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Eine „totale Polizeiaktion" ist möglich

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FURCHE: Kann ein Krieg in der Golfregion der Beginn jener neuen Weltordnung sein, von der nach Beendigung des Kalten Krieges jetzt so oft die Rede ist?

PROFESSOR CURT GASTEYGER: Ich glaube, daß ein Golfkrieg in mehrfacher Weise keine Lösung von all dem bringt, was man von ihm erhoffen könnte. Ein Krieg schafft keine bessere Ordnung in der Region, das Machtstreben des Irak und die Frage der Machtverteilung am Golf wird durch ihn keiner Lösung zugeführt. Falls der Irak zerstört werden sollte, würde das nur die Position des Iran stärken - auch keine optimale Option. Dieser Krieg wäre nicht das Ende aller Kriege, er ist daher keine Lösung.

FURCHE: Hat der UNO-Sicherheitsrat mit seiner Resolution 678 (siehe Seite 11), die den Einsatz auch von Gewalt gegen den irakischen Aggressor legitimiert, Kompetenzen überschritten?

GASTEYGER: Diese Resolution steht im Zusammenhang mit der vieldiskutierten künftigen neuen Weltordnung. Der UNO-Sicherheitsrat hatte seit Ende des Kalten Krieges zum ersten Mal die Gelegenheit, die Möglichkeit einer Aktion der kollektiven Sicherheit zu demonstrieren. Bis jetzt konnte es des Ost-West-Konfliktes wegen diese kollektive Sicherheit nicht geben. Jetzt ist die Möglichkeit dazu erstmals da. Und es wäre nicht richtig gewesen vom Sicherheitsrat, diese nicht zu nützen.

FURCHE: Die Resolution spricht ja nicht ausdrücklich vom Gewalteinsatz, verwendet den Begriff „ Einsatz aller notwendigen Mittel", sollte sich der Irak bis zum 15.

Jänner nicht aus Kuweit zurückgezogen haben. Jetzt findet das Gespräch zwischen US-Außenminister James Baker und dem irakischen Außenminister Tarik Aziz in Genf statt.

GASTE YGER: Man verhandelt in Genf. Ich frage mich nur, worüber man spricht, wenn beide Seiten betonen, nicht verhandeln zu wollen. Genf zeigt jedenfalls, daß es notwendig ist, mögliche, akzeptable Mittel voll auszuschöpfen, um einen Krieg zu verhindern. Der vom Sicherheitsrat ermöglichte Gewalteinsatz stellt die Verwirklichung des letzten Mittels dar, um Interessen der Weltgemeinschaft

gegen einen internationalen Rechtsbrecher durchzusetzen.

FURCHE: Man vermeidet in diesem Zusammenhang den Begriff Krieg, im österreichischen Außenministerium spricht man von Polizeiaktion.

GASTEYGER: Zu Recht will man darauf hinweisen, daß es sich dabei um keine Aggression handelt.

FURCHE: Wie glaubwürdig sind die UNO-Resolutionen gegen den Kuweit-Besetzer Irak global gesehen, wenn sich Israel noch immer weigert, die es betreffenden Sicherheitsratsbeschlüsse bezüglich der besetzten Gebiete zur Kenntnis zu nehmen?

GASTEYGER: Die Aktion als solche und die ihr zugrundelie-

genden Resolutionen stellen insgesamt eine starke Signalwirkung an jeden Machthaber dar, der durch Annexion eine Erweiterung seines Territoriums anstrebt oder überhaupt bestehende Grenzen in Frage stellt. Es wurde jetzt viel ernsthafter und glaubhafter gemacht, daß ein Aggressor mit UN-Sanktionen rechnen muß.

Es gibt natürlich Unterschiede in der Region, wo so etwas möglich ist. Es gilt zu bedenken, daß der Mittlere Osten strategisch, militärisch und wirtschaftlich eine derart besondere Region ist, wo sich solche Aktionen leichter rechtfertigen lassen - als beispielsweise wenn etwa Uganda einen Nachbarn angreift. Ich befürchte allerdings, daß hier - auch von den USA - mit zweierlei Maß gemessen wird: Die USA wären wohl nicht zu einer derart massiven Aktion im Falle eines strategisch unbedeutenden Landes bereit.

