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Eine Winterreise

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Ein Geiger erlebt das erschütterndste Konzert seiner Laufbahn - das erste große Konzert nach Beendigung der Kämpfe in der Hauptstadt des Libanon. Der Autor ist Mitglied der Wiener Symphoniker und Leiter des weithin bekannten Ensembles „Bella Musica“.

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Ein Geiger erlebt das erschütterndste Konzert seiner Laufbahn - das erste große Konzert nach Beendigung der Kämpfe in der Hauptstadt des Libanon. Der Autor ist Mitglied der Wiener Symphoniker und Leiter des weithin bekannten Ensembles „Bella Musica“.

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Als die Maschine der AUA mit den Wiener Symphonikern an Bord in Schwechat abhob, begann eine der wichtigsten, zugleich aber auch abenteuerlichsten Reisen in der Geschichte dieses Orchesters.

Wichtig war die Reise, weil sie nicht nur der Musik, sondern auch als Ausdruck menschlichen Mit- fühlens dienen sollte. Und abenteuerlich war sie, weil sie in ein Land führte, das seit sieben Jahren von einem der komplizierte-

sten und grausamsten Kriege unserer Zeit verwüstet wird: in den Libanon.

Die widersprüchlichen Meldungen der letzten Monate, die Nachrichten über das Elend und über das neuerliche Aufflackern der Kämpfe führten dazu, daß die Musiker sich gar nicht sehr sicher fühlten. Aber das Gastspiel begann mit Applaus: die Orchestermitglieder applaudierten nach der Landung in Beirut den Damen der AUA. Dank ihrer Freundlichkeit fühlte man sich geborgen.

Der Flughafen von Beirut ist leicht beschädigt. Hier erleben wir die erste freundliche Überraschung. Während man uns türkischen Kaffee und Fruchtgetränke reicht, werden die Pässe eingesammelt. Wir dürfen ohne langwierige Kontrollen einreisen. Später im Hotel erhalten wir die Pässe zurück. Dieses Hotel liegt außerhalb der Stadt in 600 Meter Seehöhe am Abhang eines Berges. Es heißt Al Bustan. Die Wiener Singakademie, die ein paar Stunden vor uns eingetroffen ist, wohnt in der Stadt im Hotel Alexandra.

Die Fahrt zum Hotel wird zu einer Lektion des Grauens. Jeeps der libanesischen Armee begleiten die Autobusse der Symphoniker. Wir fahren durchjene Teile der Stadt, die während der jüngsten Luftangriffe verwüstet worden sind. Ich teile die Ansicht je’- ner Kollegen, die verstockte Militaristen gerne an der Hand nehmen und durch diese Straßen führen möchten.

Uber die Küstenstraße fahren wir dann zum Casino de Liban, wo das Konzert stattfinden soll. Die Gegend erinnert an die französische Riviera bei Monte Carlo. Das Casino ist ein moderner Bau, die Innenarchitektur teilweise in arabischem Stil gestaltet. An diesem Abend wird das luxuriöse Bauwerk wie eine Festung bewacht.

Denn unser Konzert ist fürwahr keine alltägliche Veranstaltung. Seit acht Jahren hat im Libanon kein vergleichbares Konzert stattgefunden. Es ist nicht nur ein musikalisches Ereignis. Es ist of-

fenbar auch ein Symbol. Das Interesse scheint enorm zu sein. Fernsehen und Rundfunk strahlen Direktübertragungen aus. Jede Eintrittskarte kostet umgerechnet 1.500 Schilling. Die Einnahmen werden den nahe bei Beirut gelegenen Kinderdörfern zukommen.

Rechtzeitig vor dem Beginn trifft der Präsident ein. Amin Ge- mayel ist ein junger Mann, gut aussehend, mittelgroß, freundlich wirkend. Ein Intellektueller. Er sitzt im Publikum, in der ersten Reihe des Zuschauerraumes. Und nun kann das Konzert beginnen. Kaum acht Stunden nach dem Abflug aus Wien spielen wir Schuberts „Unvollendete“.

Kaum hat das Orchester geendet, ist der erste brausende Applaus verklungen, eilt Amin Gemayel zu uns auf das Podium. Die Leibwächter haben Mühe ihm zu folgen. Der Präsident ist sichtlich bewegt und begeistert. Er schüttelt unserem Dirigenten Hans Graf die Hand und wendet sich dann an die Symphoniker. Er bedankt sich. Er spricht ein geschliffenes Französisch.

Fast niemand verläßt in der Pause den Saal. Spannung und Konzentration lassen nicht nach, im Gegenteil: Wir fühlen, wie sich um uns die Atmosphäre verdichtet. Und nun spielen wir Beethovens Neunte Symphonie. Eindringlicher als sonst empfinden auch wir in diesem von Kriegen erschütterten Land die tiefere Bedeutung der Worte Schillers: „Alle Menschen werden Brüder“.

