezirk und des Sankt-Ulrich-Viertels im 7. Bezirk, sind laufend geplant.

Aber zugleich sind die Stellen mit der Aufarbeit des gesamten Wiener Baubestandes sehr im Druck. Denn gerade jetzt, vor Inkrafttreten des Schutzzonengesetzes, versuchen sich noch zahlreiche Bauunternehmer rasch mit Baugründen einzudecken. Und natürlich nicht in weiten Teilen des 2., 11., 20. Bezirks und der Viertel jenseits der Donau, wo ein planmäßiger städtebaulicher Ausbau und Oft grundlegende Korrekturen am vorhandenen Stadtbild geradezu eine Notwendigkeit wären. Diese Viertel „laufen nicht davon“, finden Wiens Großbauunternehmer, aber die bald unbezahlbar teuer werdenden Viertel innerhalb des Gürtels, die Gründe, die obendrein durch Schutzzonen für Spekulanten kaum noch ergiebig werden, jetzt noch rasch „auszuhöhlen“ und durch Demolierungen vor allem große Ensembles aufzubrechen, scheint ihnen wichtiger. Hier nicht noch länger zuzusehen, ist eine der wichtigsten Aufgaben der nächsten Zeit. Daran, wie konsequent man sich schon demnächst an die zukünftigen Schutzzonenbestimmungen hält, wird man sehen, wie ernst es Wien mit seinem Stadtbild wirklich ist.

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