Israel ist in diesem Zusammenhang eine besondere Kategorie -vor allem für die Vereinigten Staaten. Ich würde mich wehren gegen die Gleichsetzung eines doch demokratischen Staates mit dem diktatorischen Irak. Saddam Hussein ist verantwortlich für gewaltsame Aktionen eines Gewaltregimes. In Israel ist die Situation viel komplexer und daher nicht ganz vergleichbar, wenngleich es doch gewisse Parallelen gibt. Gegen den Irak geht man schließlich auch wegen dessen Besitzes von Massenvernichtungswaffen vor, wohingegen nichts gegen Israels Atombombe gesagt wird.

Die US-Regierung hat ja ihre Forderungen gegenüber dem Irak eskaliert, um die Akzeptanz der

Militäraktion in der Golfregion zu erhöhen. Zuerst ging es nur um die Befreiung Kuweits, jetzt geht es bereits um die Zerstörung des Saddam-Hussein-Systems und des Irak. Wir stehen also vor einer totalen Polizeiaktion.

FURCHE: Läßt sich diese mit der UNO-Resolution rechtfertigen? ' GASTEYGER: Wir kommen mit einer so massiven Aktion - vor allem wenn wir bedenken, daß es nicht

nur Angriffe aus dem Süden, aus Saudi-Arabien, sondern auch aus dem Norden, Syrien und Türkei, unter indirekter Einbeziehung Israels geben könnte - in die Nähe der Zerstörung Iraks. Das wirft die Frage der künftigen politischen Ordnung im Mittleren Osten auf. Ein zerstörter Irak wird kein Faktor der künftigen Stabilität sein, im Gegenteil, er wird nur den Appetit der Nachbarländer anregen. Es wird damit also nicht die Sicherheit in der Region stabilisiert.

Die Frage wird auch sein, wie sich der Irak zu verteidigen gedenkt. Wird er gegen Israel vorgehen oder sich auch gegen Norden, die Türkei, wenden. Dabei würde sich der Irak aber militärisch total übernehmen.

FURCHE: Wird es also Krieg geben?

GASTEYGER: Ich glaube, es steht 70:30 gegen den Krieg. Die Möglichkeit ist natürlich nicht auszu-

schließen. Die Warnung an Saddam Hussein muß ja, wie seinerzeit bei der Abschreckung, glaubwürdig sein. Aber hinsichtlich der Folgen ist Saddam Hussein doch ein kühl rechnender Diktator, der weiß, was er auf alle Fälle vermeiden muß.

Da stellt sich auch die Frage, was der Preis für den Nichtkrieg sein wird. Mich hat hier ein Aspekt vor allem sehr beeindruckt: Die von Saddam angedrohte Zerstörung der Ölfelder. Die klimatischen Veränderungen wären unvorstellbar, würden pro Tag und das über Wochen drei Millionen Liter Öl verbrennen. Eine Umweltkonferenz in London hat das vor kurzem drastisch vor Augen gestellt. Da eröffnen sich Szenarien, die bedacht werden müssen.

Ich bin der Auffassung, daß es fünf Minuten vor Mitternacht noch ein Arrangement geben wird, das es Saddam Hussein erlaubt, das Gesicht zu wahren: Vielleicht bekommt er das verlangte Ölfeld Rumaila und die Inseln teilweise, sodaß er einen besseren Zugang zum Golf hat, was ja alte Forderungen des Irak sind. Und vielleicht faßt man auch eine umfassendere Friedensregelung des Mittleren Ostens unter Einschluß Israels ins Auge. Das wäre ein face saving für Saddam. Der Nachteil wäre, daß er als großer Held der arabischen Nation dastünde - was auch wieder keine Lösung wäre.

Nicht-Krieg wäre also ein Ende ohne Schrecken mit Fortsetzung des Schreckens. Krieg wäre ein Ende mit Schrecken ohne Ende.

Mit CURT GASTEYGER, Professor am Institut universitäre des hautes etudes internationales und Direktor des Programms für Studien in Strategie und internationaler Sicherheit in Genf, sprach FRANZ GANSR1GLER

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