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Eine Wirtschafts-NATO

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Michail Gorbatschows „neue Politik“, wie sich Perestrojka und Glasnost zusanmienfassend darstellen lassen, faßt allmählich in den USA Fuß. In beiden Parteilagern, bei Demokraten also und Republikanern, werden neue Konzepte einer Außen-, einer internationalen Politik erörtert. Arbeitsgruppen haben entsprechende Aufgaben übernommen.

Aber beide Parteien beschäftigen auch sogenannte Think Tanks — „Denkerstuben“, wenn man so will, an Universitäten und Instituten - mit einer Neu-Formulierung des politisch-strategischen Denkens der Vereinigten Staaten von Amerika. Es ist das erstemal seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges - imd das ist identisch mit dem Beginn des Kalten Krieges -, daß Amerika ein entsprechendes neues Konzept, das unmittelbar mit seiner nationalen Sicherheit zusammenhängt, sucht.

Seit 1945 ließen sich, dank bitterer Erfahrungen vor allem im östlichen Europa, die USA von dem Grundgedanken leiten, der Kommunismus müsse, wenn nicht „zurückgerollt“, dann eingedänmit werden, dürfe sich unter keinen Umständen, schon gar nicht in Europa, weiter ausbreiten.

„Diese PoUtik der Begrenzung des Kommunismus auf seinen einmal erreichten Bereich“, urteilt der frühere amerikanische Verteidigimgsminister Harold Brown, „war ein voller, ein großer Erfolg. Aber mit diesem Modell lassen sich nicht mehr alle Probleme dieser Welt lösen - als da sind: Die Schuldenberge der Dritten Welt, die Situation südlich der Sahara, so viele andere Brennpunkte. Auf vielen Sektoren und in vielen Regionen des Wettbewerbs ist es schließlich nicht mehr die Sowjetunion, auf die wir auf

passen müssen, nein - das sind da eher die Japaner, das ist auch in gewissem Maße Europa, das ist Südkorea, das sind andere frischindustrialisierte Staaten.“

Harold Brown, der sich seit Jahren als Polit-Stratege und Vordenker betätigt, hat genau in dem Sinne analysiert, in dem dies auch in den Parteien sowie an Instituten für Internationale Studien geschieht. Fazit - so eine telefonische Umfrage bei eingeschalteten Institutionen: Die Begrenzung oder Bekämpfung des Kommunismus tritt hinter beginnenden Bemühungen zurück, sich wirtschaftlich nicht übervorteilen zu lassen; was immer die USA darunter verstehen, und was danm-ter verstanden wird, entspricht keineswegs einhelliger Definition. Aber diese sich abzeichnende wirtschaftliche Defensiv-Offensive— auch das ein Wort aus einem der Think Tanks - geht weit über das Ziel hinaus, die eigene ökonomische Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten und zu steigern.

Hand in Hand damit verfolgen die USA, wenn sich die neuen Konzepte durchgesetzt haben (woran nicht zu zweifeln ist), auch das Ziel, wirtschaftliche und politische Freiheiten in Regionen durchzusetzen, wo diese Freiheiten noch nicht existieren. Freie Marktwirtschaft und Demokratie sollen vor allem in den Staaten der Dritten Welt, aber auch im Ostblock, eingeführt, propagiert, behutsam, sehr behutsam vorangebracht werden.

Das entspricht, so wird in Washington geurteilt, den Bemühungen, Gorbatschows Reformpolitik zu unterstützen, aber auch dies wird in diesem Zusammenhang in der US-Hauptstadt unterstrichen: Die neue US-Politik gleicht der Ost-Politik eines Willy

Brandt, die ja, so wieder ein Washington-Urteil, von CDU-CSU übernommen, fortgeführt und ausgeweitet wurde.

Die Neu-Definierung amerikanischer Global-Politik steht erst an ihrem Beginn. Für die nächste Dekade, so eine amerikanische Grvmd-Uberzeugung, steht weniger eine sowjetische Bedrohung der USA und ihrer Verbündeten an, sondern als Herausforderung werden wirtschaftliche Probleme angesehen.

Das heißt nicht, daß militärische Bündnisse etwa überflüssig geworden sind oder werden. Dazu ein Professor der Georgetown-Universität, die maßgeblich an den Neu-Definitionen amerikanischer Belange beteiligt ist: „Die Bündnisse haben uns nicht nur die Freiheit erhalten, sie haben uns auch, jetzt endlich, die Freiheit gebracht, aus starren Formen auszubrechen und nunmehr Neues zu versuchen. Würden wir die Bündnisse aufgeben, könnten sehr schnell neue Bedrohungen ins Haus stehen - dann wäre keine Zeit mehr für unsere neue Politik.“

Ex-Verteidigungsminister Brown trägt sich mit dem Gedanken, eine Art „Wirtschafts-NATO“ vorzuschlagen. Sie könnte der Dritten Welt Hüf estellung leisten, meint er, imd sie könnte die USA und ihre Verbündeten - er spricht in diesem Zusammenhang von einer .Internen Rivalität“ -über wirtschaftliche Probleme, Unterschiede und auch Mißverständnisse hinweghelfen.

Diese Gedanken hegt Brown, wie er sagte, vor allem mit Blick auf das Europa ab 1992. Denn dieser kommende große Markt verstört die Amerikaner nicht wenig.

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