6851240-1976_48_03.jpg
Digital In Arbeit

Eine Weltresolution über Massenmedien?

19451960198020002020

Mit einem blauen Auge ist die Presse- und Medienfreiheit bei der in Nairobi tagenden 19. Generalkonferenz der UNESCO noch einmal davongekommen. Wieder einmal standen sich die ideologischen Lager hart gegenüber. Neu war vielleicht diesmal, daß die moderierten afrikanischen Staaten einen eigenen Standpunkt gegenüber - vor allem - dem Osten, aber auch dem Westen artikulierten, der im Ergebnis den westlichen Vorstellungen von Pressefreiheit viel mehr entspricht als der etatistischen Konzeption des Ostens. Freilich sollte diese Atempause in der weltweiten Diskussion um Inhalt, Umfang und Grenzen der Informationsfreiheit richtig verstanden werden. Eine Atem- und keine Schlafpause für die freien Staaten, eine Frist (bis zur nächsten Generalversammlung in zwei Jahren), die es zu nützen und nicht zu verstreichen lassen gilt. Was war eigentlich geschehen, worum ging und geht es?

19451960198020002020

Mit einem blauen Auge ist die Presse- und Medienfreiheit bei der in Nairobi tagenden 19. Generalkonferenz der UNESCO noch einmal davongekommen. Wieder einmal standen sich die ideologischen Lager hart gegenüber. Neu war vielleicht diesmal, daß die moderierten afrikanischen Staaten einen eigenen Standpunkt gegenüber - vor allem - dem Osten, aber auch dem Westen artikulierten, der im Ergebnis den westlichen Vorstellungen von Pressefreiheit viel mehr entspricht als der etatistischen Konzeption des Ostens. Freilich sollte diese Atempause in der weltweiten Diskussion um Inhalt, Umfang und Grenzen der Informationsfreiheit richtig verstanden werden. Eine Atem- und keine Schlafpause für die freien Staaten, eine Frist (bis zur nächsten Generalversammlung in zwei Jahren), die es zu nützen und nicht zu verstreichen lassen gilt. Was war eigentlich geschehen, worum ging und geht es?

Werbung
Werbung
Werbung

Schon bei der 17. Generalkonferenz der UNESCO 1972 und der 18. vor zwei Jahren standen Resolutionsentwürfe über grundsätzliche Prinzipien über die Verwendung der Massenmedien zur „Förderung des Friedens, der internationalen Verständigung und zur Bekämpfung von Kriegspropaganda, Rassismus und Apartheid“ zur Diskussion, ohne daß eine Einigung erzielt werden konnte. Sie landeten schließlich in einem Expertenkomitee, das im Dezember des Vorjahres in Paris tagte, sich über die wesentlichen Grundsätze der Informationsfreiheit nicht einigen konnte, und schließlich einen Resolutionsentwurf vorbereitete, der mit 41 Pro-gegen acht Kontrastimmen bei drei Enthaltungen verabschiedet wurde. Gegen die etatistische Konzeption des Entwurfes und gegen die Gleichsetzung von „Zionismus“ mit „Rassismus“ hatte auch Österreich gestimmt Seinen Ausführungen zum Thema Pressefreiheit, Selbstkontrolle der Medien und deren Unabhängigkeit von staatlicher Ingerenz blieb freilich -vorerst-jegliches Echo im offiziellen Dokument der UNESCO versagt. Sie fanden im Protokoll keinen Niederschlag.

Es war nicht verwunderlich, daß der schließlich vorliegende Entwurf einer „Deklaration über die Grundprinzipien für den Einsatz der Massenmedien zur Stärkung des Friedens und der internationalen Verständigung, zur Bekämpfung von Kriegspropaganda, Rassismus und Apartheid“ Besorgnis und Unruhe in den freien Staaten auslöste, die zu einer Reihe von Aktivitäten - noch vor der UNESCO-Ge-neralversammlung - führten:

•So hatte ein Expertenkomitee des Europarates schon im Juni 1976 die Auffassung vertreten, daß dieser Entwurf „in seiner derzeitigen Fassung inakzeptabel ist, weil er den in den Mitgliedstaaten des Europarates vorherrschenden Auffassungen hinsichtlich des Grundrechtes der Informationsfreiheit widerspricht“.

•Am 15. Oktober faßten die Zeitungsverlegerverbände der BRD, Österreichs und der Schweiz eine Entschließung, in der sie sich „mit aller Entschiedenheit“ gegen staatliche Eingriffe in den freien Nachrichtenaustausch, wie sie der Entwurf der UNESCO-Deklaration erlauben würde, wandten. Mit der Verabschiedung der Deklaration in der geplanten Form würden die Gegner eines freien Nachrichtenaustausches dem Ziel, die Bevölkerung ihrer Staaten.von Nachrichten aus dem Ausland abzuschirmen, ein Stück näher kommen.

