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Eine übernationale Partei

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1976 ist ohne Zweifel ein Schicksalsjahr für eine politisch-geistige Bewegung, d'ie in einem entscheidenden Ausmaß das Antlitz des westlichen Europa nach dem Zweiten Weltkrieg geprägt hat. Nachdem im Feuerofen dieser Auseinandersetzung zahlreiche politische Parteien und Gruppen verglüht waren, wurde die christliche Demokratie als eine aus dem Widerstand geborene Kraft überraschenderweise beauftragt, die Spuren der totalitären Herrschaft zu beseitigen. Den noch freien Völkern sollte eine Gesellschaftsordnung vorgeführt werden, die abseits der klassischen Formen des Klassenkampfes und einer radikalen KaMektivierung die Gesetze des Naturrechtes und die Lehren eines personalistisohen Systems zur Anwendung bringen wollte. Kein objektiv gesinnter Zeithistoriker kann die Verdienste der christlich-demokratischen Parteien seit 1945 bestreiten.

Vor kurzem hat das politische Komitee der christlich-demokratischen Parteien der Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaft in einer Sitzung in Brüssel einstimmig beschlossen, eine gemeinsame Partei zu gründen, welche den Namen „Europäische Voöcspartei, Föderation der christlich-demokratischen Parteien der Europäischen Gemeinschaft“ erhielt

Uber die mangelnde internationale Zusammenarbeit der Christ-demokratischen Parteien wurde seit 1947 oftmals in den eigenen Reihen heftig geklagt. Eine Untersuchung über die Bilanz dieser Arbeit wird zu einem viel positiveren Schluß kommen; wohl war die erste Stufe internationaler Kontakte in den 1947 begründeten losen Dachorganisationen der NEI nicht mit der Zusammenarbeit sozialistischer oder gar kommunistischer Parteien zu vergleichen. Trotzdem hat es die NEI relativ früh verstanden, die neugebildete CDU in den internationalen Kreislauf einzugliedern. Bundeskanzler Adenauer besaß zu Beginn seiner Aktivität nicht sehr viel mehr internationale Kontakte, als ihm durch die NEI geboten wurden.

In der schweren Krise der Europäischen Gemeinschaft 1965 wandelten sich die NEI zur Europäischen Union Christlicher Demokraten, deren erster Präsident (bis November 1973) Marian Rumor war.

Die zahlreichen Versuche, die über die Nationalstaaten hinausgehende Verflechtung der christlich-demokratischen Parteien zu sichern, war von einem spektakulären Erfolg im April 1972 gekrönt. In einer Entschließung wurden die für die politische Union Europas erforderlichen Organe beschrieben. Diese in vielen Details ausgeführte Konstruktion fand Eingang in eine Resolution, in der das Europäische Parlament seine Forderungen an die Gipfelkonferenz von Paris vortrug. Die Resolution wurde am 5. Juli 1972 von den christlichen Demokraten, den Sozialisten und den Liberalen gegen die Stimmen der Gaullisten und der Kommunisten angenommen.

Die Bildung einer übernationalen europäischen Volkspartei im Rahmen der EG wurde in dem Augenblick notwendig, in welchem sich die neun Staats- und Regierungschefs auf das Prinzip gemeinsamer Wahlen für ein Europäisches Parlament geeinigt hatten. Nachdem als ziemlieh sicher angenommen werden darf, daß diese internationale Volksvertretung 355 Mitglieder haben wird, können die christlichen Demokraten mit 90 Sitzen gegenüber den Sozialisten mit 117 rechnen. Allerdings könnten die Resultate der Legislativwahlen in der Bundesrepublik und Italien diese Ziffern korrigieren. Trotzdem kann eine Mehrheit bürgerlichen Ursprungs im Europäischen Parlament gefunden werden, wenn die christlich-demokratischen Abgeordneten Allianzen mit Liberalen und Konservativen abschließen.

Sämtliche internationalen Beobachter sind sich im klaren, wie sehr die Voten in Deutschland und Italien die Zukunft Europas beeinflussen werden. In Italien besteht immerhin die Gefahr, daß die Democristiani so geschwächt werden, daß die Kommunistische Partei den ersten Platz im Parlament einnimmt. Wie immer die italienischen Kommunisten Frei-heitsphrasen verwenden und sich den Bürgern als „liberal“ präsentieren, bleiben sie doch im Innersten ihres Herzens Marxisten, Leninisten. Die italienische Christlich-demokratische Partei hat sicherlich Fehler begangen, indem sie sich nicht personell und ideologisch erneuert hat. Die gleichen Politiker, welche in der Frühzeit der NEI die italienische Partei vertraten, sind noch immer am Ruder. Es ist wenigen früheren Exponenten der Jugendorganisation ermöglicht worden, in die oberste Parteiführung vorzustoßen.

Von der internationalen Warte aus gesehen, kann die CDU/CSU als die Hoffnungspartei der europäischen Union christlicher Demokraten bezeichnet wenden. Noch ist unsicher, ob sich der Kanzlerkandidat der CDU gegenüber dem jetziger Bundeskanzler rechtzeitig profilieren kann. Diesbezüglich sind die Meinungen eher gespalten; aber die Unionsparteien können mit wachsender Sympathie im westlichen Ausland rechnen.

Die V. Republik war seit Jahren in den Führungsorganen der internationalen christlichen Demokratie nur schwach vertreten. Eigentlich fungierte nur ein Mann als Sprecher der einstigen Christlich-demokratischen Herrlichkeit in Frankreich — es war dies der mutige Senatspräsident Alain Poher. Die Nachfolgeorganisation des MRP, das demokratische Zentrum Lecanuets, zeigte jedenfalls keinen gesteigerten Eifer, internationale Verpflichtungen zu übernehmen. Die Franzosen wollen — und es ist dies eine Konstante seit 1945 — niemals in den Verdacht geraten, ein politisches Instrument des Vatikans zu werden. In der nun am 23. Mai durch Fusion neugegründeten „Partei sozialer Demokraten“, in welcher sich fast alle namhaften Funktionäre des einstigen MRP wiederfinden, kann die Internationale der christlich-demokratischen Parteien auf eine vermehrte Unterstützung durch ihre französische Gruppe rechnen,. Denn diese Partei nimmt heute eine Schlüsselstellung in der französischen Innenpolitik ein Sie verwaltet die Stimmen jener Wähler, die endgültig entscheiden, welche Gesellschaftsordnung Frankreich nach 1978 annehmen wird.

Wenn also die Frage nach der Zukunft der christlichen Demokratie gestellt werden kann, muß die Antwort bis Anfang Oktober ausbleiben.

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