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Eine Wiederentdeckung namens Hollitzer

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Bis vor gut einem Jahrzehnt war das Ouevre des Österreichers Carl Hollitzer in Deutsch-Altenburg zu sehen, in einem eigenen im Haus des 1942 gestorbenen Künstlers eingerichteten Hollitzer-Museum. Dann kam die überschuldete Villa, unter lebhaftem Desinteresse der öffentlichen Hand, unter den Hammer und ein Lebenswerk von unschätzbarer kulturhistorischer Bedeutung in den Keller. Ein paar Kennern ist Hollitzers Bedeutung klar, aber leider ist halt in den besseren Wiener Ausstellungslokalitäten nie ein Termin für jene Ausstellung frei, die notwendig wäre, um die nachgewachsenen Generationen vom Rang dieses Vergessenen zu überzeugen.

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Bis vor gut einem Jahrzehnt war das Ouevre des Österreichers Carl Hollitzer in Deutsch-Altenburg zu sehen, in einem eigenen im Haus des 1942 gestorbenen Künstlers eingerichteten Hollitzer-Museum. Dann kam die überschuldete Villa, unter lebhaftem Desinteresse der öffentlichen Hand, unter den Hammer und ein Lebenswerk von unschätzbarer kulturhistorischer Bedeutung in den Keller. Ein paar Kennern ist Hollitzers Bedeutung klar, aber leider ist halt in den besseren Wiener Ausstellungslokalitäten nie ein Termin für jene Ausstellung frei, die notwendig wäre, um die nachgewachsenen Generationen vom Rang dieses Vergessenen zu überzeugen.

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Nun findet sie doch statt. Nicht weit vom Schwechater Flughafen entfernt, im niederösterreichischen Ort Margarethen am Moos, im alten für Ausstellungszwecke adaptierten „Schüttkasten“ (sprich: Kornspeicher) des Wiener Malers, Restaurators und Kunstkenners Albin Kopp. Obwohl auch eine nahezu hundertprozentige Mehrheit der Wiener Kunstkritiker keine Zeit fand, nach Margarethen hinauszufahren (wahrscheinlich verbinden sie mit dem Namen Hollitzer keine Vorstellung), bahnt sich ein unter diesen Umständen erstaunlicher Publikumserfolg an: täglich 20 bis 30 Leute - das zählt bei einem solchen „Ereignis unter Ausschluß der Öffentlichkeit“.

Wer war dieser Carl Hollitzer? Ein Original. Das bleistiftbewehrte Gegenstück eines Kaffeehausliteraten, und ebendies auch. Ein Nachtvogel, Stammgast der Wiener Künstlerlokale, vor allem der Reisbar, der von Loos eingerichteten „American Bar“, wo „man“ sich traf. Dort saß er und beobachtete und porträtierte die Leut’.

Von ihm porträtiert zu werden, war eine Ehre, aber nicht immer ein Vergnügen. Kaum ein Meister der Karikatur führte Stift und Pinsel so treffsicher, so unerbittlich, und dabei doch so liebevoll. Karl Kraus, der sonst so Eitle und Überempfindliche, mußte es sich von ihm gefallen lassen, als ein durch kreisrunde Brillengläser unendlich trübe in die Welt stierendes, unter der Last des eigenen Kopfes gebeugtes Monstrum mit auf ein „Fak- kel“-Heft gestützten knöchrigen Fingern dargestellt zu werden. Roda- Roda hatte in Hollitzers Version frappante Ähnlichkeit mit einem satten Menschenfresser, und den gefürchteten Kritiker Paul Stefan permutierte er in ein lediglich aus einem unendlich langen Vogelhals, einer zu einem Storchenschnabel verlängerten spitzen Nase und einem stechenden Raubvogelauge bestehendes Wesen.

Mit der gleichen Schärfe, mit der er die äußeren und inneren Schwächen der anderen erkannte und übertrieb, behandelte er sich selbst: Ein Rübezahl mit niedriger Stirn, platter Nase, fast von Ohr zu Ohr reichendem Mund, so tritt uns Hollitzer, gezeichnet von Hollitzer, gegenüber.