•In Österreich stellte die Sektion Journalisten der Gewerkschaft Kunst, Medien, freie Berufe fest, daß die Annahme der Resolution durch Österreich bedeuten würde, sich „mit einer Einschränkung der verfassungsmäßig garantierten Pressefreiheit, so wie mit Eingriffen nicht nur des eigenen Staates, sondern auch von ausländischen Regierungen oder Institutionen auf die Arbeit österreichischer Journalisten zu identifizieren“.

•Schließlich hatten mehrere Staaten, darunter die BRD, die USA, eigene Resolutionsentwürfe vorbereitet mit dem Ziel, nach Möglichkeit diese, bei der Generalversammlung in Nairobi als Alternative durchsetzen zu können.

Harter Diskussionskern und Stein des Anstoßes für den Bereich der Staaten mit Presse- und Informationsfreiheit waren insbesondere die Bestimmungen der Artikel IV und XII des geplanten Resolutionsentwurfes. Artikel IV hätte die Legitimation für Staaten bedeutet, in den freien Informationsfluß einzugreifen, um einen „balancierten Austausch von Informationen für die gesamte internationale Staatengemeinschaft Realität werden zu lassen“. Damit wären etwa die Eingriffe osteuropäischer Staaten in die Berichterstattung, aber auch in den nationalen und internationalen Informationsfluß ihrer Medien nicht mehr Ausnahme - wie bisher - geblieben, sondern zur weltweiten Regel, sanktioniert durch das Ansehen der UNESCO, geworden.

Artikel XII postulierte kurz und inhaltsschwer die Verantwortung der Staaten „für die Aktivitäten aller Massenmedien unter ihrer Jurisdiktion, die auf internationaler Ebene gesetzt werden“. Man braucht nicht viel Phantasie, um sich vorzustellen, was diese Bestimmung auf lange Sicht gesehen für die vom Staate unabhängigen Medien, hier nicht zuletzt auch die Rundfunkanstalten, bedeutet hätte. Von der Verantwortung des Staates für die Massenmedien führt nur ein kurzer Weg zur Herrschaft über dieselben, auch dort, wo die Verfassungslage dies derzeit für undenkbar scheinen läßt.

In seiner Begrüßungsansprache vor dem Plenum der Generalversammlung riskierte der österreichische Außenminister am 1. November ein klares und mutiges Wort zur Informationsfreiheit aus österreichischer Sicht. Er betonte vor dem Weltforum die Bedeutung, die Österreich dem Recht des Bürgers auf Informationsfreiheit zumißt, ein Recht, daß die Freiheit einschließt, Informationen und Ideen jeder Art, ohne Rücksicht auf Grenzen aufzusuchen, zu erhalten und zu ermitteln; Rechte, die in internationalen und nationalen Vereinbarungen über die Menschenrechte festgehalten sind.

Minister Pahr ließ zwar keinen Zweifel daran, daß die Ausübung dieser Rechte (durch die Massenmedien) mit einer bestimmten Verantwortung verbunden ist. Die Informationsfreiheit lege den Staaten die Verpflichtung auf, die Informationsmedien vor Eingriffen von außen zu schützen. Auf der anderen Seite haben die Staaten gleichermaßen die Verpflichtung, ihre Gesellschaft vor dem Mißbrauch dieser Grundrechte zu schützen.

Eine große Mannigfaltigkeit von Informationsquellen allein würde von sich aus nicht die Informationsfreiheit garantieren, wenn sie von der staatlichen Autorität manipuliert werden würde. Einschränkungen der Informationsfreiheit seien daher nur dort vertretbar, wo sie notwendig sind, um die Rechte, Freiheiten und die Interessen von dritten Personen zu schützen und durch Gesetz vorgesehen seien.

Durch, den Mund des Außenministers legte Österreich anschließend seinen grundsätzlichen Einwand auf den Verhandlungstisch der Weltorganisation: Die in dem Resolutionsentwurf vorherrschenden Ideen basieren auf dem Konzept staatlicher Kontrolle über die Massenmedien. Dies stehe im Widerspruch zu den fundamentalen Bestimmungen der österreichischen Verfassung und in Widerspruch zur Menschenrechtskonvention.

Die überaus offen und zum Teil auch hart geführten Diskussionen im zuständigen Ausschuß,dem „Programmausschuß III“ der 19. Generalkonferenz der UNESCO, führten schließlich zu einem auch von Österreich angestrebten Ergebnis, diese Resolution jedenfalls nicht zum Beschluß werden zu lassen. Mit einer, in dieser Eindeutigkeit nicht erwarteten, ja kaum erhofften Mehrheit von 78 Prostimmen gegen 15 Kontrastimmen bei sechs Enthaltungen wurde am 6. November ein Vorschlag Brasiliens angenommen, den Tagesordnungspunkt einer Untergruppe (Drafting and Negotiations Group) zuzuweisen.

In Konferenzkreisen war klar, daß damif die Beschlußfassung einer Medienresolution auf dieser Generalversammlung der UNESCO kaum wahrscheinlich sei. Eine neue Expertengruppe dürfte den Auftrag erhalten, bis zur nächsten Generalversammlung in zwei Jahren ein Papier zu erarbeiten, das die Zustimmung der meisten Mitgliedstaaten der Organisation finden könnte.

