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Eine Welt aus Eisen

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Jahrzehntelang hat man sie verrotten lassen, sie demoliert, als Auswüchse und Abstrusitäten der Technik in ihrer „Kinderschuhperiode“ abgetan: die Ingenieurbauten aus kunstvollen Eisenkonstruktionen, die eisernen Riesenräder der Weltausstellungen, die Kettenbrücken und Eisentürme Eiffelturm), die Eisenglaspaläste wie Londons berühmte Weltausstellungshalle Crystal Palace in New Sydenham, die prunkvollen Bahnhofshallen und Rotunden, die aus Gußeisen zusammengefügten Schwimmhallen, wie eine etwa für das Wiener Dianabad schon 1841 bis 1843 konstruiert wurde, oder die prunkvollen Fußgeherpassagen, die bald als Wunder moderner Architektur in Rom, Mailand, Neapel, Paris, London entstanden, und an denen gemessen Wien nur ein kleines Passagenbauwerk entgegenstellen kann: Ferstels Österreichisch-Ungarische Bankpassage ...

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Jahrzehntelang hat man sie verrotten lassen, sie demoliert, als Auswüchse und Abstrusitäten der Technik in ihrer „Kinderschuhperiode“ abgetan: die Ingenieurbauten aus kunstvollen Eisenkonstruktionen, die eisernen Riesenräder der Weltausstellungen, die Kettenbrücken und Eisentürme Eiffelturm), die Eisenglaspaläste wie Londons berühmte Weltausstellungshalle Crystal Palace in New Sydenham, die prunkvollen Bahnhofshallen und Rotunden, die aus Gußeisen zusammengefügten Schwimmhallen, wie eine etwa für das Wiener Dianabad schon 1841 bis 1843 konstruiert wurde, oder die prunkvollen Fußgeherpassagen, die bald als Wunder moderner Architektur in Rom, Mailand, Neapel, Paris, London entstanden, und an denen gemessen Wien nur ein kleines Passagenbauwerk entgegenstellen kann: Ferstels Österreichisch-Ungarische Bankpassage ...

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Nun feiern sie ihr Comeback. Eine Renaissance der Ingenieurbauten bahnt sich an, frühe Kettenbrücken und Otto Wagners Stadtbahneinlagen, die berühmten Gasometerkonstruktionen der achtziger Jahre in Manchester, die riesigen Pariser Ausstellungshallen des Grand Palais oder der 1889 erbauten Galerie des Machines werden als bedeutendste technische Leistungen des vergangenen Jahrhunderts erstmals richtig bewertet.

Denn erst vor kurzem bahnte sich der Umschwung in der Sicht des 19. Jahrhunderts an; erst jetzt versteht man jene gesamtkünstlerischen Intentionen richtig, unter denen modernste technische Leistungen von damals mit ästhetischen Grundsätzen des 19. Jahrhunderts und kanonisierten Dekorationsformen subsumiert wurden. Erst jetzt, im Zeitalter des modernen Design, er-

kennt man allgemein die auch ästhetische Qualität dieser Ingenieurbauten, deren Wurzeln schon im 18. Jahrhundert und in der Vervollkommnung der Eisenverarbeitung zu suchen sind: in der Erfindung des Gußeisens in England, das auch die Herstellung dünnwandiger Güsse in Serie ermöglichte ...

Nun zeigt eine Ausstellung „Beispiel früherer Ingenieurbauten in Wien — Eisenkonstruktionen“, zu welch erstaunlichen Leistungen dieses Material nach der Mitte des vorigen Jahrhunderts anspornte. „1717 hatte ein Leuchtturm an der Ga-ronne einen eisernen Aufsatz erhalten. 1780 wurde der Grand Salon im Louvre mit einer eisernen Dachkonstruktion versehen. 1801 baute man in der Maschinenfabrik Boulton & Watt die Decken einer mehrstöckigen Spinnerei in Salford aus T-för-migen Eisenträgern. 1811 entstand

eine eiserne Kuppel mit 39 Meter Spannweite über der Pariser Kornmarkthalle. Hier fand auch die erste Verwendung von Eisen in Verbindung mit Glas statt. Zahlreiche weitere Beispiele in England, Frankreich und schließlich auch in Deutschland wären zu nennen ...“ führt Robert Waissernberger in seiner Einführung in die Ausstellung der Ingenieurbauten an.

