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Eine Woge der Gewalt
Zwei Wochenenden der Gewalt haben Nordirland heimgesucht und London alarmiert. Der Widerstand der Protestanten gegen das im letzten November in Hills-borough geschlossene anglo-iri-sche Abkommen zur Befriedung der unruhigen Provinz richtet sich jetzt in erster Linie gegen ihre alten Verbündeten und Beschützer, die Polizei RUC (Royal Ulster Constabulary). Samstag und Sonntag wurden Häuser von RUC-Männern durch randali-sierende jugendliche Banden niedergebrannt, Polizisten gerieten ins Feuer von Heckenschützen im Dienste der Loyalisten und unter einen Hagel von Benzinbomben, Steinen und Ziegeln. Die handfeste Gegnerschaft der unionisti-schen Parteien gegen den vermeintlichen Ausverkauf der Provinz an die irische Republik formiert sich in den sogenannten Ulster-Clubs. Nordirland steht ein gewaltsamer Sommer bevor, zumal die Saison der traditionellen Aufmärsche angebrochen ist.
Das anglo-irische Abkommen vom letzten November hatte zum Ziel, die Spannungen in Ulster durch Kooperation von London mit Dublin zu beseitigen, das von der Mehrheit unterdrückte nationale Minderheitselement zu stärken. Gleichwohl erhöht es das Risiko der britischen Regierung bis zur Unerträglichkeit. Die meisten Katholiken erstreben Einheit mit der irischen Republik, für die Protestanten steht dieses Anliegen nicht zur Debatte. Um sie zu beruhigen, hat die irische Regierung offiziell zugesichert, Einheit stünde außer Frage. Die Unterzeichner des Abkommens, Frau Margaret Thatcher und Premier Ga-rett Fitzgerald, halten es der Sache wert, die Risiken im Gefolge einzugehen. Die Ministerpräsidentin nahm jede Gelegenheit wahr, den Vertrag den störrischen Unionisten schmackhaft zu machen: „Ich bin selbst Loyalistin und Unionistin, Gewalt ist vollkommen unvereinbar mit dem Fortschritt der politischen Demokratie.“ Eine Änderung des Status der Provinz sei „ohne deren Einwilligung“ ausgeschlossen.
Doch die beiden Unionsparteien der Provinz, die militantere demokratische (DUP) von Pfarrer Ian Paisley und die offizielle (OUP) unter Führung von James Molyneaux, mißtrauen zutiefst jeder Ubereinstimmung der beiden Staaten, zumal der Hillsbo-rough-Vertrag hinter ihrem Rük-ken ausgehandelt worden ist. Je mehr sich London und Dublin zur Sache der Unionisten bekennen, umso mehr steigern sich Haß der Protestanten gegen jeden Einfluß aus dem Süden und Verdacht von neuen Machenschaften über ihre Köpfe hinweg.
Die Kampagne „Ulster sagt nein zu Hülsborough“ schiebt nicht nur die Befürworter von gewaltsamer Aktion - etwa die Stellvertreter in der jeweiligen Parteiführung, Peter Robinson (DUP) und Harold McCusker (OUP) - in den Vordergrund, sie verstärkt auch die Reihen der londontreuen paramilitärischen Einheiten des „Ulster Verteidigungs-Verbandes“.
Als in der Osterwoche von der Polizei der Marsch in Portadown (County Armagh) aus Sicherheitsgründen verboten wurde, widersetzten sich 3.000 Anhänger diesem Verbot und inszenierten schwere Zusammenstöße mit der RUC, die zu mehr als 90 Prozent aus Protestanten besteht. Die Mitglieder der 13.000 Mann starken Ordnungsmacht stehen bei den Unionisten im Rufe, das Hillsborough-Abkommen zu unterstützen. Tatsächlich ist dies nicht der Fall, viele Beamte haben nachweislich aus Gründen der Uberzeugung um den Abschied angesucht.
Nordirlands Minister Tom King spricht von einer „äußerst gefährlichen Situation, die ein Vakuum schafft, das von Männern der Gewalt ausgenützt wird“. London ist offensichtlich gewillt, es auf einen harten Strauß mit den unionisti-schen Unruhestiftern ankommen zu lassen. Man vertraut in White-hall nicht unbedingt der Verläßlichkeit der RUC in den zu erwartenden stürmischen Tagen und erwägt unter Umständen den Einsatz der 10.300 in Nordirland stationierten Soldaten, um die Ordnung aufrechtzuerhalten. Die Armee wiederum ist der erklärte Feind der nationalen IRA. Terror und Gegenterror werden in absehbarer Zeit in Ulster nicht nachlassen.
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