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Eine Stimme des Weltgewissens

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Vor vier oderfiinf Jahren, als er noch in sibirischem Arbeitslager vegetierte, hat er sich bestimmt nicht vorgestellt, dereinst stolzer Besitzer eines modernen Häuschens zu sein. Wladimir Bukowski lebt seit fast drei Jahren am nordwestlichen Rand der idyllischen britischen Universitätsstadt Cambridge das zurückgezogene Leben eines fleißigen Studenten der Psychologie, Biologie und Physiologie. Damit kann der heute 37jährige nachholen, was ihm in der Heimat verwehrt gewesen ist: den Abschluß einer Universitätsausbildung.

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Vor vier oderfiinf Jahren, als er noch in sibirischem Arbeitslager vegetierte, hat er sich bestimmt nicht vorgestellt, dereinst stolzer Besitzer eines modernen Häuschens zu sein. Wladimir Bukowski lebt seit fast drei Jahren am nordwestlichen Rand der idyllischen britischen Universitätsstadt Cambridge das zurückgezogene Leben eines fleißigen Studenten der Psychologie, Biologie und Physiologie. Damit kann der heute 37jährige nachholen, was ihm in der Heimat verwehrt gewesen ist: den Abschluß einer Universitätsausbildung.

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Nach den Bildern, die nach seinem Austausch gegen den chilenischen Kommunistenführer Luis Corvalan im Dezember 1976 veröffentlicht worden sind, erkenne ich ihn sofort, als er mir die Haustür öffnet. Die Wohlstandsgesellschaft scheint ihm ein wenig zugesetzt zu haben, zumindest um die Mitte.

Bestimmt ist es ein seltsames Gefühl, einem Menschen zu begegnen, über den man schon einiges geschrieben hat, ohne ihn je getroffen zu haben. Meine Tätigkeit in Moskau begann kurz nach Bukowskis letzter Verurteilung und sein Abschub in den Westen erfolgte direkt aus dem Lager. Die Gemeinsamkeit, beide waren wir in der Sowjetunion unerwünscht, schafft sofort eine freundschaftliche Atmosphäre.

Es mag für einen Menschen nicht leicht sein, den scharfen Wechsel des Geschickes so ohne weiteres zu verkraften: Ein Drittel seines Lebens in Gefängnissen, Heilanstalten und Lagerhaft. Die Spuren des Strafvollzugs sind noch sichtbar: Bukowski leidet an Arthritis in den Kniegelenken, die Folge der harten Betonböden in den psychiatrischen Kliniken.

Möglicherweise sind auch noch die vielen Einstiche der gefürchteten Spritzen zu sehen, verabreicht von Ärzten, die den Eid des Hippokrates geleistet haben. Dann der Sprung direkt ins Scheinwerferlicht der westlichen Öffentlichkeit mit Interviews, Fernsehauftritten, Vorträgen, Diskussionen und Besuchen bei Politikern, unter anderem im Weißen Haus. Jetzt ist es wieder ruhig geworden.

Andere, weniger starke Persönlichkeiten, haben dieses Auf und Ab nicht so unbeschadet überstanden. Manche vormalige Menschenrechtskämpfer in der UdSSR sind, in die Freiheit entlassen, zu Berufsdissidenten im Exil geworden oder zu lauthalsen Protestierern gegen die Schattenseiten unseres Systems. Bukowski ist eine Ausnahmeerscheinung in jeder Beziehung.

Die schweren Jahre haben weder seinem Selbst etwas anhaben können, noch Natürlichkeit und Humor geraubt. Er wirkt nicht wie jener Rebell, als den ihn die sowjetische Presse nach seiner bis heute verschwiegenen Zwangsemigration hingestellt hat Nüchtern und glasklar ist seine Analyse der sowjetischen Gesellschaft und der Menschenrechtsbewegung in seiner Heimat, deren Staatsbürgerschaft Bukowski, ist es nicht paradox, immer noch besitzt.

Er glaubt das Recht auf ein Urteil zu haben, da er zu den ersten gehörte, die schon vor zwanzig Jahren offen gegen den übermächtigen Gegner Partei aufgetreten sind. Sein Optimismus ist nicht einfach Rechtfertigung für den Sinn eines opferreichen Lebens, er gründet sich vielmehr auf den Vergleich, den der Ablauf von zwei Jahrzehnten erlaubt.

Damals, Ende der fünfziger Jahre, brachte schon der Wunsch, ins Ausland zu gehen, die Anklage auf Landesverrat ein. Heute sind* Hunderttausende, freilich unter Schwierigkeiten, ausgewandert. Dazumal war die Verbreitung eines Gedichtes im Selbstverlag (Samisdat) ein schweres Verbrechen. Heute kann die Obrigkeit der Flut von Untergrundschrift-

tum gar nicht mehr Herr werden und hat es stillschweigend akzeptiert.

Vor zwanzig Jahren war der Gefangene aus Gewissensgründen im Lager noch ein Untermensch. Heutzutage gilt das Wort „Kommunist" hinter Drahtverhau schon als Schimpfwort und die Wächter bringen den politisch Verfolgten eine gewisse Ach-

tung entgegen, erzählen ihnen hinter der vorgehaltenen Hand, was in westlichen Auslandssendungen über sie berichtet worden ist. „Unter sowjetischen Bedingungen ist das alles ein großer Fortschritt."

Die Aufgabe eines vormaligen Dissidenten nun im Westen sieht Bukowski in der Hilfeleistung für die Regimekritiker im Osten, ihnen jenes Gehör zu verschaffen, das sie dort nicht haben können. Also Aufrüttelung des schläfrigen Weltgewissens in Sachen Menschenrechte. Der Kontakt mit den Gleichgesinnten in der Sowjetunion bleibt aufrecht, wenn auch manchmal auf eigenartige Weise.

So gilt es, der ausgeklügelten sowjetischen Technik ein Schnippchen zu schlagen. Die Telefonverbindung mit verdächtigen Personen in Moskau bricht automatisch nach sechs

Sekunden ab. Also wird wieder und wieder angewählt, von Großbritannien aus im Selbstwählverkehr möglich, bis die nötigen Informationen übermittelt sind.

I

Mit Corvalan ist Bukowski noch nie zusammengetroffen, obgleich er die Begegnung mit überzeugten Kommunisten nicht im geringsten

scheut. Mit Mitgliedern der italienischen KP hat er im übrigen auf deren Einladung hin schon zahlreiche Streitgespräche geführt. Dort argumentierte er in gewohnter Weise: emotionslos, tolerant, logisch und schlagfertig. Das ist eine Begabung, aus der ihm Glaubwürdigkeit und Achtung erwächst - auch bei politischen Gegnern.

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