Aber: Carl Hollitzer hatte keine „Masche“, sein Stift bewegte sich nicht auf dem Weg des geringsten Widerstandes über das Papier, Hollitzer war ein Künstler, dessen Blätter zwar durch ihren kulturhistorischen Do- kumentarwert gewinnen, als Panoptikum der Zwischenkriegszeit ihren Reiz für die Nachwelt entfalten, aber er war ein Künstler, dessen Bedeutung sich darin keineswegs erschöpft. Möglicherweise steht gerade der inhaltliche Reiz seines Lebenswerks als Registrator der gerechten Einschätzung Hollitzers als Graphiker, als Satiriker, im Wege. Auf der Suche nach weiteren Gründen für die hartnäckige Nicht- Zurkenntnisnahme dieses Mannes stoßen wir aber noch auf eine weitere Erklärung. Es gibt keinen Hollitzer- Sammler, kaum Besitzer von Hollit- zer-Blättem, und daher nicht jene aus einem handfesten Interesse an der Wertsteigerung ihres Schatzes dessen Ruhm in die Welt posaunende Lobby, die sich in anderen Fällen als massive Säule des Nachruhmes eines Künstlers erweist.

Denn Hollitzer war einerseits reich, er hatte es nicht nötig, Arbeiten zu verkaufen. Und er wußte anderseits deren Bedeutung sehr wohl zu schätzen. Daher hielt er sein Lebenswerk eisern zusammen. Gab wenig aus der Hand. War sein eigener Sammler.

Hollitzer wurde 1874 in Deutsch-Altenburg geboren. Der Vater war Millionär. Der Sohn hat das geerbte Vermögen bis auf den letzten Groschen ausgegeben. Er lebte und ließ leben. Peter Altenberg (der selbst nicht ganz arm gestorben ist) schrieb ihm seine köstlichen Pumpbriefe niemals vergebens, denn beide waren große Geldausgeber, zu keiner geregelten Tätigkeit zu überredende Bohėmiens, undisziplinierte Individuen. Zuletzt mußte Hollitzer sogar einiges von seiner geliebten, im Lauf eines Lebens zusammengetragenen Sammlung historischer Uniformen verkaufen - sie ist heute der Stolz des Heeresgeschichtlichen Museums! Widersprüche über Widersprüche in einem Leben. Kaberettist, Schlachten- und Historienmaler, Pazifist, Militärmodenschöpfer, Kostümentwerfer, das alles war er und noch mehr. Er war ein großer Künstler, nicht nur seinem Talent, sondern auch seiner Leistung nach, er hatte eine Epoche porträtiert und ihr Gesicht für die Nachwelt erhalten, aber kein einziges sogenanntes „großes Werk“ geschaffen. Alles bei ihm ist Skizze, Produkt des Augenblicks, Improvisation, in der Kunst der Andeutung war er einer der großen Meister - wie Peter Altenberg mit dem Wort.

Doch obwohl die flüchtige Skizze seine Stärke war und unter seinen Händen zum autonomen Kunstwerk wurde, war er auf dem Gebiet der Militaria, als Militaria-Maler, ein Pedant. Kannte jede Schnalle und jeden Knopf jeder Uniform in der großen, an Farben und Formen, Knöpfen und Schnallen so reichen alten _ kaiserlichen Armee. Der gleiche Hollitzer, der ein Lieblingsschüler der Akademie gewesen war und die künstlerische Leitung des großen Kaiser-Jubi- läums-Festzuges im Jahre 1908 innegehabt hatte, schuf im Ersten Weltkrieg als Mitglied des Kriegspressequartiers - wo er auch die Schalek porträtierte! - die erschütternde Zeichnung einer vom Krieg gequälten Frau. Der gleiche Hollitzer, der seine Militärzeit in einem Nobelregiment abgedient und sich an der Akademie so brav und relativ bürgerlich benommen hatte, trat nachts zerschlissen, struppig, brave Bürger schreckend, als „armer Konrad“ auf die Bühne. Er ist bei den berühmten „Elf Scharfrichtern“ in München aufgertreten, war in Wien bei der „Fledermaus“ und beim

„Nachtlicht“ dabei, erntete rauschende Erfolge - als Kaberettist! - in so mancher europäischen Stadt und eroberte Skandinavien im Triumphzug.

In Margarethen am Moos, im alten „Schüttkasten“, ist vorerst nur ein Teil dieses überreichen Lebenswerkes zu sehen. Nicht, zum Beispiel, das prachtvoll-bösartige Blatt von Karl Kraus. Gerade genug zu einem ersten Kennenlernen. Genug, um den Rang dieses Mannes zu erkennen - weit über seinen „Originalitätswert“ hinaus. Weitere Ausstellungen sind geplant. Die Gelegenheit sollte genützt werden, um jene Lobby zu schaffen, die einzig in der Lage wäre, Hollitzer auch die Zurkenntnisnahme durch jenes Österreich zu verschaffen, das seinen hundertsten Geburtstag verschlafen hat (Photos: V1. n. r.: zwei Unbekannte, Librettist Felix Dörmann, Oscar Straus.)

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