Entscheidend für die eigenästethi-sche Wirkung war allerdings, als man sich von der Verkleidung der reinen Eisenskelette abwandte, denen gewöhnlich Stein vorgeblendet wurde, und bei Pfeilern und Säulen, Verbindungsstücken, Wendeltreppen, Heizungskörpern etc. offenes Gußeisen verwendete. „Es wurde für Säulen in der Personenhalle des prunkvollen Wiener Staatsbahnhofs (Ostbahnhofs), wie auch bei der Konstruktion des Palmenhauses verwendet, bei den Stadtbahnstationen Otto Wagners wie in der alten Zedlitz-Markthalle, im berühmten Philipp-Haas-Haus am Wiener Stephansplatz wie im Dianabad. Daß man zuerst dabei dem zukunftsträchtigen Material gegenüber dennoch Ressentiments hatte, beweist der Umstand, daß man im wesentlichen auf die für Stein üblichen Verarbeitungsformen zurückgriff, um die Eisenteile zu formen. Berühmtestes Wiener Beispiel für eine „offene Bauweise“ in Eisen war der nach 1945 blamablerweise abgebrochene Wiener Stadtparkpavillon, bei dem stilistische Überlegungen aus dem Historismus, Dekorbesessenheit und Konstruktion eine besonders schöne Synthese ergaben. Dieser „Eiserne Pavillon“ orientierte sich im wesentlichen noch am Formenkanon des Historismus.

Die entscheidende Wendung erfuhr der Eisenbau durch die Erfindung des Stahls. Denn bis dahin mußte man sich mit Guß- und Schmiedeeisen bescheiden, die kaum gleiche Trag- und Spannfähigkeit besitzen: Dennoch, auch ohne Stahl entstanden so Wichtige Bauten wie die 1871 errichtete Kuppelkonstruktion der Kirche Maria vom Siege, die aus 24 radialen gitterförmigen Sparren besteht Es entstanden Wiens prunkvolle Brückenanlagen, von denen infolge der Einwirkungen des Zweiten Weltkriegs nur sehr wenige erhalten sind; allerdings sind sie ebenso wie die meisten Wiener Eisenbauten keine technischen Pionierleistungen, ihnen kommen keine Prioritätsrechte zu, denn fast alle entscheidenden „Schlüsselwerke“, alle ersten Experimente wurden in Paris und London geschaffen und dort auch weiterentwickelt. „Allerdings war man hier — in Wien — sehr wohl über die technische Entwicklung informiert und versuchte, von ihr zu profitieren. Die Annahme, daß man der Eisenbauweise mit Vorbehalten gegenüberstand, ist keinesfalls falsch“, resümiert Waissenber-ger. „Es siegte offenbar die Einsicht, daß für gewisse Projekte, wie etwa die Detailmarkthalle in Wien, die moderne ungewohnte Form des

Bauens zweckmäßig war. Die Überzeugung, daß der neue Baustoff wie kein anderer verwendet werden konnte, er aber im äußeren Erscheinungsbild der Architektur besser nicht zur Geltung kommen sollte, war allgemein. In dieser Beziehung bilden auch die Wiener Bahnhöfe keine Ausnahme. Die Abfahrtshallen sind quasi in herkömmliche Bauten eingeklemmt, die gußeisernen Säulen imitieren auch hier unter Anwendung historisierender Formen Architekturteile aus Stein“.

Die entscheidende große Gestalt, der wichtigste Anreger in Wien, war schließlich Otto Wagner, der Wiens Eisenarchitektur aus ihrer buchstäblichen Anonymität führte — die mei-

sten Namen der Erbauer sind kaum bekannt — und alle entscheidenden Tendenzen zusammenfaßte.

Gerade Wagner führte jedenfalls in der Wiener Architektur viele Elemente ein, die bisher nur eine Ausnahme bildeten: Entscheidend zum Beispiel, daß er Konstruktion vor allem ornamental zu verbergen versuchte, daß er aus Funktionen der Baubestandteile und Materialeigenheiten Ornamente ableitete, daß er durch ornamentale Linienführungen innere Spannungsverhältnisse seiner Bauten offenzulegen trachtete. Und das ist eine der entscheidendsten Leistungen in der Wiener Architektur der Jahrhundertwende gewesen.

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