Nach dem Konzert lädt Österreichs Botschafter Peter Hohen- fellner zu einem Empfang. Wir müssen das Casino nicht verlas-

sen. Etwa 400 Gäste sind da. Hier hören wir zum ersten Mal über die unmittelbare Wirkung dieses Abends. Eine junge Libanesin ist die erste, die es ausspricht: „Wir fühlen uns durch diesen Besuch sonderbar berührt. Wir sind nicht mehr allein. Wenn ein so berühmtes Orchester zu uns kommen kann, dann bedeutet das für uns das Ende des Krieges. Man besucht uns. Wir sind wieder dabei. Wir dürfen hoffen.“ Nach einer Pause fügt sie hinzu: „Ich glaube, es ist Friede.“

Am nächsten Tag erwachen wir durch zwei heftige Detonationen. Man hört das Geratter von Maschinengewehren. Der Portier des „Al Bustan“ weiß, wie man Gäste beruhigt.

„Das ist nicht hier, sondern in den Bergen“, sagt er und zeigt auf eine schneebedeckte Anhöhe. „Sie liegt etwa so weit entfernt wie der Kahlenberg vom Stadtzentrum Wien.“

Zwei Stunden später fahren wir weiter in den Westen der Stadt. Unsere Mission wäre unvollständig, würden wir nicht auch im moslemischen Viertel von Beirut ein Konzert geben. Das gehört übrigens zur Tradition solcher Gastspiele. Das Picadilly-Theater befindet sich in einer Geschäftsstraße. Der Zuschauerraum ist groß, pompös, und wirkt ein wenig altmodisch, etwa wie das Ronacher in Wien. Punkt elf Uhr vormittags spielen wir zuerst die libanesische und dann die österreichische Nationalhymne. Die libanesische Hymne ist neu. Sie wird bei dieser Gelegenheit zum ersten^ Mal in großer Orchesterbesetzung aufgenommen und wird von nun an immer wieder in einer Interpretation der Wiener Symphoniker erklingen.

Das Programm ist abwechslungsreich. Nach der Pause musiziert das Johann Strauß-Ensemble unter dem ORF-Konzertmei- ster Peter Guth Altwiener Melodien. Guth dirigiert, wie es die Tradition verlangt, als Stehgeiger. Der Saal ist zum Bersten voll. Nach dem Konzert spricht der stellvertretende Ministerpräsident Elie Salem.

„Österreich hat als erster Staat

ein Orchester von Weltrang in unser Land gesandt, in dem Krieg, Zerstörung und Verzweiflung herrschen“, sagt Elie Salem. „Die Tatsache, daß dieses Vorhaben kein Plan geblieben ist, sondern auch wirklich ausgeführt wurde — diese Tatsache wird der Libanon nie vergessen.“

Am Nachmittag spaziere ich durch die Altstadt. Ich bin allein. Die Häuser sind Ruinen. Die halbverfallenen Fassaden zeugen von der einstigen Pracht dieser Metropole. Die Vielfalt architektonischer Stile spiegelt die Vielfalt einer einst sorglos in dieser Stadt lebenden Bevölkerung: ein Mosaik aus Kulturen und Religionen. Das Stadtzentrum, in dem moderne Geschäftsstraßen und die Labyrinthe der orientalischen Suks in eigenartigem Einklang nebeneinander lagen, ist heute ein Ruinenfeld. Und auch ein Massengrab.

Alle 400 Meter werden meine Papiere kontrolliert. Diese große Zahl der Checkpoints vermittelt ein Gefühl der Sicherheit. Die Anwesenheit der Musiker aus Wien ist Tagesgespräch. Immer wieder begegne ich Patrouillen der multinationalen Sicherheitstruppe. Amerikaner, Franzosen, Italiener ziehen vorbei. Ab und zu kommen wir ins Gespräch. Ein libanesischer Soldat, der mich bei einem Schutzwall aus Sandsäk- ken kontrolliert, drückt am eindeutigsten aus, was alle sagen: „Ihr Musiker seid doch sensible Menschen und trotzdem wart Ihr bereit, in unser Land zu kommen. Trotz der momentanen Lage. Ich finde das großartig.“

Am Abend geben wir unser letztes Konzert, nun wieder im Casino de Liban. Wir spielen Schubert und Beethoven. Das Echo ist genauso rührend und überwältigend wie beim ersten Mal. Kaum sind die letzten Takte verklungen, wird es im großen Saal vollkommen still. Erst danach braust der Applaus hoch. Dieser Augenblick der Stille macht betroffen.

Man müßte von den Solisten berichten, von den Organisatoren dieser Reise, man müßte auch Stadtrat Helmut Zilk erwähnen, der in seiner Eigenschaft als Präsident der Wiener Symphoniker mit uns flog.

Am Montag gegen Mittag fliegen wir mit einem Jumbo der Middle-East-Airlines nach Wien zurück. Botschafter Hohenfellner fliegt mit. Uber das Bord-Mikrophon dankt er den Mitwirkenden. Plötzlich wendet sich die libanesische Hosteß an den Diplomaten. Sie flüstert:

„Sagen Sie, bitte, den Musikern, daß ich ihr Konzert im Fernsehen verfolgt habe. Seit gestern sind wir uns wieder bewußt, daß der Libanon existiert.“

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