Wenn man dennoch als Beobachter der Szene dieser für die Freiheit der Medien geschlagenen Schlacht und des Erfolges nicht recht froh werden kann, so hat dies mehrere Ursachen. Zum ersten soll nicht verniedlicht werden, daß gerade auf dem Sektor der Informations- und Kommunikationspolitik die Auffassungen der Staaten naturgemäß am stärksten die Unterschiede der jeweiligen politischen Systeme widerspiegeln. Während die Oststaaten vor allem (auch) die Massenmedien als einen Arm des Staates verstehen, und die Betonung der Staatsverantwortlichkeit über die Medien daher nur konsequent wäre, sollen diese nach Auffassung etwa der USA als „Gegengewicht gegen den Staat“ frei von staatlichem Einfluß sein. Sie bringen den Staatsbürgern jene Informationen, die sie brauchen und stellen ein „frühes Warnsystem“ auch für die Regierungen dar.

Dementsprechend deutlich waren daher auch die Absagen der westlichen Industriestaaten gegenüber allen Versuchen, mit Hilfe einer UNES-CO-Resolution die Medien unter die Herrschaft des Staates, unter eine staatliche „Zensur“ zu bringen und die freie Zirkulation der Ideen zu behindern. Wie der Vertreter der BRD betonte, sei es ein Recht der Medien, auch den Staat kritisieren zu können, ohne daß die Würde der Staaten darunter leiden würde.

Schwieriger war und ist die Situation der Entwicklungsländer, die einerseits auf die Medien als wichtigen Vermittler und Förderer des Staatsbewußtseins nicht verzichten wollen, anderseits - in durchaus erkennbaren Bemühungen - zumindest teilweise bereit sind, die Grundsätze der Informationsfreiheit schrittweise zu verwirklichen.

So war es nicht nur bemerkenswert, daß die erwähnte Abstimmung über die Zuweisung der Resolution mit den Stimmen auch der meisten afrikanischen Staaten beschlossen wurde. Auch in den Diskussionsbeiträgen innerhalb und außerhalb der UNESCO war vielfach das Bestreben erkennbar, in diesen Fragen einen Konsens eher mit dem Westen, der in Medienfragen glaubwürdiger ist, als mit dem Osten zu suchen.

Freilich liegen die Dinge in jungen Staaten, was das Bedürfnis nach mehr innerstaatlichen Vorbehalten betrifft, vielfach anders. Deutlich brachte dies der Beitrag des Gastlandes der Generalkonferenz, Kenia, zum Ausdruck: Dieser betonte, daß die Verfassung Kenias die Freiheit der Information und des Ausdruckes garantiere, „soweit sie nicht mit den Interessen dep 1 Landes unvereinbar sind“. ' Ge'faäe' hier1 mW$die

schwierig zu ziehende Grenzlinie zwischen der Bedachtnahme auf die berechtigten unterschiedlichen Wünsche der Staaten der Dritten W< lt einerseits und der Bewahrung Und Sicherung der weltweiten Informationsund Meinungsfreiheit anderseits.

Das existierende Nord-Süd-Gefälle im Bereich des internationalen Informationsaustausches ist eine Realität, mit der sich die UNESCO wird weiterhin beschäftigen müssen. Ziel sollte sein, die industrialisierten Länder zu einer verstärkten Hilfe für den Aufbau des Kommunikationsnetzes der Dritten Welt heranzuziehen. Diese Unterstützung kann durch Vermittlung des technischen Know-how ebenso wie durch Ausbildung von entsprechend geschulten journalistischem Nachwuchs gewährt werden.

Österreich, dessen Nachrichtenagentur APA in diesen Tagen ihren dreißigjährigen Bestand feierte, hat bewiesen, daß der freie Informationsfluß auch über ideologische Grenzen hinaus nicht bloß ein theoretisches Postulat, sondern auch praktische, alltäglich sich wiederholende Wirklich-. keit sein kann. Ist doch Wien Nachrichtentransitstation für Ost- und Südeuropa bis zum heutigen Tag geblieben.

Aber auch die tätige Mitwirkung Österreichs am Aufbau der Journalistenschule an der Universität von Nairobi zeigt - in bescheidenem Rahmen - die Möglichkeiten der Unterstützung „ohne Herrschaftsanspruch“. Hier liegen aber auch meines Erachtens die Chancen - vielleicht mehr als bisher - einen Beitrag zur weiteren weltweiten Auseinandersetzung über die Freiheit der Medien und die Informationsfreiheit zu leisten. Als ein Land mit einem hohen Maß an Presse- und Informationsfreiheit und mit einer vom Staat unabhängigen Rundfunkanstalt genießt Österreich Glaubwürdigkeit auch in der Dritten Welt. Es ist ihm weder „kulturelle Aggression“ noch die Herrschaft des „Kapitals“ bei seiner Informationstätigkeit und -Vermittlung vorzuwerfen.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung